Der Kandidat, der Kanzler und die Krise

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Optimismus, eilig hingenuschelt, ist keiner – jedenfalls kein überzeugender. Aber jetzt ist der Kollege aus Bayern nun mal da, also sagt Lars Klingbeil etwas Aufbauendes. Viele dächten erst drei, zwei, eine Woche vor einer Wahl über dieselbe nach. Es sei also noch „viel Bewegung drin“ in Bayern, wie 2021 im Bund. Der SPD-Chef meint das Scholz-Wunder, an das lange nur Scholz selbst glaubte. Dann zeigte er es allen.

An der Geschichte vom siegreichen Olaf bauen sich seither alle SPD-Wahlkämpfer auf, auch Florian von Brunn, der an einem Montag im September neben Klingbeil im Berliner Willy-Brandt-Haus steht. Drei Wochen sind es da noch bis zur Wahl. Das von-Brunn-Wunder lässt, vorsichtig gesagt, auf sich warten. Die Kanzlerpartei liegt in Bayern bei neun Prozent. Flöge die FDP raus, wäre die SPD kleinste Fraktion im Landtag.

Man ahnt: Von Brunn (54) hat keinen leichten Job. Als Parteichef, Fraktionschef und Spitzenkandidat ist er in der SPD zwar so mächtig wie lange niemand mehr. Deshalb ist auch die Kampagne voll auf ihn zugeschnitten – von den schwarz-weiß-roten Plakaten, die man noch aus dem Scholz- Wahlkampf kennt, lächelt vor allem er. Heißt aber auch: Alles lastet auf ihm. Er muss Zuversicht verbreiten, wo es wenig Grund dazu gibt, brutal.

„Ich bin ein Kämpfer“, sagt er am Tag nach dem Berlin-Auftritt auf der Terrasse eines Münchner Wirtshauses. Im Glas vor ihm perlt eine Rhabarberschorle und obwohl die Sonne scheint, pfeift ein kühler Wind durch von Brunns Sätze. „Wenn ich eine Aufgabe übernehme, hänge ich mich voll rein.“ Er will die SPD stärker machen als 2018, als man katastrophale 9,7 Prozent einfuhr. Das zu überbieten, ist Pflicht. Zielmarke? Sagt von Brunn nicht.

Das war schon mal anders. 15 plus x Prozent seien drin, sagte der Spitzenkandidat, und um zu zeigen, wo es hingehen soll, schrieben die Genossen 2022 kein Wahl-, sondern gleich ein Regierungsprogramm. Ziemlich verrückt klang das, andererseits rollte ja gerade in Berlin der Scholz-Zug und schleifte die Landesverbände ein Stückweit mit. In den Monaten nach der Bundestagswahl lag die Bayern-SPD plötzlich bei 14, 15, 16 Prozent, das Institut Insa kam sogar mal auf 20. Es war zu schön, um wahr zu sein.

Die Dynamik von damals ist längst dahin, der Kanzlerbonus scheint eher ein Malus geworden zu sein, was von Brunn nicht davon abhält, mit Scholz Wahlkampf zu machen. Die Gründe dafür, dass die SPD nicht vom Fleck kommt, sieht er woanders. Es sei bisher kaum um Landespolitik gegangen, sagt er, vor allem wegen Markus Söder. „Seine Bilanz ist schlecht, das weiß er auch. Um davon abzulenken, redet er zuerst ständig über Berlin.“ Dann kam Aiwanger, die Erding-Demo, das Flugblatt. Die Debatte darüber überlagerte alles.

Von Brunn selbst ist der Ansicht, er tue, was er kann. „Ich finde, dass ich einen engagierten Wahlkampf mache“, sagt er. An Selbstbewusstsein, das weiß man in der Partei, mangelt es ihm nicht. Seit 2013 sitzt der frühere IT-Berater im Landtag und biss sich nach oben. Zwei Mal scheiterte er bei Kandidaturen um den Partei- (2017) und den Fraktionsvorsitz (2018). 2021 gewann er beide Posten knapp – den Parteivorsitz teilt er sich seither mit Ronja Endres, die selbst Politikinteressierte kaum kennen. Nicht wenige haderten mit von Brunn, teils offen. Als er dann mit 93 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt wurde, wurden die Stimmen leiser.

