München – Rund 1,1 Millionen Ukrainer halten sich aktuell in Deutschland auf. Häufig wird kritisiert, dass die Kriegsflüchtlinge das Sozialsystem ausnutzen. Selber schuld, sagt der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine“ hat er analysiert, wie viel Ukrainer in Deutschland in Arbeit sind im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn. Das Ergebnis ist ernüchternd.
Laut Thränhardt sind in Deutschland nur 18 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Lohn und Arbeit. Nur Österreich (14 Prozent) und die Schweiz (18 Prozent) weisen ähnlich schlechte Zahlen auf. In Dänemark, so der Wissenschaftler, hätten 74 Prozent der Ukrainer eine bezahlte Beschäftigung, in Polen und der Tschechischen Republik zwei Drittel, in den Niederlanden, Großbritannien und Irland mehr als die Hälfte. Das wirkt sich auf die Sozialleistungen aus, die der Staat zahlen muss. Thränhardt zufolge erwartet Polen für 2023 von den Ukrainern sogar mehr Steuereinnahmen als Ausgaben.
Als Grund nennt Thränhardt die unterschiedlichen Aufnahmeverfahren. Die deutschsprachigen Länder orientierten sich zu stark am Asylsystem, die Verfahren seien kompliziert. Andere Länder hätten einfache digitale Verfahren.
Die „Inaktivitätsfalle“
Die Folgen sind laut Thränhardt gravierend. In den deutschsprachigen Ländern gerieten Ukrainer in eine „Inaktivitätsfalle“. Dass Sozialleistungen der Hauptanziehungspunkt seien, sei falsch, sagt der Politikwissenschaftler. Die Ukrainer könnten das Aufnahmeland frei bestimmen und viele ziehe es in andere Länder – obwohl dort die Löhne geringer und die Sozialleistungen schlechter seien. In der Tschechischen Republik liege der Anteil an der Bevölkerung bei 3,2 Prozent, in Polen bei mehr als zwei Prozent – in Deutschland nur bei 1,3 Prozent. Allerdings, warnt Thränhardt, sei zu erwarten, dass das deutsche System langfristig nicht „die Aktivsten“ anlocke.
„Die niedrige Arbeitsbeteiligung ist besorgniserregend, nicht nur wegen der verschenkten Arbeitskraft“, schreibt der Experte. „Arbeit ist ein Schlüssel zur Integration.“ Das werde noch wichtiger, wenn der Status der vorläufigen Aufnahme ende. „Hat man Arbeit gefunden, ist der Übergang in ein anderes Rechtsverhältnis leichter möglich als ohne Arbeit.“ Das gelte unabhängig davon, ob die Ukraine einen vorgezogenen EU-Status bekomme. „Ohne Arbeit droht ihnen eine prekäre Situation und sie müssten massenhaft Asyl beantragen.“
Insgesamt, beklagt Thränhardt, sei es keinem Aufnahmeland gelungen, die gute Ausbildung der Ukrainer fruchtbar zu machen. Die meisten arbeiteten im Niedriglohnsektor. wha