Mit tiefer Ehrfurcht ins Hohe Haus

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Der Weg ins Innere der Macht ist ein Labyrinth aus langen Gängen. Treppen, viele Treppen, denn es gibt fast ein Dutzend Keller-Stockwerke. Türen, die sich wie von Geisterhand öffnen, und andere, die den Weg versperren. Man sieht einen jungen Politiker, der an der Drehtür in der Tiefgarage scheitert, durcheinander alle bunt leuchtenden Knöpfe drückt. Man sieht eine junge Politikerin suchend über die Gänge huschen, verwirrt, nach fünf Etagen Treppe im vierten Stock angekommen zu sein, der vorne an der Ecke stufenlos in den ersten übergeht.

Dieses Maximilianeum ist ein steinerner Irrgarten mit seinen Fluren und Flügeln, mit seinen Prachtsälen und Geheimgängen. Erst recht für jene, die ihn das erste Mal durchlaufen. Hinter der letzten Treppe steht dann Ilse Aigner, die Hausherrin. „Nur net verwirren lassen“, ruft sie den Suchenden heiter zu.

Es ist ein wunderlicher Tag, ein besonderer. Das Landtagsamt holt die erstmals gewählten Abgeordneten ins Maximilianeum. 78 von 203 sind es, sie kommen aus allen Parteien. Ihr Mandat beginnt erst mit der Sitzung am Montag. Aber Beschnuppern, Orientieren, das geht schon. Ihr Leben, ruft Aigner den Fast-Abgeordneten eingangs zu, „verändert sich. Total.“

Wer die Neulinge beobachtet, staunt. Es sind wenig Breitbeinige, die jetzt über die roten Teppiche stiefeln. Eher zögerlich kommen sie im Parlament an. Julia Post ist eine der wenigen, die sich sofort in Reihe 1 des Plenarsaals setzt an diesem Schnuppertag. „Ich mach’ Politik nicht, um Hinterbänklerin zu sein“, sagt die Münchner Grüne selbstbewusst. Sie war schon mehrfach Gast im Landtag, verirrt sich kaum mehr, aber auch sie sagt: „Es ist ein anderes Gefühl, das Gebäude als Gewählte zu betreten.“ Peter Wachler, gestandener CSU-Bürgermeister aus Schwaben, erzählt von „ganz, ganz viel Ehrfurcht, Stolz“, als er morgens ins Maximilianeum trat. Es kann auch ein einschüchterndes Gebäude sein mit seinen riesigen Gemälden, all den gemalten Kaiserkrönungen, Schlachten und sogar der gut versteckten Büste vom Tyrannenmörder Brutus.

„Mein erstes Gefühl war: Demut“, sagt die Günzburgerin Jenny Schack, CSU. Freude? Zu früh, zu viel ist noch zu regeln. „Dieser Eindruck ,Ich bin in der Herzkammer‘, der wird sich erst noch einstellen“, sagt die 41-Jährige. Sogar der neue AfD-Abgeordnete Martin Huber aus Erding, seit 30 Jahren in der Kommunalpolitik, drückt zaghaft auf den Sprech-Knopf am Abgeordneten-Pult und raunt in den Saal, er habe ein bewegtes Bauchgefühl. „Ich werde mein Bestes geben hier.“

Der Zauber eines Neuanfangs prägt diesen Tag, aber auch der Fluch eines Wahlergebnisses, das hier vielen nicht passt. Ab Montag wird die AfD die größte Oppositionsfraktion stellen. Die AfD, die nur durch Rügen, Provokation und Eklats auffiel seit 2018, ist enorm gewachsen auf jetzt 32 Leute, von denen die Mehrheit dem Flügel des Thüringer Rechtsextremen Höcke zugerechnet wird.

Dieser Schatten ist da. Jeder Neuling wird gleich behandelt, die Offizianten begrüßen alle höflich, prägten sich Namen und Fotos ein. Aigner lässt sogar Lebkuchenherzen mit Landtags-Logo herbeischaffen. Trotzdem verstummen Gespräche, wenn sich AfD-Leute nähern. Eilig wurde der Plenarsaal umgebaut, damit nun ein Gang zwischen AfD und anderen klafft. Und hinter den Kulissen wird daran gearbeitet, die Strafen so zu verschärfen, dass Eklats mit Geldbußen geahndet werden können. „Ich werde darauf achten, dass sich an die Regeln gehalten wird“, sagt die sonst sehr freundliche Frau Aigner mit Schärfe in der Stimme.

Dieser Schnuppertag hat auch kuriose Momente, Szenen einer Einschulung. Als Aigner von ihrem ersten Tag im Parlament erzählt, 1994, wird im Saal tuschelnd ein Foto der damals 29-Jährigen herumgereicht, pausbäckig; der andere Jüngling neben ihr, mit Schmalztolle, heißt übrigens Markus Söder. Wenig später Kichern, als die Neulinge hören, dass ihnen nun die Landtagssauna offen steht, zwei sogar. „Fraktionsübergreifend“, betont der Landtagsdirektor, „aber getrennt nach Geschlechtern“.

Gleichzeitig gibt es für die Bald-Parlamentarier aber Warnungen. Oft versteckt. Sie kommen mit der Verkündung der satten Privilegien für Abgeordnete, die bei dieser seltenen Gelegenheit öffentlich werden. Die 9215 Euro Diät sind bekannt, dazu 3984 Euro steuerfreie Kostenpauschale und der Zuschuss zur Krankenversicherung. Weniger geläufig: 12 135 Euro brutto pro Monat für Mitarbeiter, 85 Prozent Zuschuss zu technischen Geräten, BahnCard 100, 1. Klasse, Fahrbereitschaft, kostenlose Büros, nach Zuteilung auch für viele ein kleines Appartement in der Innenstadt zum Spottpreis von maximal 460 Euro pro Monat warm, täglich Putz- und Handtuchservice, etwaige Zweitwohnungssteuer zahlt das Amt.

Nicht zufällig lässt Aigner all die Privilegien aufzählen – und einstreuen, was zu versteuern ist. Wo Grenzen liegen: beim Kauf von Geräten, beim Einstellen von Mitarbeitern. Die Affären der letzten Perioden stecken dem Landtag in den Knochen, als einzelne Parlamentarier die Pauschalen zum Kauf von LuxusKameras missbrauchten; und etliche ihre Ehefrauen, Mütter und minderjährigen Kinder als „Mitarbeiter“ einstellten, um noch mehr vom Budgetkuchen abzugreifen. Dass sie ihre Nebeneinkünfte offenzulegen haben, und das zügig, erfahren die Neuen nun auch gleich. Auch so eine Lehre aus der Vergangenheit.

Wie werden sie sich also anstellen, die 78? Wie finden sie die Balance aus Demut und Selbstbewusstsein? Für ein paar Minuten schlurft ein Erfahrener unerkannt hinten in den Plenarsaal: Gerhard Eck (63), vor einem Vierteljahrhundert in den Landtag gekommen, später lange Staatssekretär, erzählt leise von seinen ersten Momenten als Abgeordneter – zwischen Respekt und dem Hochgefühl, jetzt gewiss gleich die Welt zu verändern. „Beharrlich sein“, rät er den Neuen leise, „der Apparat ist so groß. Verfolgt eure Ziele konsequent.“

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