Jetzt läuft der Wahlkampf. Und während die Kampfmaschine Söder quasi täglich den Bayern-Kosmos durchquert, versucht von Brunn, Schritt zu halten. Er geht in Bierzelte, Gesprächsrunden, an Wahlkampfstände, ins Radio und auch mal in eine Kita. Dabei tritt er vergleichsweise leise auf, was manche wundert, denn von Brunn kann austeilen. Beispiel: Gerade zum Fraktionschef gewählt, nannte er die Vorgänger der CSU im Landtag „Steigbügelhalter von Adolf Hitler“. Das rummste, er kassierte eine Rüge, aber die SPD war im Gespräch.

Der neue ruhigere Ton sei eine bewusste Entscheidung, sagt von Brunn auf der Wirtshausterrasse. Wo Söder und Aiwanger rumpelnd und kulturkämpfend durchs Land pflügen, will er seriös wirken: „Ich will unsere Themen sachlich rüberbringen“, sagt er. Die Schwerpunkte: bezahlbare Mieten, Probleme bei Pflege und Kitaausbau, Erneuerbare Energien. Alles wichtig, alles Themen, die unter den Nägeln brennen. Aber ist es genug in einem Wahlkampf, in dem es um vieles geht, aber kaum um Inhalte?

Dass von Brunn nicht richtig durchdringt, führen manche in der SPD auf die Kampagne zurück, zu brav sei sie, zu mutlos. Selbst der Mann, der dafür verantwortlich ist, deutete so etwas an. Raphael Brinkert steckte schon hinter dem erfolgreichen Scholz-Wahlkampf und ließ sich auch von der Bayern-SPD engagieren. Mitte Juli twitterte er: „Eine Agentur kann nur so hoch springen, wie der Kunde es zulässt.“ Das verstanden manche in der Partei als Seitenhieb, von Brunn sieht das anders. Brinkert habe viele Kunden. „Ich glaube, er meinte uns nicht.“

Aber vielleicht ist diese Art interner Kritik auch zu kleinkariert angesichts der Probleme, die die SPD seit Jahren mit sich rumschleppt: eine lange zerstrittene Landtagsfraktion, schwindende Verwurzelung auf dem Land, zu wenig Profil, zu wenig prominente Köpfe. Das gilt mitunter auch für den Spitzenkandidaten, dem Söder mal den Spottnamen „Florian von Dings“ verpasste.

Wenig hilfreich war auch die Diskussion, die sich die SPD zu Jahresbeginn um Arif Tasdelen leistete. Weibliche Jusos warfen dem Generalsekretär „unangemessenes“ Verhalten vor – angeblich fragte er in einem Fall nach einer Handynummer. Parteigranden wie Renate Schmidt stöhnten, nannten die Vorwürfe „Pipifax“ , Tasdelen trat trotzdem zurück. Viele sahen darin eine traurige Zustandsbeschreibung der SPD.

Vielleicht fühlte sich auch von Brunn damals wie im falschen Film. Dennoch musste er erklären, warum die SPD zu Beginn des Wahljahrs ihren Wahlkampfmanager hinausbefördert. „Ich will Verantwortung übernehmen“, sagt er immer wieder. Aber könnte diese SPD das auch?

Er hat sich dafür eine Argumentation zurechtgelegt. In Bayern, sagt er auf Veranstaltungen gern, regierten 200 SPD-Bürgermeister fast ein Drittel der Bevölkerung. Jetzt brauche es auch im Land einen, der anpackt, statt nur zu versprechen, er sagt „machen statt södern“. Dass ohne die CSU nach wie vor nichts geht, weiß er natürlich auch.

Als die Causa Aiwanger kochte, machten wilde Gedankenspiele die Runde. Wenn die Freien Wähler als Partner ausfielen und die Grünen nicht infrage kommen, dann bliebe nur noch die SPD. Laut BR-Bayerntrend könnten sich immerhin 28 Prozent der Wähler mit Schwarz-Rot anfreunden. „Wenn ich Söder wäre, würde ich anrufen“, sagt von Brunn und lächelt. Die Frage stelle sich im Moment aber gar nicht.

Eine andere Frage stellt sich schon: Wächst die SPD – oder fällt sie unter das Ergebnis von 2018? Falls letzteres eintritt, wird man die Schuld auch beim Spitzenkandidaten suchen. „Bayern braucht Florian von Brunn“, steht auf vielen der Wahlplakate. Die Partei meint das ernst. Noch.

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