Manila/München – Schwimmende Leinen mit Plastikbojen kennt man vor allem vom Badestrand. Doch auch Chinas Küstenwache fand kürzlich dafür Verwendung: Sie spannte eine 300 Meter lange Leine mit Dutzenden weißen Bojen zwischen zwei Landzungen des Scarborough-Riffs. Damit wollte sie philippinischen Fischerbooten die Durchfahrt verweigern.
Manila ließ die Kette wenige Tage später durch eine Spezialeinheit entfernen. Was wie Geplänkel anmutet, ist ziemlich ernst: Das Scarborough-Riff liegt in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Philippinen – damit bezeichnet man ein Seegebiet, in dem der Küstenstaat das alleinige Recht zur Ausbeutung besitzt. Die philippinische AWZ umringt den Inselstaat in 200 Seemeilen Breite. Doch China beansprucht das Riff als eigenes Territorium.
Schon lange streiten beide Länder um Inseln, Atolle und Riffe im Südchinesischen Meer. China ließ 2021 wochenlang 200 angebliche Fischerboote in der Bucht des von den Philippinen kontrollierten Whitsun-Riffs ankern, die niemand je beim Fischen gesehen hat. Seither steigt die Zahl der Zwischenfälle. Im Februar dieses Jahres wurde ein philippinisches Schiff nach Angaben aus Manila vom Laser eines chinesischen Bootes getroffen. Im August blockierte Chinas Küstenwache ein philippinisches Versorgungsschiff mit Wasserwerfern. Es hatte einem Dutzend Soldaten Nahrung und Wasser bringen wollen, die auf einem rostigen Wrack am Rande der Spratly-Inselgruppe ausharren, um dort die Präsenz Manilas zu demonstrieren.
Ein Meer, viele Territorialkonflikte
Einer der Gründe für die Spannungen ist die größere Nähe der Philippinen zur ehemaligen Kolonialmacht USA, seit Präsident Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. im Juni 2022 sein Amt angetreten hat. Marcos erlaubte der US-Marine die Nutzung von vier weiteren philippinischen Stützpunkten. Im April hielten beide Staaten das größte gemeinsame Manöver aller Zeiten ab. Marcos kletterte dazu sogar publikumswirksam in einen Himars-Raketenwerfer – eine US-Waffe, die auch die Ukraine gegen Russland einsetzt.
Peking reagiert hochgradig allergisch auf jede US-Präsenz in der Region, etwa wenn Washington als Reaktion auf Zwischenfälle demonstrativ Kriegsschiffe in die umstrittenen Gewässer entsendet. China sieht sich in seinem Hinterhof als natürlicher Hegemon. Daher bergen die Inselstreits auch überregionales Konfliktpotenzial. Internationale Beobachter warnen vor einer Eskalation bis hin zum bewaffneten Konflikt (siehe Interview rechts).
In anderen Teilen der Region ist man weniger pessimistisch. Malaysia etwa glaubt, Probleme mit Peking am Verhandlungstisch lösen zu können. „Bei wirklich umstrittenen Fragen können wir miteinander reden“, sagte Premierminister Anwar Ibrahim. Er will sich nicht zwischen Peking und Washington entscheiden: „Wir müssen sicherstellen, dass wir sowohl zu China als auch zu den USA exzellente Beziehungen haben“, betonte Anwar. Malaysias Staatsunternehmen Petronas beutet mehrere Öl- und Gasfelder vor der Küste des Landes in Gewässern aus, die auch China beansprucht. Mehrfach näherten sich in der Vergangenheit Schiffe der chinesischen Küstenwache dem Gebiet.
Peking setzt auf Einschüchterung
Weiter nördlich, im Gebiet der Spratly- und Paracel-Inseln, geraten immer wieder vietnamesische Fischerboote mit Chinas Küstenwache aneinander. Auch Vietnam sucht wegen solcher Probleme vermehrt die Nähe zum einstigen Erzfeind USA.
China beschwört offiziell Diplomatie. Als Gast auf dem Gipfel des südostasiatischen Staatenbundes Asean Anfang September erklärte Chinas Ministerpräsident Li Qiang, dass man Differenzen durch Dialoge beilegen könne. Das Südchinesische Meer solle ein „Meer des Friedens, der Freundschaft und der Zusammenarbeit“ sein. Doch Chinas Verhalten widerspricht dem. China entlarve seine Absichten durch „den Bau von Landebahnen und Militäranlagen auf mehreren künstlichen chinesischen Inseln in der Region“, schreibt Rahman Yacoob, Südostasien-Experte am australischen Lowy Institute. Hinzu kommen die Einschüchterungsversuche der Küstenwache.
China versuche stets, die Einmischung „externer Mächte“ – gemeint sind meist die USA – als Ursache für Konflikte mit den Asean-Staaten verantwortlich zu machen, so Yacoob. „Dieses falsche Narrativ geht jedoch davon aus, dass die Asean-Mitgliedsstaaten keine eigene Handlungsfähigkeit bei der Feststellung von Bedrohungen und in ihrer Verteidigungspolitik haben.“ Und so wies Marcos das chinesische Narrativ auf dem Asean-Gipfel deutlich zurück: „Die Philippinen lehnen irreführende Darstellungen entschieden ab, die Konflikte im Südchinesischen Meer ausschließlich durch die Brille des strategischen Wettbewerbs zwischen zwei mächtigen Ländern betrachten.“
Die Asean-Staaten hielten vergangene Woche erstmals allein, ohne die USA, ein Seemanöver ab – und zwar ganz bewusst nahe den indonesischen Natuna-Inseln, die direkt außerhalb des chinesischen Anspruchsgebiets liegen. Peking müsse erkennen, dass sein Verhalten im Südchinesischen Meer eine engere Zusammenarbeit Chinas mit Asean verhindere, meint Yacoob. „Es muss den politischen Willen haben, die Kluft zwischen seiner Rhetorik und seinen Taten zu überbrücken – andernfalls wird es in Zukunft nur wenige regionale Freunde finden.“