München – Allein in Deutschland erkranken jedes Jahr etwa eine halbe Million Menschen an Krebs – und weit über 200 000 Frauen und Männer sterben daran. Bei den Überlebenschancen spielt auch die Wahl des Krankenhauses eine große Rolle. Dies belegt eine neue Studie. Sie wurde von einem Expertenteam veröffentlicht, dem auch bayerische Wissenschaftler und Vertreter der AOK angehören. Die Daten von rund 22 Millionen volljährigen Versicherten der größten Krankenkasse sind in die Auswertung eingeflossen. Dadurch erreicht die sogenannte WiZen-Studie eine hohe Aussagekraft.
Bei ihrer Datenanalyse haben die Experten die Ergebnisse von zwei Krankenhaus-Gruppen unterschieden: zum einen Kliniken, die von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert worden sind, zum anderen Einrichtungen, die dieses Prüfsiegel nicht vorweisen können.
Einen Überblick über die zertifizierten Zentren bietet die Deutsche Krebsgesellschaft auf der Website www.oncomap.de. Hier kann man benutzerfreundlich nach Städten und auch nach der Krebsart filtern. Für München weist die Datenbank, wenn man Umkreis 10 Kilometer vom Zentrum einstellt, immerhin 66 zertifizierte Zentren auf – allein für Darmkrebs sind es acht, bei Brustkrebs ebenfalls acht, bei Hautkrebs immerhin zwei. Erweitert man den Umkreis auf 25 Kilometer, kommt man bereits auf 77 zertifizierte Zentren. Um bei den Beispielen zu bleiben, sind es dann bei Darmkrebs schon neun, bei Brustkrebs zehn zertifizierte Standorte. Bei Hautkrebs bleibt es bei zwei Zentren – angesiedelt sind diese beim LMU- und beim TU-Klinikum. Ein wichtiger Gradmesser in der Krebsmedizin ist die sogenannte Fünf-Jahres-Überlebensrate. Sie beschreibt den prozentualen Anteil der Patienten, die fünf Jahre nach der Tumordiagnose noch am Leben sind.
Bei diesem Wert kristallisierten sich in der WiZen-Studie eklatante Unterschiede bei vielen Krebsarten heraus. So beträgt er beispielsweise für Lungen-Krebspatienten in zertifizierten Zentren 28 Prozent, in anderen Häusern dagegen statistisch gesehen nur 16,9 Prozent. Bei Bauchspeicheldrüsen-Krebs ist das Ungleichgewicht noch größer: 11,5 zu 6,5 Prozent. Das bedeutet im Umkehrschluss: In zertifizierten Zentren überleben langfristig fast doppelt so viele Patienten mit einem Pankreaskarzinom.
Auch bei den häufigeren Tumorarten macht die Wahl der Klinik einen Unterschied – wenngleich auch nicht so drastisch wie im Falle von Lungen- oder Pankreaskarzinomen. So stehen bei Brustkrebs die Fünf-Jahres-Überlebensraten von 78,3 und 71,9 Prozent gegenüber, bei Prostatakrebs von 78,4 und 71,2 –-bei beiden Entitäten (Fachbegriff für Krebsarten) beträgt die Differenz also immerhin etwa sieben Prozent. Das heißt: Von 100 Patienten überleben in zertifizierten Zentren sieben Männer und Frauen mehr als in anderen Kliniken.
In Deutschland existieren derzeit 435 zertifizierte Zentren, allerdings werden nur 41 Prozent der Patienten in diesen Spezialzentren behandelt. Dieses Verhältnis müsse sich ändern, fordern die Experten der WiZen-Studie. Davon würden nicht nur die Patienten, sondern auch die Steuerzahler und die Krankenkassen profitieren. Im „Deutschen Ärzteblatt“ kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss: „Die Erstbehandlung in zertifizierten Krankenhäusern erscheint auch aus gesundheitsökonomischer Sicht sinnvoll. So konnte für Darmkrebs in einer Kosten-Effektivitäts-Analyse des Deutschen Krebsforschungszentrums eine längere Überlebenszeit bei niedrigeren Behandlungskosten in zertifizierten gegenüber nicht zertifizierten Krankenhäusern gezeigt werden.“
Erfahrene Münchner Krebsspezialisten sehen sich durch die Studie in ihrer Forderung nach mehr Spezialisierung und Qualitätskontrolle bestätigt. „Es ist eine Binsenweisheit, dass die Überlebenschancen bei Krebserkrankungen abhängig sind von der Qualität des Behandlers und der Klinik“, sagt der Direktor der Urologie im LMU Klinikum, Professor Christian Stief. „Und diese Fakten sind schon lange für jeden Patienten ersichtlich. So kann man zum Beispiel im Internet (unter https://www.initiative-qualitaetsmedizin.de) einsehen, wie oft bestimmte Eingriffe oder Behandlungen in einem bestimmten Krankenhaus durchgeführt werden und wie häufig die wichtigsten Komplikationen dort und im deutschlandweiten Vergleich vorkommen.“ Seien Kliniken nicht gelistet, sei Skepsis angebracht, argumentiert Stief. „Man muss sich dann fragen, warum diese Häuser ihre Daten nicht offenlegen.“
Die großen Unterschiede bei den Behandlungsergebnissen zeigen sich nach Stiefs Einschätzung auch in den gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsberichten der Kliniken (mehr Informationen dazu gibt es unter anderem bei der AOK). „Auch aus diesen Berichten wird klar ersichtlich, wie groß die Unterschiede bei den Überlebenschancen sein können und wie stark sie von der Wahl der Klinik abhängen“, sagt Stief.
Vor allem ein Punkt sei entscheidend, erklärt der Direktor der Orthopädie im Rechts der Isar, Prof. Rüdiger von Eisenhart-Rothe: dass die Festlegung der interdisziplinären Behandlungsstrategie in zertifizierten Krebszentren erfolgt. Neben einer frühzeitigen Diagnose sei nämlich ein koordiniertes Vorgehen nötig. „Für den Behandlungserfolg kann es entscheidend sein, dass die Diagnostik und die Planung der einzelnen Therapieschritte in einem fachübergreifenden Krebszentrum erfolgen. Dort haben die Spezialisten neben der Erfahrung auch die klinische Infrastruktur zur Verfügung, um alle nötigen Maßnahmen einzuleiten und zu steuern. Sie kennen auch neueste Studienergebnisse und können einschätzen, welche wissenschaftlich nachgewiesenen Behandlungsfortschritte sie nutzen können“, sagt von Eisenhart-Rothe, der auch das Sarkomzentrum am Rechts der Isar für seltene Knochentumoren leitet.
Wurde die Therapie in einem Krebszentrum eingeleitet, können einzelne Behandlungsschritte auch in anderen Einrichtungen erfolgen. „Das bietet für manche Patienten den Vorteil, dass sie nicht für jeden Termin extra in eine möglicherweise weit entfernte Klinik fahren müssen“, erläutert von Eisenhart-Rothe und rät: „Informieren Sie sich in den Zentren darüber, mit welchen Einrichtungen bzw. Kollegen die Experten zusammenarbeiten.“