München – Wenn sich Paul Jung (18) über das tägliche Polit-Geschehen informiert, dauert das nur etwas mehr als anderthalb Minuten. Kopfhörer rein, Spotify-App an, Play. „Guten Tag, hier ist die Tagesschau in 100 Sekunden“, sagt dann der ARD-Sprecher des Podcasts – am Freitag ging es etwa um den EU-Gipfel in Granada, das Treffen zwischen Steinmeier und Biden und den Literatur-Nobelpreis. Detail-Infos kommen portioniert über den Tag verteilt. „Oft auch ungewollt“, sagt Jung. „Bei Instagram oder Youtube werden mir immer wieder die Kanäle von Parteien angezeigt. Da sehe ich, was die zu bestimmten Themen zu sagen haben.“
Jung findet das nützlich. So weiß er, wem er an diesem Sonntag bei der Bayern-Wahl seine Stimme geben möchte. „Ich freue mich, dass ich auch endlich Verantwortung übernehmen darf“, erzählt der Münchner, der dieses Jahr Abitur gemacht hat. Für den 18-Jährigen ein Event: zum ersten Mal in die Wahlkabine gehen, zum ersten Mal das Kreuzerl machen. 554 000 Erstwählern im Freistaat geht es so. Die Bayern, die seit der Landtagswahl 2018 volljährig geworden sind – also Jahrgang 2000 bis 2005 –, machen fast sechs Prozent der Wähler aus.
Die Jugend stimmte 2021 für Grüne und FDP
Dass die jungen Leute anders ticken als der Durchschnittswähler, hat schon die letzte Landtagswahl im Jahr 2018 gezeigt (siehe Grafik): 26 Prozent der Wähler zwischen 18 und 24 gaben den Grünen ihre Erststimme – damit lag die Partei anderthalb Prozentpunkte vor der CSU. Drittstärkste Kraft war die FDP mit 10,1 Prozent – am Ende schafften es die Liberalen mit 5,1 Prozent der Gesamtstimmen gerade so in den Landtag. Die Grünen kamen auf 17,6 Prozent, die CSU auf 37,2 Prozent – gerettet vor allem von den Wählern über 70.
Noch krasser war der Unterschied zwischen Jung und Alt bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren. Da wählten gleich 19,8 Prozent der Bayern unter 25 die FDP; die Grünen waren mit 21,7 Prozent stärkste Kraft. Für die CSU ein Trauerspiel: Nur 14,3 Prozent der Jungwähler gaben der Volkspartei ihre Stimme.
Marie Palka (18) hat schon gewählt – per Briefwahl. „Es ist cool, endlich mitentscheiden zu dürfen“, meint sie. Die Münchnerin lebt bei ihren Eltern, ihr Abi steht nächstes Jahr an. Trotzdem macht sie sich schon Gedanken, wie sie bezahlbaren Wohnraum finden soll. „Generell könnte die Politik jungen Leuten dabei helfen, sich besser zu orientieren“, sagt sie. „Viele junge Leute wissen nicht, wie es nach der Schule weitergeht.“
Wichtig sind ihr auch die Themen Klimawandel und Wirtschaft. Um in den Bereichen ihre Lieblingspartei auszuwählen, hat sie verschiedene Medien quergelesen. „Ich hab von vielen Zeitungen Apps runtergeladen“, sagt sie. In klassischen Nachrichten könne man sich immer noch am besten informieren, findet sie. Kritisch sieht sie dagegen Politiker, die „auf Influencer machen“. Viele Landtagskandidaten würden versuchen, sich selbst zur Marke zu machen. „Das kommt unauthentisch rüber“, findet Palka.
Wie also junge Menschen gezielt ansprechen? Für Politiker sei das eine enorme Herausforderung, sagt Wahlkampfberater Martin Ferlesch. „Die wenigsten jungen Leute lesen noch Zeitung oder schalten den Fernseher ein“, erklärt er. „Andererseits sind viele Politiker mit Plattformen wie Instagram oder TikTok überfordert.“ Wenn man diese Medien nicht selbst nutze, die Trends nicht verfolge – dann ist das „extrem schwierig“, dort ein breites Publikum zu gewinnen. Dazu das Risiko der Verschlimmbesserung. „Wenn jeder sehen kann, dass mir als Politiker nur 23 Menschen auf Instagram folgen – das ist schon ziemlich peinlich.“
Wolfgang Heubisch (77) hat sich trotzdem getraut. Der FDP-Landtagsabgeordnete hat 116 000 Follower auf TikTok und präsentiert sich auf der Plattform regelmäßig mit selbstironischen Videos und launiger Musik. Mit seiner Führung durch den Landtag – inklusive Sauna und Spa-Bereich – hat er 2,3 Millionen Nutzer erreicht. „Klar, diese Auftritte waren mir am Anfang ein bisschen peinlich“, sagt er. „Aber es ist irre, wie gut das bei jungen Leuten ankommt.“ Er selbst treibt sich nicht auf TikTok rum. „Ich lasse mir da von den jungen Leuten in meinem Team helfen.“ Man komme sonst doch schlecht an die Jugend ran, sagt er.
Junge Politiker machen klassischen Wahlkampf
Benedikt Klingbeil geht den Wahlkampf dagegen eher konventionell an – auch wenn er selbst zur Generation TikTok gehört. Der Direktkandidat der SPD in Erding ist besonders nah am Erstwähler dran – denn er ist mit seinen 19 Jahren selbst einer. An die anderen Erstwähler im Wahlkreis hat er klassisch einen Brief geschickt. Er sei kein Fan davon, in den Sozialen Medien nach Wählern zu fischen. „Ich persönlich habe auf Plattformen wie Instagram wenig Lust auf politische Inhalte“, sagt er.
Auch Kristan von Waldenfels setzt eher auf einen dezenten Internet-Aufritt. Der Politiker geht im Landkreis Hof für die CSU ins Rennen – und ist mit 23 Jahren der jüngste Bürgermeister Deutschlands. Seit drei Jahren sitzt er im Lichtenberger Rathaus. Auf Instagram präsentiert er sich zu Gast bei Landwirten oder bei der örtlichen Polizeiinspektion. Selfies oder Fotos vom Mittagessen – wie etwa auf dem Profil von Parteichef Markus Söder – gibt’s nicht. „Ich halte es für ganz entscheidend, dass man in den Sozialen Medien glaubwürdig rüberkommt“, sagt er. „Und dass man sich nicht an Klischees bedient, wenn man junge Menschen ansprechen will.“ Es gehe ihnen zum Beispiel nicht allein um den Klimaschutz, wie das oft dargestellt werde.
Das legt auch die neueste U18-Wahl nahe, bei der kürzlich 60 000 Kinder zwischen zehn und 17 Jahren ihre symbolische Zweitstimme für die Landtagswahl abgegeben haben. Die Grünen als Umwelt-Partei wurden besonders hart abgestraft: Die Partei kam auf 13,3 Prozent, also zehn Prozentpunkte weniger als bei der letzten U18-Wahl. Stärkste Kraft wurde die CSU mit 26,1 Prozent, danach folgten AfD (14,9) und SPD (13,7). Und hätten die Kinder Bayerns wirklich wählen dürfen, hätte es sogar die Tierschutzpartei mit 3,9 Prozent fast in den Landtag geschafft.