Tel Aviv – Am Abend musste die Scholz-Delegation schlagartig das Flugzeug verlassen. Die Israel-Reise des Kanzlers neigte sich gerade dem Ende zu, da ging plötzlich der Raketenalarm los. Scholz wurde mit einem Auto in ein Gebäude gefahren, die anderen Passagiere wurden aufgefordert, sich auf dem Flugfeld auf den Boden zu legen. Es wurden zwei Flugabwehrraketen abgefeuert, die auf dem Flugfeld deutlich zu hören waren. Nach wenigen Minuten war alles wieder vorbei – und Scholz konnte seine Weiterreise nach Ägypten antreten. Minuten, in denen der Kanzler am eigenen Leib zu spüren bekommt, wie brenzlig die Lage im Nahen Osten ist.
Gleich mehrere Male wurde der gestrige Besuch des Kanzlers in Tel Aviv unterbrochen. Um 18.33 Uhr heulten das erste Mal die Sirenen. Scholz musste sich gleich nach seiner Ankunft im Schutzraum der deutschen Botschaft in Tel Aviv verschanzen.
Die Lage während seines Besuchs ist dramatisch – an allen Fronten. Während Scholz in Tel Aviv politische Gespräche führte, wurde am Abend ein Krankenhaus im Gazastreifen angegriffen. Laut dem Gesundheitsministerium der dort regierenden Hamas sind hunderte Menschen getötet worden. Die Terroristen sprechen von einem israelischen Luftangriff. In der Klinik seien tausende Flüchtlinge aus dem Norden der Küstenenklave untergebracht. Die israelische Armee hingegen gab einer militanten Palästinenserorganisation im Gazastreifen die Schuld. Die Angaben waren unabhängig nicht zu überprüfen. Auch die genaue Zahl der Todesopfer blieb unklar.
Unklar ist, ob Scholz diese Nachricht zwischen all den Raketenalarmen überhaupt noch erreicht hat, bevor er wieder in den Regierungsflieger gestiegen ist. Das Tagesprogramm war eng getaktet: Noch am Morgen hatte Scholz den jordanischen König Abdullah in Berlin empfangen. Dieser rief zur Deeskalation im Nahen Osten auf – und sagte, es werde keine palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien oder Ägypten geben. Am Nachmittag ging es dann nach Tel Aviv, zu Gesprächen mit Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Präsident Izchak Herzog und Angehörigen deutscher Geiseln. Scholz ging es bei seiner Nahost-Mission vor allem auch um die Freilassung der rund 200 Menschen, die in den Gaza-Streifen verschleppten wurden – darunter sind mehrere Deutsche, zu denen die Bundesregierung keinen Kontakt hat. Um die Geiseln ging es auch am Abend in Kairo, wo Scholz den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi traf: Der Kanzler setzt darauf, dass Ägypten seinen Einfluss auf die Hamas geltend machen kann.
Die Angehörigen der deutschen Hamas-Geiseln haben Scholz bei dem Treffen zu schnellem Handeln aufgefordert. „Wir wollen nicht, dass Deutschland in den Konflikt hinein gerät, aber der politische Druck muss jetzt erhöht werden“, sagte der deutschstämmige Chanaan Cohen. Alle Angehörigen hofften darauf, ihre Lieben so schnell wie möglich wiederzusehen.
Zuvor hatten die Angehörigen der Entführten rund 40 Minuten mit Scholz und dem deutschen Botschafter in Israel, Steffen Seibert, gesprochen. „Wir hoffen, dass Bundeskanzler Scholz wirklich einen Unterschied machen und die Geiseln befreien kann“, betonte Ricarda Louk. Ihre 22-jährige Tochter Shani Louk war beim Angriff der Hamas auf ein Rave-Festival verschleppt worden. Zahlreiche Freunde und Angehörige haben vor der deutschen Botschaft in Tel Aviv demonstriert. „Gib ihnen Hoffnung“ und „Nur Scholz kann Shani retten“ war auf Schildern zu lesen, die sie bei sich trugen.
Es war ein kurzer, intensiver Besuch für Scholz, der als erster Regierungschef seit dem Angriff der Hamas nach Israel gereist ist. Ziel war nicht nur, dem Land Deutschlands volle Solidarität zu versichern – sondern vor allem auch die Vermeidung eines Flächenbrands. „Meine Regierung setzt sich mit aller Kraft dafür ein, dass dieser Konflikt nicht eskaliert“, sagte er. Die libanesische Hisbollah und den Iran warnte er eindringlich davor, in den Konflikt einzugreifen. „Ausdrücklich warne ich: Kein Akteur sollte es für eine gute Idee halten, nun von außen in diesen Konflikt einzugreifen. Das wäre ein schwerer, ein unverzeihlicher Fehler“, so der Kanzler.
Deutschland trage eine „aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung“, für die Existenz und die Sicherheit Israels einzustehen, so Scholz. Auch Netanjahu erinnerte an den Holocaust. Die Gräueltaten der Hamas seien die schlimmsten Verbrechen an Juden seit dem Völkermord der Nazis. „So wie die Welt vereint war, die Nazis zu besiegen, so muss sie jetzt zusammenstehen.“