Karlsruhe – „Es ist ein Wunschkind“, sagt Tobias über seinen Sohn. Der 44-Jährige aus Sachsen-Anhalt ist der leibliche Vater des heute Dreijährigen. Rechtlich ist er es aber nicht – und er hat nach geltender Gesetzeslage auch keine Chance, es zu werden. Deswegen ist Tobias, der nicht seinen ganzen Namen in der Zeitung lesen möchte, vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen, das den Fall gestern mündlich verhandelte. Ein Urteil ist erst in einigen Monaten zu erwarten. Notfalls, sagt der Kläger, werde er bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen. „Für mich ist solange nicht Schluss, bis ich alles probiert habe.“
Tobias und seine Lebensgefährtin trennten sich kurz nach der Geburt – das Kind blieb bei der Mutter, der leibliche Vater hat ein Umgangsrecht. Die Eltern waren allerdings nicht verheiratet – und zum Zeitpunkt der Trennung hatte der leibliche Vater noch keine Vaterschaftsanerkennung abgegeben. Das wollte er danach tun.
Das Problem: Das Standesamt hatte den neuen Partner der Mutter mit deren Zustimmung als rechtlichen Vater eingetragen – nachdem der biologische Vater einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt hatte. Das Gerichtsverfahren zog sich, mehrere Vermittlungsversuche scheiterten an der Mutter – und Tobias blitzte schließlich am Oberlandesgericht (OLG) Naumburg ab.
Das OLG berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach das Vaterschaftsanfechtungsrecht des leiblichen Vaters ausnahmslos ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am Familiengericht eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Das Gesetz will so das Kindeswohl schützen. Inzwischen leben die Frau, ihr neuer Partner ud das Kind seit etwa drei Jahren zusammen.
Der Kläger aus der Nähe von Halle (Saale) sieht seine Grundrechte verletzt. Die ersten anderthalb Monate nach der Geburt, sagt er, habe er noch mit seiner damaligen Lebensgefährtin und dem Sohn unter einem Dach gewohnt. Danach habe die Mutter nach und nach den Umgang zu kappen versucht. Mal durfte er sein Kind nur unter Aufsicht sehen, mal gar nicht. Zwei Gerichtsverfahren zu seinem Umgangsrecht seien schon abgeschlossen. Inzwischen sieht er sein Kind alle zwei Wochen für drei Stunden. „Es war ein harter Weg, um dahinzukommen.“ Er kündige per Mail an, dass er den Sohn wie vereinbart holt. Die Antwort seien meist zwei Buchstaben: OK. „Wenn ich mein Kind abhole, sieht es mich, rennt auf mich zu und ich krieg’ Küsschen“, erzählt Tobias. Sein Sohn nenne ihn Papa. Den neuen Mann an der Seite der Mutter aber auch.
In der Verhandlung blieben die Fronten verhärtet. „Die Mutter hat den leiblichen Vater systematisch aus dem Leben des Kindes verdrängt“, kritisierte Anwältin Franziska Köpke. Der Anwalt der Mutter entgegnete, der leibliche Vater versuche, sich in eine funktionierende Familie zu drängen und wolle das höchste Gericht Deutschlands benutzen, um Fehler aus dem Verfahren am Familiengericht zu korrigieren.
Im Hintergrund der Verfassungsbeschwerde steht eine wachsende Zahl ähnlicher Verfahren, in denen leibliche Väter um ihre rechtliche Vaterschaft kämpfen. Weil die Elternschaft nach deutschem Recht grundsätzlich nur bei höchstens zwei Personen liegen kann, kommt es häufig zum Streit. Die Folgen sind weitreichend: Nur wer rechtlicher Vater ist, hat umfassende Mitbestimmungsrechte und -pflichten, etwa im Sorgerecht, beim Unterhalt oder bei der Entscheidung über medizinische Behandlung oder Schulwahl.
Das weiß auch Tobias. Sollte er rechtlicher Vater werden, möchte er das anteilige Sorgerecht erkämpfen. Nur als biologischer Vater gehe das nicht, sagt er. In der Position könne er den Umgang mit seinem Sohn nur in einem Umfang einklagen, wie etwa Großeltern es können. „Mein Umgangsrecht ist eingeschränkt. Das kann ich so nicht ausweiten, lediglich einbüßen.“
In der Verhandlung warfen Experten die Frage auf, ob die vom Bundesverfassungsgericht 2003 bestätigte Beschränkung der Elternschaft auf zwei Personen angesichts neuer Familienmodelle noch zeitgemäß ist. Der Deutsche Anwaltverein hält die Rechtslage für verfassungswidrig. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer fordert eine Anpassung an die Realität. Denn Familienformen sind im Wandel. Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare, Patchwork- oder Stiefvater-Familien stellen das Zwei-Eltern-Prinzip auf den Prüfstand.
Sabine Walper von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie betont, in Stieffamilien, in denen mitunter drei Menschen Verantwortung für ein Kind übernehmen, gebe es keineswegs mehr Konflikte. Die Zahl möglicher Bindungen, die ein Kind eingeht, sei zudem nicht auf zwei Personen begrenzt, sagt die Expertin mit Blick auf Großeltern, Geschwister und Erzieherinnen.
Verfassungsrichter Henning Radtke machte gleich zu Beginn der mündlichen Verhandlung deutlich, dass das Gericht bisher davon ausgegangen sei, dass sich mehr als zwei Elternteile wegen möglicher Kompetenz- und Rollenkonflikte negativ auf das Kindeswohl auswirken könnten. Die Grundlagen dieser Annahme seien nun zu klären.
Das Urteil aus Karlsruhe könnte Einfluss auf die von der Ampel-Koalition geplante Reform des Abstammungsrechts haben. Es gebe grundsätzlichen Reformbedarf, sagte Angelika Schlunck, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, in Karlsruhe. Unter anderem solle Komutterschaft ermöglicht werden, also die Anerkennung einer zweiten Frau als Mutter bei lesbischen Ehepaaren. Zudem solle das Recht von Kindern gestärkt werden, Auskunft über ihre leibliche Abstammung zu bekommen. Zentral sei die Frage des Kindeswohls. Die Entscheidung über die rechtliche Vaterschaft müsse sich daran orientieren. Da die Thematik „nicht ganz trivial“ sei, werde es wohl bis Sommer 2025 dauern, bis die Vorschläge ausgearbeitet sind.
Das Gesetz sieht bisher nur einen Vater vor
Anwaltverein hält
Rechtslage für
verfassungswidrig
Abstammungsrecht:Ampel kündigt Reform für 2025 an