„Der Paparazzo der Elektronen“

von Redaktion

Der Münchner Ferenc Krausz erhält für seine Forschung in der Attosekundenphysik, wo es um winzigste Zeitspannen geht, den Nobelpreis

München – Ferenc Krausz ist ein kluger Kopf, kein Sachverhalt scheint zu komplex, aber gestern gegen Mittag stößt selbst er an seine Grenzen. „Ich versuche zu realisieren, dass das Realität ist und kein Traum“, sagt er, nachdem ihn die Nachricht aus Stockholm erreicht hat. Krausz (61) hat da gerade erfahren, dass er mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wird – gemeinsam mit den französischen Co-Preisträgern Pierre Agostini (Ohio State University) und Anne L’Huillier (Universität Lund), der erst fünften Frau in der Geschichte des Physik-Preises.

Eine Menge Menschen bekommen aus nächster Nähe mit, wie die Welt des ungarisch-österreichischen Physikers, der seit 20 Jahren in München lebt und einen Lehrstuhl für Experimentalphysik an der LMU hat, kurzzeitig aus den Fugen gerät. Am Garchinger Max-Planck-Institut für Quantenoptik, dessen Direktorium Krausz seit 2003 als Leiter der Abteilung Attosekundenphysik angehört, ist gestern Tag der offenen Tür. So eine Veranstaltung soll Neugierige anziehen und für eine Einrichtung werben. Besser als mit einem frischgekürten Nobelpreisträger geht das nicht.

Die Forscher haben einen Weg gefunden, extrem kurze Lichtblitze zu erzeugen, mit denen sich jene ultraschnellen Prozesse messen lassen, in denen sich Elektronen bewegen oder Energie ändern. „Diese Bewegungen initiieren jegliche molekulare Vorgänge in lebenden Organismen und sind letzten Endes auch für die Entstehung von Krankheiten auf fundamentalster Ebene verantwortlich“, sagt Krausz. Erkenntnisse in diesem Bereich könnten daher für die Medizin wichtig sein.

Vorstellbar ist das alles für Laien nur bedingt. Schnelllebige Ereignisse gehen in der Wahrnehmung des Menschen ineinander über – so wie ein aus Standbildern bestehender Film als kontinuierliche Bewegung wahrgenommen wird. In der Welt der Elektronen fänden Veränderungen in wenigen Zehntel Attosekunden statt, erklärt das Nobelkomitee. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstelsekunde. Eine denkbar winzige Zeitspanne also. Sie ist „so kurz, dass es in einer Sekunde so viele davon gibt, wie es Sekunden seit der Entstehung des Universums gibt“, schreibt das Komitee. Das Universum ist 13,8 Milliarden Jahre alt.

Auch die Max-Planck-Gesellschaft erklärt Krausz’ Tätigkeit sehr anschaulich, aber in der Wortwahl etwas blumiger als die Schweden. Der Professor sei „der Paparazzo der Elektronen“, schreibt sie in ihrer Würdigung. Er ist da, wo Wichtiges geschieht, sieht Dinge, die nicht jeder sieht, und macht sie der Menschheit zugänglich.

Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) lobte Krausz’ Arbeit als „bahnbrechende Entdeckung, die uns unsere Welt bis ins Kleinste noch besser verstehen lässt“. Er erinnerte daran, dass in den vergangenen 18 Jahren nun schon drei Physik-Nobelpreise an den Forschungsstandort München – er nennt ihn „Nobel-Valley“ – gingen. 2005 gewann ihn Theodor Hänsch, 2020 der Garchinger Astrophysiker Reinhard Genzel.

„Wir können jetzt die Tür zur Welt der Elektronen öffnen“, erklärte Eva Olsson, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik. „Die Attosekunden-Physik bietet uns die Möglichkeit, Mechanismen zu verstehen, die von Elektronen gesteuert werden.“ Dazu zählen etwa Geräte wie Computer oder Mobiltelefone. Auf Basis von Krausz’ Forschungen seien zudem neue Arbeitsgebiete entstanden wie die hochauflösende Mikroskopie lebender Organismen oder die Diagnose von Augen- und Krebskrankheiten per Laser, schrieb die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

In einer Langzeitstudie geht es besonders um die Früherkennung von Tumoren von Lunge, Brust und Prostata. Dabei werden bei 10 000 Teilnehmern, die anfangs gesund waren, regelmäßig Blutproben mit Infrarot-Laserlicht durchleuchtet, um Hinweise auf sich ausbildende Krankheiten zu gewinnen.

Die Resultate seien „sehr vielversprechend“, sagt Krausz. Bis zum Durchbruch dürfte es aber noch dauern. „Fünf bis zehn Jahre“, schätzt er. Für einen Menschen, der in Attosekunden denkt, muss sich das ziemlich lang anfühlen. M. BEYER/W. WILLEMS

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