„Ich wäre gerne noch mal jung“

von Redaktion

INTERVIEW Senta Berger (82) über ihren neuen Kinofilm „Weißt du noch“ und das eigene Älterwerden

München – Ihre Karriere hat Schauspielerin Senta Berger (82) bis nach Hollywood geführt. Seit Jahrzehnten lebt die gebürtige Wienerin mit ihrem Ehemann, Regisseur Michael Verhoeven, in Grünwald bei München. Heute kommt ihr neuer Film „Weißt du noch“ in die Kinos – eine Komödie über das Altern (siehe Kulturteil). Kongenialer Partner ist Günther Maria Halmer (80). Seit 50 Jahren sind die beiden im Film ein Ehepaar – die Liebe ist freudloser Routine und Nörgelei gewichen. Da kommt ein Freund mit einer neuen Pille daher. Eine Pille, die für kurze Zeit alle Erinnerungen zurückbringt – und die Liebe. Wir haben Senta Berger im Hotel Bayerischer Hof getroffen. Ein Gespräch auch über das eigene Altern.

Was hat Sie bewogen, die Rolle anzunehmen?

Ich finde den Film sehr fein und elegant – er ist wie mancher französische Film, leicht und doch mit Tiefe. Der Film wurde auch in der Nähe von München gedreht, so konnte ich jeden Abend nach Hause fahren zu meinem Mann, das ist mir wichtig.

Wie war das für Sie, mit dem eigenen Altern konfrontiert zu werden?

Es ist ein sehr nahe liegendes Thema für mich. Ich bin nicht so wie die Marianne im Film, aber viele Sätze, die sie sagt, könnten von mir sein und sind es auch. Der Mann fühlt eine Resignation wie eine Krankheit, er hat nicht Angst vor dem Tod, er hat Angst, vom Leben enttäuscht zu werden – und ist es auch. Er hätte gern mehr für sich erreicht. Diese Gedanken hat man im Alter. Wo waren die Schnittpunkte? Wo habe ich Entscheidungen getroffen, die den Weg in eine andere Richtung gelenkt haben? Man denkt an die verschiedenen Kapitel im Leben zurück, an die unkorrigierbaren Versäumnisse und daran, was einen wohl noch erwartet – nicht einfach.

Machen die Einschränkungen des Alters ungeduldig?

Ungeduldig bin ich immer, auch mit mir selber. Aber man sollte mit sich selber nicht zu streng sein. Ich merke, dass ich an einem Tag nicht mehr so viel schaffe wie noch vor einigen Jahren. Dann ist es doch legitim zu sagen: Ja, aber das, was du geschafft hast, hast du geschafft, es könnte schlimmer sein. Ich kann sowieso zufrieden sein, dass ich nicht krank bin, dass ich jeden Morgen aufwache, dass ich am Fenster stehe und mir denke, wie schön die Vögel singen – das sind Momente des Glücks. Das Paar im Film hat diese Momente verloren, die beiden machen sich mit Klagen gegenseitig das Leben schwer.

Kennen Sie das auch?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich finde, wenn man zusammen alt ist, ist es leichter. Ich will nicht nörgeln – und auch nicht, dass an mir genörgelt wird. Das ist überhaupt so eine Frage: Wie lebt man zusammen? Welchen Ton findet man? Welche Worte kann man wählen, damit der andere versteht, aber nicht verletzt wird? Diesen Respekt, diesen Anstand und diese Zeit muss man sich nehmen. Nörgeln ist furchtbar anstrengend. Sag, was du wirklich denkst. Oder sag’s nicht, weil du weißt, der andere wird sich eh nicht mehr ändern. Ich glaube, die Ehe fängt dann an eine gute zu werden, wenn man endlich versteht: Man wird den anderen niemals ändern.

Wann haben Sie das verstanden?

Sehr, sehr früh. Da waren wir schon zehn Jahre zusammen. Da habe ich verstanden, mein Mann sieht Chaos nicht. Jeder Raum wird von Michael in kürzester Zeit in eine Höhle verwandelt. Ich habe immer eine gewisse Ordnung versucht, und dann wurde mir klar: Lass es, es nützt nichts. Dann geht’s.

Haben Sie wie das Paar im Film auch das Ausmisten des Lebens angefangen?

Nein, aber die Szene hat in mir gearbeitet, und ich habe meinem Mann angedroht, dass ich jetzt all die Jahrgänge von Oldsmobile-Zeitschriften, die ein ganzes Bücherregal okkupieren, doch entsorgen werde. Das Paar im Film hat das aktive Leben weitgehend aufgegeben – eigentlich ist es ein Warten auf den Tod. Im Grunde ist ihre Liebe noch zu spüren, und dieses „sich erinnern“ – das ist wie eine Kur, eine Heilung. Ich als Senta habe ein sehr gutes Gedächtnis, und wenn es Situationen gibt, die mich wirklich verärgern, es sind ja nur Kleinigkeiten, aber eben deshalb ärgere ich mich, erinnere ich mich, warum ich mit Michael zusammen bin und wie unser Anfang, die ersten Jahre waren. Das finde ich sehr schön. Aber manche haben das verschüttet. Erinnerungen, auch Fotos – wir haben noch Alben – machen einen Teil unserer Gegenwart aus. Da ist Sentimentalität dabei und auch Zärtlichkeit für diese jungen Leute, die wir mal waren.

