Der Masken-Millionärin droht lange Haftstrafe

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Andrea Tandler (40) steht reglos vor den Kameraleuten, eine quälende Minute lang. Im Gegensatz zu einem früheren Auftritt vor dem Masken-Untersuchungsausschuss im Landtag trägt sie weder Sonnenbrille noch Mundschutz, stoisch lässt sie das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Dann betritt die Richterin den Raum B277 und die Fotografen müssen gehen.

Anna Maria Andrea Tandler, Rufname Andrea, viertes von sechs Kindern der Eheleute Tandler, Beruf Geschäftsführerin einer kleinen Werbeagentur, so stellt sie sich im Landgericht München I vor. Dort ist sie nun angeklagt – zusammen mit ihrem Geschäftspartner, dem Gastronomen Darius N. (52), einem Deutsch-Iraner, der in München zwei italienische Lokale betrieb. Bis zum Frühjahr 2020. Als die Corona-Pandemie ausbrach, wurden die Werbefachfrau und vielleicht auch der Gastronom ziemlich plötzlich zu zentralen Akteuren bei der Beschaffung von Schutzausrüstung. Allein Tandler kassierte dafür gut 26,5 Millionen Euro. Das ist nicht strafbar.

Strafbar könnte indes sein, was das Duo, das nun auf unbequemen orangenen Klappsitzen im engen Saal des Landgerichts hockt, gegenüber dem Finanzamt angab. Und genau darum geht es in diesem Prozess: mögliche Steuerhinterziehung in Höhe von 23,5 Millionen Euro. Einkommenssteuer, Schenkungssteuer, Gewerbesteuer, dazu noch Subventionsbetrug – es kommt nach Ansicht der Anklage einiges zusammen. Die Summe der hinterzogenen Steuern ist, wenn die Anklage zutrifft, um ein Zehnfaches höher als im Fall des Kochs Alfons Schuhbeck – der vor einem Jahr zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt wurde und ja bekanntlich jetzt im Gefängnis sitzt. Es geht also um viel für die Frau mit Pferdeschwanz, die gesundheitlich angeschlagen wirkt und während des ersten Prozesstags Tabletten nimmt.

Seit 24. Januar sitzt das Duo in Untersuchungshaft, N. wird zum Prozess sogar in Handschellen vorgeführt. Der Prozess beginnt mit einer Erklärung der Angeklagten, die über eine Stunde dauert – und zeigt, dass die Vorwürfe die Familie Tandler im Kern erschüttert haben. Andrea Tandler unterdrückt kurz Tränen, als sie ihre Jugend als Tochter eines CSU-Generalsekretärs schildert. Ein Leben unter Anfeindungen, weil sie eben eine Tandler war, was die Familie aber auch zusammenschweißte. So ähnlich kennt man das auch aus Schilderungen anderer CSU-Familien, etwa von Monika Hohlmeier. „Ich kann mir vorstellen, welches Bild in der Öffentlichkeit entstanden ist“, sagt Andrea Tandler gleich zu Beginn. „Da sitzt sie, die Tochter eines CSU-Amigos“, die „Millionen an Steuergeldern abgezockt hat“.

So war es aber nicht, beteuert sie. Ihr Leben sei jetzt „komplett aus den Angeln gehoben“ – das alles zu zeigen, ist Ziel ihrer Ausführungen, die einen subjektiven, aber durchaus spannenden Einblick in die Anfangszeit der Corona-Pandemie vermitteln. In jene Zeit, da staatliche Stellen händeringend nach Schutzmasken, Desinfektionsmitteln und Testkits suchten – und Andrea Tandler und ihr Partner N. eine der ersten waren, die lieferten.

Ohne ihren prominenten Namen, das wird rasch deutlich, wäre es wohl nicht gegangen. Vor Gericht werden hunderte Seiten Chat-Protokolle vom Privat-Handy Tandlers ausgebreitet. Es sind stellenweise sehr vertrauliche Nachrichten, die sich Tandler und ihr Partner N. schickten. An einer Stelle protzte sie auch mit ihrer Herkunft: „Mein Vater war früher Finanzminister von Bayern, ich denke, man nimmt mir das also glaubhaft ab“, schrieb sie.

Die Geschichte begann nach Angaben von Tandler am 27. Februar 2020 mit einem Telefonat. Tandler war befreundet mit einer Frau, deren Ehemann Vertragspartner der EMIX Trading GmbH in der Schweiz war. Dieser fragte Tandler wohl ziemlich unverblümt nach Vertriebsmöglichkeiten für FFP2-Schutzmasken. Er habe eine Million Stück auf Lager.

Und Tandler witterte ein Geschäft. Ja, so sagt sie, sogleich habe sie die Schwester des CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer via Whatsapp angeschrieben, dann den CSU-Generalsekretär Martin Huber. Später auch Monika Hohlmeier. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Da könne sich ein „Mega-Deal“ anbahnen, so schrieb es Tandler via SMS an ihren Geschäftspartner N., der noch im Skiurlaub weilte.

Als der erste Deal – eine Million FFP2-Masken für das bayerische Gesundheitsministerium – unter Dach und Fach schien, ging es Schlag auf Schlag. Anfragen rollten „wie ein Tsunami“ über das Duo. Ministerien, die Bundeswehr, ja selbst die Bezirksregierung der Lombardei und die Vereinigten Arabischen Emirate schienen interessiert. An einem Sonntagmorgen Anfang März 2020 war es dann soweit, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn selbst am Handy von Andrea Tandler anrief. Er wolle sich nun selbst um die Beschaffung des Corona-Schutzes kümmern, so gibt Tandler den Minister wider. Schon kurz darauf hatte sie eine Bestellung über 350 Millionen Einweg-Handschuhe am Laufen. All das soll dem Gericht wohl vermitteln: Um das alles steuerlich sauber und fristgerecht abzuwickeln, sei vielleicht gar keine Zeit gewesen.

Ob das so stimmt? In all der Hektik hatte Andrea Tandler noch Zeit, am 1. April 2020 eine Corona-Hilfe für ihre Werbeagentur Pfennigturm zu beantragen. 9000 Euro – obwohl da schon Provisionen in Millionenhöhe winkten. Subventionsbetrug wirft ihr die Anklage vor. Es ist nur ein kleiner Punkt. Gravierender ist – zum Beispiel – der Vorwurf der Gewerbesteuer-Hinterziehung. Für die Gewerbesteuer wurde die Firma Little Penguin mit Sitz in Grünwald angemeldet. In einem Haus, in dem auch 20 weitere Firmen gemeldet waren. Womöglich Briefkastenfirmen? Der Immobilien-Vermieter ist in einem separaten Verfahren angeklagt. In Grünwald ist die Gewerbesteuer so niedrig wie sonst fast nirgendwo in Bayern. Tatsächlich wurden die Geschäfte, so die Staatsanwaltschaft, aber in den Münchner Restaurants von N. abgewickelt. In München ist die Gewerbesteuer bayernweit am höchsten.

Der Prozess dauert bis mindestens 17. November an.

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