Die Ampel vor dem Wendemanöver

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

Berlin/München – Der Druck auf die Ampel war zuletzt fast unerträglich groß geworden. Die Stimmung im Land ist am Kipppunkt, die AfD punktete bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen mit dem Thema Migration, ohne Lösungen anzubieten. Zuletzt gipfelte der Streit darin, dass die Union die SPD aufforderte, die Koalition mit Grünen und FDP zu beenden und mit CDU-Chef Friedrich Merz als Vizekanzler zu regieren.

Am Wochenende beim Deutschlandtag der Jungen Union drückte die Union weiter aufs Pedal. „Wir müssen in diesem Jahr noch zu Entscheidungen kommen, damit es nach dem Winter aufhört mit dieser ungesteuerten und unregulierten illegalen Migration in die Bundesrepublik Deutschland“ sagte CDU-Parteichef Merz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse „liefern“.

Morgen soll nun mit der Lieferung begonnen werden. Nach langem Zögern hat Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) ein Maßnahmenpaket geschnürt, das im Kabinett zur Verabschiedung steht. Nach einem Kabinettsbeschluss müsste dann der Bundestag entscheiden.

Der Entwurf sieht Verschiedenes vor. Ein Kernpunkt ist, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen und die Zahl jener, die scheitern, zu verringern. Dazu sollen die Ausländerbehörden ausreisepflichtige Asylbewerber 28 statt bisher 10 Tage in Ausreisegewahrsam nehmen können.

Erleichtert werden soll die Ausweisung von Schleusern und Straftätern mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei Mitgliedern krimineller Vereinigungen sollen bereits hinreichende Tatsachen für eine Mitgliedschaft für eine Abschiebung reichen. Das gilt natürlich nur für jene ohne einen deutschen Pass.

Das bereits am 11. Oktober vorgestellte Paket sieht weiter vor, dass Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, weniger Geld bekommen – und die Polizei mehr Befugnisse. So soll die Polizei Wohnungen durchsuchen dürfen, um die Identität eines Ausländers klären zu können. Gleichzeitig will das Kabinett Geflüchtete früher in Arbeit und damit raus aus dem Sozialsystem bringen.

Innenministerin Nancy Faeser argumentiert, das Paket sei notwendig, „damit wir Menschen, die bei uns Schutz vor Krieg und Terror gefunden haben, weiter gut versorgen können“. So habe man allein 1,1 Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine Schutz geboten. Der „Rheinischen Post“ sagte Faeser, dass die Zahl der Rückführungen in diesem Jahr schon um 27 Prozent höher sei als im Vorjahreszeitraum. „Dennoch müssen wir Regelungen vorsehen, mit denen wir unser Recht konsequenter und schneller durchsetzen können. Dabei ist klar, dass wir zugleich weiter sehr intensiv über Abkommen mit den Herkunftsländern verhandeln werden, damit diese ihre Staatsangehörigen auch tatsächlich zurücknehmen.“

SPD-Chefin Saskia Esken sagte gestern im Deutschlandfunk, Ziel sei es, die „Stimmung für Migration“ zu stärken. „Wir brauchen ja Zuwanderung für unseren Arbeitsmarkt.“ Wer auf dem falschen Weg nach Deutschland komme, müsse auch wieder gehen. Explizit nannte sie „Menschen, die bei uns eine wirtschaftliche Perspektive suchen“. Dafür gebe es das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Wer die Qualifikationen mitbringe oder den Willen, sich zu qualifizieren, könne über diesen Weg nach Deutschland kommen. Die Stimmung im Lande spiegelt eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts „YouGov“ wider. Demnach finden 66 Prozent der Befragten die Zuwanderung zu hoch, 86 Prozent fordern, keine weiteren Geflüchteten aufzunehmen. Nur acht Prozent sagen, Deutschland könne mehr Migranten aufnehmen.

Nach Angaben der Bundespolizei in Potsdam sind bis Ende September mehr Menschen unerlaubt eingereist als zum gleichen Zeitpunkt in den sechs Vorjahren. Von Januar bis September seien 92 119 Menschen registriert worden. Diese Zahl wurde zuletzt 2016 – nach dem Jahr der Flüchtlingskrise – mit 111 843 übertroffen.

Die Bundespolizei in Bayern registriert seit Juli wieder mehr illegale Grenzübertritte. Von Januar bis Ende September seien 22 409 Fälle gemeldet worden, im Vorjahreszeitraum seien es 19 054 gewesen, teilte die Behörde am Montag in München mit. Die Bundespolizei geht davon aus, dass die Gesamtzahl in diesem Jahr höher wird als in den vergangenen beiden Jahren. 2022 hatten die Beamten 29 229 Fälle gemeldet, 2021 waren es 15 699. Zur Herkunft der Menschen machte die Behörde keine Angaben.

Trotz anhaltender Kritik aus den eigenen Reihen gilt es als wahrscheinlich, dass das Kabinett dem Faeser-Paket zumindest in weiten Teilen zustimmt. Denn auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) macht inzwischen Druck. „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“, sagte der Bundeskanzler. Wer sich nicht auf Schutzgründe berufen könne und keine Bleibeperspektive habe, müsse gehen. „Wir müssen mehr und schneller abschieben“, sagte Scholz.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr begrüßte die Äußerungen. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte: „Es ist richtig, dass der Bundeskanzler klare Kante zeigt.“

Die Union bleibt noch skeptisch. CDU-Chef Merz sagte am Sonntag im ZDF auf die Frage, ob er darin eine Trendwende sehe: „Das scheint so zu sein.“ Es sei aber dahingestellt, ob Scholz hierfür auch Zustimmung in der eigenen Partei habe. Klar sei, dass die Zahl der Einwanderer sinken müsse. Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz stellte offen infrage, dass Scholz seine rot-grün-gelbe Koalition hinter sich bringen kann. Die bisherigen Entwicklungen weckten Zweifel daran, dass es der Ampel ernst sei mit mehr Abschiebungen. „Denn dafür braucht es nicht nur beim Bundeskanzler, sondern in allen Ampel-Parteien den politischen Willen.“

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