Frostige Stimmung im Bahnland Bayern

von Redaktion

VON DIRK WALTER UND KLAUS VICK

München – Ein Fernsehspot aus dem Ende der 60er-Jahre kommt dieser Tage wieder in Erinnerung: Es ist tiefer Winter, man sieht Arbeiter, die Splitt auf die Straße schaufeln. „Alle reden vom Wetter“, sagt ein Sprecher streng mit fester Stimme. Dann rast ein Schnellzug durch, Schneestaub, weg ist er. „Alle reden vom Wetter – wir fahren immer“, schließt der Sprecher. Der Spot endet mit dem DB-Logo.

Alle reden vom Wetter – wir fahren nicht. Das ist derzeit das Motto bei der Bahn. Freitagnacht gegen 23.15 Uhr hatte sie im Raum München den Zugverkehr „kontrolliert eingestellt“, wie sie mitteilte. Samstag und Sonntag stand die Bahn in Südbayern weitgehend still, selbst am Montag rollten nur vereinzelt Züge. In den Sozialen Medien entlud sich die Wut: „Drei Tage keine S-Bahn – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, hieß es auf „X“ (ehemals Twitter). „Dass Hunderttausende zur Arbeit müssen, interessiert wohl nur am Rande.“ Behörden-Versagen, Winterlok-Down, die Bahn schafft sich selbst ab – solche Kommentare gab es zuhauf.

Abgesehen von Teilstrecken der S8, S1 und S3 hatte die S-Bahn auch am Montag den Betrieb noch komplett eingestellt. Fast überall sah es so aus wie an der S-Bahn-Station Buchenau auf der S4 im Westen: dick eingeschneite Gleise, dafür Fußspuren im Gleisbereich. Wo sonst in dichter Abfolge neben S-Bahnen Züge ins Allgäu und die Schweiz fahren, herrscht Stille.

Nicht nur Pro Bahn und die Eisenbahnergewerkschaften GDL und EVG äußerten ihr Entsetzen, auch die Landtags-Opposition ist empört. Der grüne Abgeordnete Markus Büchler sagt: „Ich habe überhaupt kein Verständnis, dass die S-Bahn München den Verkehr am dritten Tag nach den Schneefällen immer noch weitgehend eingestellt hat.“ Stillstand bei der S-Bahn, die sonst 850 000 Fahrgäste täglich transportiert. Da müsse die Staatsregierung im Landtag einiges erklären.

Eventuell muss dann auch die Münchner Verkehrsgesellschaft angesprochen werden, denn auch die Tram war gestern noch ein Totalausfall: Das größte Problem seien die Übergänge, an denen Autos die Schienen kreuzen, erklärte ein Sprecher. Die Autos würden Schnee, Matsch und Eis in die Rillenschienen drücken, wo dann alles gefriert. Eines der Sonderfahrzeuge sei bereits entgleist. Man arbeite sich „meterweise“ vor.

Offenbar gibt es auch Abstimmungsprobleme. Die MVG schreibt, dass Haltestellen nicht freigeräumt seien, „was Aufgabe des Baureferats ist“. Außerdem werde bei Straßenräumarbeiten Schnee auf Gleise gedrängt. Der Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr im Münchner Forum bezeichnete kurzerhand den Winterdienst von MVG und Baureferat als unzureichend.

Kopfschütteln herrscht auch über die Zustände bei der Bayerischen Regiobahn. Die BRB im Oberland müsste auf Schneefälle eingestellt sein – ist es aber nicht. Schon im Januar 2019, nachdem die BRB tagelang den Verkehr eingestellt hatte, hagelte es Kritik. Damals gelobte man Besserung. Und jetzt? Stillstand. Ein lang gedienter Lokführer aus dem Oberland zu unserer Zeitung: „Warum die BRB nicht fährt, ist mir ein Rätsel.“ Oberleitungsschäden könnten es auf der Strecke, auf der nur Dieselzüge verkehrten, ja nicht sein. Die Probleme seien wohl „hausgemacht“. Früher habe es Bahnmeistereien gegeben, die im Stunden-Rhythmus Weichen von Eisbrocken befreiten. Heute erledigten das Fremdfirmen im Auftrag von DB Netz mehr schlecht als recht. Eine BRB-Sprecherin bestreitet das und stellt sich vor die Mitarbeiter: „Die sind draußen und helfen sogar beim Beseitigen von umgestürzten Bäumen.“ Immerhin: Die BRB hat einen Schneepflug, der vor eine Lok gespannt wird. Stellenweise wurde so Schnee geräumt.

Auch die Deutsche Bahn hat Räumfahrzeuge: 13 Stück bei 9800 Streckenkilometern in der Region Süd. „Dazu kommen sieben Fahrzeuge mit „leichter Schneeräumtechnik“ – ob das reicht? Womöglich kommt Managementversagen hinzu: Im Allgäu stand eine Diesellok mit Schneepflug bereit – wurde aber zunächst nicht angefordert. Strecken schneiten zu.

Ein Problem sind auch die Oberleitungen, die unter der Schneelast rissen. Die S-Bahn München berichtet allein von 80 Oberleitungsschäden in ihrem gut 400 Kilometer langen Streckennetz (siehe Artikel rechts). Selbst am Hauptbahnhof blieb Freitagnacht ein ICE wegen einer gerissenen Oberleitung liegen und musste 100 Meter vor dem Ziel evakuiert werden. In ihm saß auch der Abgeordnete Büchler, der sich zu Fuß auf den Heimweg machte – die S-Bahn fuhr ja nicht mehr.

Der nasse Schnee hatte die Oberleitung offenbar vielerorts so durchgebogen, dass es unter den Zügen zu Lichtbögen – also Stromentladungen – kam. Die Leitungen schmolzen und brachen. Am Rosenheimer Bahnhof musste Freitagnacht ein Railjet stoppen, dessen Stromabnehmer die Oberleitung abgerissen hatte. Auf dem Weg zum Güterbahnhof München Nord musste ein Lokführer von DB Cargo Freitag auf Samstag 20 Stunden ausharren, weil der Fahrdraht auf seiner Lok lag und er vergeblich auf Erdungsarbeiten wartete. Der mit Gefahrgut beladene Zug war stundenlang ohne Strom – der Lokführer völlig durchgefroren. Nach Informationen unserer Zeitung war einer der zwei Turmtriebwagen der Oberbauleitung München kaputt. Solche Unzulänglichkeiten gibt es wohl zuhauf: Lokführer berichten, dass es keine Anweisung gab, die Stromabnehmer der Loks regelmäßig zu bewegen.

Haben Züge tagelang keinen Strom, kollabiert die Fahrzeugtechnik. Man sei seit dem Wochenende dabei, „auf dem Werksgelände und auch im Außenbereich Fahrzeug für Fahrzeug wieder an den Strom zu bekommen“, sagt ein Bahnsprecher. „Nicht bei allen Fahrzeugen gelingt das, diese müssen wir dann in das Werk oder in die Werkshalle schleppen.“ Erst nach einer Inspektion könnten sie wieder eingesetzt werden. Deshalb habe man aktuell weniger Fahrzeuge als üblich. Aber: Da die S-Bahn gestern ohnehin kaum fuhr, fiel der Fahrzeugmangel nicht weiter ins Gewicht.

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