Obere Isar: Dem Wildfluss geht die Kraft aus

von Redaktion

VON ILONA RAMSTETTER

Krün – Die Isar soll wieder grauer statt grüner werden. Das klingt paradox, ist es aber nicht. Genauer gesagt geht es um die Obere Isar, um den Teil des Flusses zwischen Krün und dem Sylvensteinspeicher. 22 Kilometer Wildflusslandschaft, geschützt als Natura-2000-Gebiet. Diese letzte Wildflusslandschaft Deutschlands droht zu verschwinden. Die sichtbaren Veränderungen zeigte der World Wildlife Fund (WWF) bei einer Exkursion mit Naturschützern, Behördenvertretern und Flussforschern.

292 Kilometer ist die Isar lang. Sie entspringt im Tiroler Karwendelgebirge und mündet nach ihrem Weg über München bei Deggendorf in die Donau. Die ideale Situation der Oberen Isar beschreibt der WWF so: Der Fluss kommt mit wilder Kraft aus den Bergen. Wo die Energie des Wassers spürbar wird, verändert sich etwas: Geröll und Kies rauschen mit, werden an neuer Stelle wieder abgelagert, Flussarme verzweigen sich, Äste und Steine werden mitgeschwemmt, die Ufergrenzen angenagt. Von oben betrachtet sieht der Flussverlauf wie ein Netz mit rätselhafter und sich immer wieder verändernder Struktur aus. Dazwischen liegen Kiesbänke, die nur bei Hochwasser überschwemmt sind.

Diese ständige Veränderung schafft Nischen für ganz besondere Pflanzen und Tiere. „Die Obere Isar ist nach dem Isarmündungsgebiet der wichtigste Hotspot flusstypischer Arten wie Deutsche Tamariske, Alpen-Steintäschel, Rosmarin-Seidelbast, die Gefleckte Schnarrschrecke, den Kiesbank-Grashüpfer, Türks Dornschrecke oder die Flussufer-Wolfsspinne“, sagt Petra Speth vom Sachgebiet Naturschutz bei der Regierung von Oberbayern. Aber: Seit 100 Jahren gibt die Isar am Krüner Wehr das Gros ihres Wassers an das Walchenseekraftwerk ab. Mit der Folge, dass dem Fluss die Kraft fehlt für Umlagerungen. Dies begünstigt das Wachstum vor allem von Weidengebüschen. Die charakteristischen Kiesbänke und -inseln verschwinden.

Flussbauingenieur Georg Rast sagt: „Das Wasser und das Geschiebe aus Geröll und Kies sind die Bedingung für ein ökologisches System an dieser Stelle der Isar. Und das wird durch die Ableitung zum Walchenseekraftwerk stark beeinträchtigt.“ Drastischer formuliert es der Leiter des WWF-Büros Weilheim, Wolfgang Hug: „Wenn wir nichts machen, haben wir in einigen Jahrzehnten ein totes Flusssystem.“ Nur 28 Prozent der Auenfläche seien noch gehölzfrei. Wie alte Isarkarten belegen, waren es vor 100 Jahren noch 68 Prozent.

Den Schlüssel zur Lösung sehen Naturschützer im Krüner Wehr. Im Jahr 2030 läuft die Konzession für das Walchenseekraftwerk aus. „Damit haben wir die historische Chance, alles neu zu diskutieren“, sagt Sigrun Lange, beim WWF für das Projekt „Lebendige Flüsse“ zuständig. Professor Gregory Egger vom Aueninstitut Karlsruhe sagt es direkt: „Als Auenökologe ist für mich klar, dass man diese Landschaft nicht der Wasserkraftnutzung opfern darf.“ Egger fordert, alle Möglichkeiten für eine Verbesserung der Situation zu untersuchen: vom Abbau des Wehrs über eine künftig geringere Wassermenge fürs Kraftwerk bis hin zur Möglichkeit, die Weidenbüsche regelmäßig zu entfernen. „Oder wir warten 500 Jahre, bis ein riesiges Hochwasser kommt und alles mitreißt“, sagt er spöttisch.

Christoph Stein ist im bayerischen Umweltministerium verantwortlich für Schutzgebietssysteme. Er verspricht eine unvoreingenommene Analyse. „Wir müssen das Gebietsmanagement so gestalten, dass diese Ikone der bayerischen Landschaft erhalten werden kann.“

Die Obere Isar ist mehrfach gesetzlich geschützt. Sie ist Naturschutzgebiet, teilweise ein Biotop, und sie ist Teil des europaweiten Natura-2000-Netzwerks. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) regelt, welche Tiere und Pflanzen und welche Lebensräume geschützt werden müssen. Und dass sich der Zustand nicht verschlechtern darf.

Seit 1990 muss am Krüner Wehr eine „Mindestwassermenge“ im Isarbett belassen werden, das sind im Sommer 4,8 und im Winter drei Kubikmeter pro Sekunde. Dieses Vorgehen hat jedoch eine gegensätzliche Wirkung: Trotz des erhöhten Wasserstands fehlt der Isar die natür-liche Kraft für die notwendigen Umlagerungen im Flussbett. Die gleichmäßige Versorgung mit Wasser und die Ablagerung feiner Sande lassen ein dichtes Weidengebüsch wachsen. „Die Isar wird nach und nach zu einer Art Mittelgebirgsfluss, der in einem mehr oder weniger festen Bett, gesäumt von einem dichten Wald dahin strömt“, beklagen Experten.

Anders als im Referenzgebiet kurz vor dem Sylvensteinspeicher, wo aufgrund des Zuflusses vom Rißbach noch die grauweißen Kiesbänke leuchten, sieht man zwischen den Isarauen nach der Weberwiese und dem Standort Schröfeln die Verbuschung deutlich.

Steffi Czerny, Gründerin der DLD-Konferenz (Digital Life Design) des Burda-Verlages, WWF-Stiftungsrätin und Initiatorin der Exkursion, hat das Thema Obere Isar zu ihrem gemacht und möchte möglichst viele Menschen dafür gewinnen. Sie spüre eine „Entfremdung“ von Mensch und Natur, die es zu überwinden gelte. „Man muss den Stein kennen, auf dem man steht, und die Luft, die man at-met. Erst dann ist man bereit, sich zu engagieren.“

Auch Auguste von Bayern, Botschafterin von Natura 2000 am Bayerischen Umweltministerium, marschiert mit und sagt: „Der Artenschutz ist noch nicht im Bewusstsein der Menschen. Um das globale Problem in den Griff zu kriegen, muss man vor der eigenen Haustür anfangen. Deswegen engagiere ich mich dafür.“

Petra Speth von der Regierung von Oberbayern gibt die grobe Richtung vor. „Der Zielzustand ist eine ausgewogene Zusammensetzung aller Fluss-typischen Lebensräume, die einem verzweigten Wildfluss über weite Bereiche des Talraumes entspricht.“ Untersuchungen für eine fachliche Entscheidungsgrundlage, sagt Speth, seien am Laufen. „Anfang 2023 hat das Gutachterbüro mit der Bearbeitung begonnen, erste Ergebnisse werden Ende 2024 vorliegen.“

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