Ein Stück Tölzer Land für München

von Redaktion

VON MAX WOCHINGER

Königsdorf – Ein kurzes Rascheln der Blätter, ein leichtes Ziehen – und die Fichte löst sich. Ganz langsam dreht sich der Baum im Uhrzeigersinn. Rainer Kopnicky, 56, beobachtet das Spektakel aus sicherer Entfernung. Er ist erleichtert. Denn die Fichte auf dem Campingplatz Bibisee in Königsdorf (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) ist nicht irgendein Baum, sondern der Christbaum für den Marienplatz in München. Heuer stellt ihn die 3000-Einwohner-Gemeinde. „Der Baum ist ein wunderbares Zeichen des Zusammenhalts und Miteinanders“, sagt Kopnicky.

Knapp 25 Meter misst der Christbaum, eine serbische Fichte. Schweres Gerät ist angerückt: Ein Autokran hievt einen Baumkletterer nach oben, dort befestigt er ein Band. Er seilt sich ab, sägt den Stamm gekonnt durch. Die Fichte schwebt über den Köpfen der Dauercamper zum Transporter. Möglichst sanft muss er abgelegt werden, schließlich sollen keine Äste abbrechen. Die Fichte wurde vor rund 50 Jahren von einem Dauercamper gepflanzt – als Christbaum für die Campinggemeinde. Der Camper ist vergangene Woche mit seinem Wohnwagen abgezogen – nach 50 Jahren am Bibisee. Mit ihm geht nun auch sein Bäumchen von einst. Das Ziel: der Münchner Marienplatz. Dort soll er schon heute gegen sechs Uhr morgens aufgestellt werden – wenn der nächtliche Transport wie geplant geklappt hat.

Seit 1977 gibt es die Tradition der Christbaumspende; die Warteliste ist lang, selbst aus Österreich und Italien bewerben sich Orte. Königsdorf musste 20 Jahre warten – bis vergangenes Jahr das Telefon im Rathaus klingelte. Am anderen Ende der Leitung war die Stadt München mit der frohen Botschaft.

Wochenlang wurde nach einem geeigneten Baum gesucht. Die Anforderungen: ein Stammumfang von mindestens 60 Zentimetern, eine Höhe von 20 bis 30 Metern. Und schön soll er sein, was nicht immer gelingt (siehe Kasten). Auch die Nachhaltigkeit spielt eine Rolle. Kein gesunder Baum soll fallen. Die Wahl fiel auf die Fichte vom Campingplatz: Sie musste ohnehin weichen, weil sie als Flachwurzler zum Sicherheitsrisiko wurde. Angestellte der Stadt München haben sich den Baum im Sommer angesehen und ihr Okay gegeben. Als Dank erhält Königsdorf einen Stand auf dem Christkindlmarkt. Im Prunkhof des Rathauses darf die Gemeinde Glühwein ausschenken, lokale Spezialitäten verkaufen, kann sich als touristische Destination präsentieren. „Wir sind keine klassische Tourismusgemeinde“, sagt Bürgermeister Kopnicky. Königsdorf sei ländlich geprägt, mit viel Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft. Was die Gemeinde ausmacht, sei das Dorfleben: „Wir haben ein reges Vereinsleben. Einen Sportverein mit fast 1000 Mitgliedern, Trachten, Schützen. Es gibt noch zwei Banken im Ort, einen Metzger, Hausarzt und eine Apotheke.“ Vom Stand auf dem Marienplatz erhofft er sich dennoch einen „guten Nebeneffekt“. Vielleicht könne damit die örtliche Gastwirtschaft angekurbelt werden.

Königsdorf hat für das „Projekt Weihnachtsbaum“ einen Gesamtverein gegründet, in dem sich 22 Vereine engagieren. „Das ist eine richtige Gemeindeleistung“, lobt der Rathauschef. Die Gestaltung der Glühweintassen, der Einkauf von Glühwein und Lebensmitteln beim Bäcker und Metzger vor Ort, die Einteilung der Schichten: Seit der Gründung im Februar hat man sich alle zwei Wochen getroffen. Rund ein Drittel der Königsdorfer mischt mit. Der Erlös aus dem Glühweinausschank in München soll der Gemeinde zugutekommen. „Gerade nach Corona ist es mir wichtig, den Zusammenhalt zwischen den Vereinen und das soziale Gefüge zu stärken“, sagt Kopnicky.

Heute beginnt der Aufbau der Buden am Münchner Marienplatz. Die Fichte wird mit 3000 LED-Lichterkerzen festlich geschmückt. Am 27. November eröffnet dann der Christkindlmarkt. Mit dabei: das stolze Königsdorf.

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