Aus der Digital-Blase zu den Landärzten

von Redaktion

HINTERGRUND Die neue Gesundheitsministerin Judith Gerlach ist eine der wenigen Aufsteigerinnen des Kabinetts

München – Um Judith Gerlach zu verstehen, hilft auch ein Blick auf ihren Nachfolger. Der designierte Digitalminister Fabian Mehring platzt fast vor Aufregung. Auf X (früher Twitter) verfasste der FW-Abgeordnete in den letzten 12 Tagen 24 Mitteilungen, um die Welt darauf hinzuweisen, dass er bald Minister sein wird. Aus allen geht hervor, dass er das neue Amt und sich selbst darin sehr, sehr gut findet. Zum Vergleich: Als Gerlach 2018 berufen wurde, sagte sie in aller Ruhe: Eine große Herausforderung, sie werde sich jetzt einarbeiten. Punkt.

Keine große Bugwelle, kein großes Gewese um die eigene Person, dann aber ein gründliches, hartnäckiges Reinfressen in die Themen – das war es, was Gerlach (38) den Respekt ihrer Kollegen einbrachte. Aus dem neuen, kleinen, eigentlich machtlosen Digitalministerium holte sie von Monat zu Monat in der Außenwirkung mehr heraus. Sich selbst stellte sie nie in den Vordergrund, auch nicht die oft zähen Kämpfe um Kompetenzen selbst mit eigenen Parteifreunden – aber warb unermüdlich für mehr Digitalisierung im Freistaat. Als „Übersetzerin“ zwischen der Hightech-Blase und dem auch stark ländlich geprägten Bayern verstand sie sich. Ihr ermöglicht wohl genau dieses Engagement nun die Versetzung ins etwas größere Gesundheitsressort. Wieder wird sie fachfremd sein, auf Widerstände stoßen – und wieder startet sie vorsichtig.

„Mit viel Ernsthaftigkeit und Empathie“ werde sie sich einarbeiten, sagt die Ministerin im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei Gesundheit gehe es um ein zentrales Ressort und um „das höchste Lebensgut der Menschen“. Künftig geht es um Kreiskliniken und Landärzte, nicht mehr um Digital Hubs. Und es wird ein Ressort sein, in dem heftige Kämpfe auszufechten sind, vor allem mit Berlin. Karl Lauterbach (SPD) reagierte mehrfach genervt auf Klaus Holetschek. Gerlach wird er, was bisher nicht geschah, bald kennenlernen.

Doch nicht nur das Digitalressort, auch das Gesundheitsministerium führte lange ein Schattendasein. Erst 2013 wurde es gegründet, im Jahr darauf in neue Büros am Münchner Ostbahnhof angesiedelt. 2016 eröffnete dann Ministerpräsident Horst Seehofer der überraschten Ministerin Melanie Huml, dass das Haus künftig in Nürnberg residiere. Die Mitarbeiter erfuhren es aus den Medien – das kleine Ministerium war Manövriermasse für Symbolpolitik. Huml fügte sich widerwillig. „Das war nicht mein Wunsch“, stellte sie klar.

Dann kam Corona. Die Pandemie spülte das Ministerium an die Front und Huml aus dem Amt. Nachfolger Holetschek entwickelte sich ab Januar 2021 in Rekordzeit zum Schwergewicht. Bei Kassen, Ärzten und Kliniken war er gleichermaßen anerkannt – nun sind alle gespannt, wie sich Gerlach schlägt. Die Pandemie ist vorbei, das Haus wieder geschrumpft. Die Aufgaben aber bleiben weiter groß.

Schon in den kommenden Wochen wird der Gesetzesentwurf zur umkämpften Krankenhausreform erwartet, an dessen Ausarbeitung zwar mehrere Länder beteiligt waren – Bayern aber nicht. Damit die Interessen des Freistaats nicht unter den Tisch fallen, hatte Holetschek auf Konfrontation zu Lauterbach gesetzt. Welchen Weg wohl Gerlach wählt? Auch bei der von Lauterbach geplanten Cannabis-Legalisierung liegt Bayern mit der Ampel über Kreuz. Zudem fällt das Megathema Pflege in ihre Zuständigkeit.

Gerlach wird im neuen Job helfen, dass sie gut mit Leuten auskommt. Daheim in Unterfranken kellnert die Ministerin sogar noch bei Hochzeiten und auf Volksfesten. Den in der Corona-Zeit verlorenen Bürgerkontakt will sie so reinholen, die Trinkgelder spendet die zweifache Mutter für einen guten Zweck. In einem Jahr kamen immerhin 2000 Euro zusammen.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER, SEBASTIAN HORSCH, MIKE SCHIER

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