Tel Aviv – Zehn Tage nach dem Terrorangriff der Hamas hat Bundeskanzler Olaf Scholz Israel bei einem Besuch in Tel Aviv die volle Solidarität Deutschlands versichert. „Die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson“, sagte der SPD-Politiker gestern nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv. „Die deutsche Geschichte, unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung, macht das zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen.“
Auch Netanjahu erinnerte mit harschen Worten an den Holocaust. Die Gräueltaten der Hamas seien die schlimmsten Verbrechen an Juden seit dem Völkermord der Nazis. „So wie die Welt vereint war, die Nazis zu besiegen, so muss sie jetzt zusammenstehen.“ Er verglich die Hamas auch mit dem Terrornetzwerk Islamischer Staat (IS). Die Welt müsse Israel dabei helfen, die Hamas zu zerstören, forderte Netanjahu. Er dankte Scholz für seinen Besuch in Israel und seine Solidarität.
Scholz und Netanjahu trafen sich nicht wie sonst üblich im Büro des Ministerpräsidenten, sondern im Verteidigungsministerium. In der Eingangshalle standen Dutzende Rekruten an, um sich zum Kriegsdienst zu melden. Dass Netanjahu nach dem Gespräch überhaupt mit Scholz vor die Presse trat, war eine Seltenheit. Seit den Terrorattacken hat er das nicht mehr gemacht. Fragen der Journalisten wurden aber nicht zugelassen.
Während der Pressekonferenz wurde der Großraum Tel Aviv zweimal mit Raketen beschossen. Im Stadtzentrum selbst waren keine Warnsirenen zu hören, aber zwei laute Explosionen. Als die Kolonne des Kanzlers das Verteidigungsministerium verlässt, sind Abschüsse von Abwehrraketen des Schutzschirms „Iron Dome“ zu hören.
Auf dem Besuchsprogramm des Kanzlers standen Gespräche mit Präsident Izchak Herzog und Angehörigen deutscher Geiseln der Hamas, die in den Gaza-Streifen verschleppt wurden. Anschließend wollte Scholz noch am Abend nach Ägypten weiterreisen, das als einziges Nachbarland Israels direkt an den Gaza-Streifen grenzt. Dort will er mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi zusammenkommen.
Neben der Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas geht es Scholz bei seiner zweitägigen Nahost-Reise vor allem darum, der Gefahr eines Flächenbrands in der Region entgegenzuwirken. „Gemeinsam mit unseren Verbündeten setzen wir uns als Bundesregierung mit aller Kraft dafür ein, dass dieser Konflikt nicht weit eskaliert“, sagte er schon vor seinem Abflug. Die libanesische Hisbollah und den Iran warnte er eindringlich davor, in den Konflikt einzugreifen.
Israels Präsident Herzog nannte den Besuch des Kanzlers „eine große Botschaft der Hoffnung“ und einen „enormen Ausdruck an Solidarität“. Scholz sei ein großer Freund Israels. Generell sei die Unterstützung der gesamten deutschen Führung „unglaublich“.
Israel erwartet von Scholz Rückendeckung für Militärschläge gegen die Hamas. Die hat Scholz in den letzten Tagen auch immer wieder mit klaren Worten erneuert – und zwar ohne Einschränkungen oder Verweise auf das Völkerrecht. Militärische Unterstützung erwarten die Israelis von Deutschland dagegen bisher kaum. Zwei geleaste israelische Drohnen, die auch bewaffnet werden können, wurden von der Bundeswehr zurückgegeben.
Konkret geht es nun vor allem um humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen, die von Israel vor einer möglichen Bodenoffensive zu Hunderttausenden zur Flucht aufgefordert wurden. Der Bundeskanzler betonte gestern, dass Deutschland weiter solche Hilfe für die notleidenden Menschen in Gaza leisten werde. Und er sagte: „Wir setzen uns dafür ein, dass es einen humanitären Zugang zum Gaza-Streifen gibt.“ Das soll auch ein Schwerpunkt sein, wenn US-Präsident Joe Biden am Mittwoch nach Israel kommt (siehe Text rechts).
Nicht zuletzt geht es Scholz bei seiner Nahost-Mission um die Freilassung der rund 200 in den Gaza-Streifen verschleppten Geiseln der Hamas – darunter mehrere Deutsche. „Wir spüren das furchtbare Leid“, sagte der Kanzler. Man stehe all jenen bei, die um ihre Familien bangen. Scholz hat dazu schon in den letzten Tagen Gespräche mit den Staatschefs von Katar, Ägypten und der Türkei geführt – alles Länder, von denen sich der Kanzler Einfluss auf die Hamas verspricht.