Bedauern Sie, nicht mehr so jung zu sein?

Natürlich! In diesen Apotheken-Zeitschriften sieht man immer so wahnsinnig gut aufgelegte alte Paare, die Fahrrad fahren und Tennis spielen – das ist nicht die Wirklichkeit. Man ist nicht ständig gut aufgelegt, alles wird anstrengender und man weiß auch: Die Jahre, die bleiben, sind überschaubar. Ich wäre gern noch mal jung! Und mein Mann auch! Und vielleicht ist das Glück, das wir gehabt haben, dass wir beide so unendlich viel und Schönes erlebt haben. Ich bedaure, dass das vorbei ist. Das ist der Lauf der Jahreszeiten. Man muss wissen, in welcher Jahreszeit man sich befindet.

Jeder gelebte Tag ist ein Abschied mehr vom Leben – macht sie das traurig?

Ich bin mir dessen bewusst und denk mir: Schade, das ist so unkorrigierbar und ich möcht’s gern festhalten und weiß doch, dass ich nichts festhalten kann. Und drum muss man das Talent zum Glücklichsein ausbilden, den Moment schön finden. Dieses Talent ist mir von meiner Mutter gegeben. Aber da sind auch viele Vorgänge in der Seele und im Bewusstsein, die kann man sich nicht einmal selber klarmachen.

Was kann man tun für Heiterkeit und Gelassenheit im Alter? Haben Sie ein Rezept?

Nein. Ich zum Beispiel brauche die Isar, ohne sie könnt ich’s in München gar nicht aushalten. Ich muss da spazieren gehen oder mit dem Fahrrad entlangfahren, dann muss ich wieder den Isarhang hinaufschieben und denk mir: Senta, jetzt schnauf nicht so. Ja, es ist anstrengender geworden, aber die Isar ist beruhigend für mich; sie ist da, sie ist schön, sie lebt, und ich habe Freude in der Natur. Ich kann mir bewusst machen, dass es mir gut geht, dass ich keine Krankheit habe. Manchmal kann ich es nicht, und dann bekomme ich von meinem Mann einen Rüffel. Das ist überhaupt gut, wenn man alt ist, dass man sich gegenseitig ermahnt und erinnert.

Würden Sie im wahren Leben so eine Tablette der Erinnerung einnehmen, wenn es eine gäbe?

Ich habe eine wirkliche Abneigung gegen bewusstseinsverändernde Medikamente jeglicher Art. Ich möchte alles aus mir heraus erleben. Ich bin schon vorsichtig beim Aspirin, denn ich weiß: Wenn ich Kopfweh habe, hat’s einen Grund.

Sind Sie zufrieden mit ihrem Leben, wie alles war?

Ich habe Ungerechtigkeiten begangen, Versäumnisse, die man nie mehr aus der Welt räumen kann. Das tut weh. Natürlich habe ich ein unendliches Glück gehabt, einen Mann zu finden, mit dem ich leben will, und dass ich einen Beruf habe, den ich liebe und in dem ich mich entwickeln konnte. Familienleben, Beruf – das ist eine Erfüllung. Aber ich kämpfe auch wie alle anderen mit dem Alltag und allerlei Widrigkeiten.

Verraten Sie mir eines Ihrer Versäumnisse?

Ich hatte während meiner Anfängerjahre in Berlin eine deutsche Agentin, Elli Silman. Eine Berlinerin, die in den 30er-Jahren emigrieren musste und 1946 mit den Amerikanern wieder nach Deutschland zurückkehrte. Sie hatte als Schauspielagentin alle Großen der 50er- und 60er-Jahre – sie war Teil einer großen Agentur. Als diese in Amerika zusammenbrach, traf es auch den deutschen Teil. Sie war plötzlich nicht mehr die Elli Silman, es blieb die Finanzierung aus Hollywood aus. Ich arbeitete damals schon in den USA und hatte dort einen amerikanischen Agenten. Aber ich hätte sagen müssen: Egal, was ich in Amerika mache, ich war in den entscheidenden ersten fünf Jahren bei dir und ich darf dir helfen. Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen; erst als sie tot war. Das ist ein Versäumnis, an dem ich heute noch schlucken muss.

Können Sie sich das nicht verzeihen, es situationsbedingt entschuldigen?

Nein, das muss ich tragen, das muss ich aushalten. Warum soll ich mir verzeihen? Dass es leichter ist … na ja, nein. Es muss nicht leichter sein. Das gehört im Leben auch dazu.

Interview: Ulrike Schmidt

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