München/Frankfurt – Hört man Marc Friedrich zu, der sich selbst als „Deutschlands erfolgreichster Sachbuchautor“ bezeichnet, könnte es einem Angst und Bange werden: „Die EU und unsere Bundesregierung haben ein Bargeldverbot ab 2023 beschlossen“, sagt der Schwabe aufgeregt in einem Youtube-Video von Ende 2022. Das alles sei „klammheimlich“ und „in einer Nacht- und Nebel-Aktion“ passiert. „Es geht um die komplette Überwachung und Enteignung“, warnt Friedrich, der Politiker „Clowns“ nennt und eine „digitale Diktatur“ an die Wand malt. Nun ist das Jahr 2023 fast vorbei – und das Bargeld gibt es immer noch.
Marc Friedrich ist nicht der einzige schrille Mahner. Die Querdenker-Bewegung geht regelmäßig mit dem Thema Bargeldabschaffung auf die Straße und fordert auch mal dazu auf, möglichst viel Bargeld abzuheben und zu horten. Auch die AfD ist auf den Zug der Angst aufgesprungen. Man verteidige „das Eigentum des deutschen Volkes“, tönte etwa die bayerische Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner im Sommer, damals noch als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl.
Das Thema eignet sich schon deshalb gut für düstere Szenarien und Selbstvermarkter wie Marc Friedrich, weil es die Deutschen tatsächlich beschäftigt. Viele ältere Menschen kommen mit der digitalen Welt nicht zurecht, andere, auch jüngere, wollen nicht, dass jede Zahlung, die sie tätigen, erfasst wird und so eine Art digitales Lebensprofil entsteht. Bundesweit gibt es deshalb auch unzählige seriöse Initiativen zum Erhalt des Bargeldes. Einzelhändler, Handwerksverbände sowie besorgte Privatpersonen engagieren sich hier.
Fakt ist: Das Bargeld befindet sich im Alltag in einer Art Rückzugsgefecht. Zum einen, weil immer mehr Verbraucher im Internet mit Paypal oder Apple Pay sowie in Geschäften mit Kreditkarte oder dem Handy zahlen. Was die Umsätze betrifft, ging 2017 noch jeder zweite Euro in bar über die Ladentheke, 2021 waren es laut Bundesbank nur noch drei von zehn. Und einige Zahlungsanbieter wie Paypal schlachten die Daten ihrer Kunden durchaus hemmungslos aus, erstellen Kundenprofile und geben diese auch weiter. Der gläserne Bürger ist also längst Realität. Er macht sich meist freiwillig nackt – etwa, wenn er im Supermarkt Rabattpunkte sammelt und so seine Daten für eine Bratpfanne selbst opfert.
Ein zweiter Punkt: Es gibt immer mehr Regeln, die den Gebrauch von Bargeld etwas eindämmen. So werden im Euro-Raum seit Ende 2018 keine neuen 500er-Scheine mehr produziert und die EU will eine einheitliche Obergrenze für Barzahlungen von 10 000 Euro, um Geldwäsche zu erschweren. Die meisten EU-Mitglieder haben bereits Grenzen, die oft deutlich darunter liegen, in Griechenland sind es nur 500 Euro. Zudem hat Deutschland 2023 den Barkauf von Immobilien verboten. Diese Maßnahmen sollen die organisierte Kriminalität bekämpfen, Schwarzarbeit und die Schattenwirtschaft eindämmen, die laut Schätzungen in Deutschland bei mehr als 330 Milliarden Euro liegt – pro Jahr.
Während sich viele wundern, dass es überhaupt möglich war, Immobilien mit Geldkoffern zu erwerben, ziehen Kritiker wie Marc Friedrich genau diese Schritte als Beleg heran, dass Deutschland auf dem direkten Weg in den Überwachungsstaat ist. Wichtiger Bestandteil der Argumentation: der digitale Euro, an dem die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet. Er soll als elektronisches Zentralbankgeld fungieren – laut Systemkritikern der letzte Schritt, um die Bürger in den digitalen Raum zu zwingen. Friedrich prophezeit sogar, dass die EZB mit dem digitalen Euro soziale Profile von Bürgern erstellen könnte oder Zahlungen nur dann erlaubt, sobald jemand geimpft oder politisch konform ist.
Fragt man bei der Deutschen Bundesbank nach, erntet man Kopfschütteln. Der digitale Euro sei für Zahlungen im Internet gedacht – als kostenlose und sichere Alternative zu privaten Zahlungsanbietern. Datenschutz stehe dabei an erster Stelle. „Das Eurosystem wird keine Nutzerdaten erhalten, keine Nutzerprofile erstellen und auch keine Verhaltensmuster ableiten“, verspricht Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Bundesbank. „Anders als manche Plattformanbieter im Internet haben wir auch keinerlei kommerzielles Interesse an Zahlungsdaten oder deren Weitergabe an Dritte.“
Den Wirbel um ein Bargeldverbot hält Balz für eine Scheindebatte. „Eine Abschaffung ist überhaupt nicht vorgesehen“, betont er. Auch in einer immer digitaleren Welt habe Bargeld einen festen Platz. Dieser sei rechtlich verankert – im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, im EZB-Status und in der Verordnung über die Einführung des Euro. Sowohl die EU als auch der Bund hätten sich erst jüngst klar zur Zukunft des Bargelds bekannt. „Es spielt eine wichtige Rolle in unserem Alltags- und Wirtschaftsleben“, sagt Balz. „Und das wird auch so bleiben.“ Wer sichergehen wolle, dass seine Daten nicht digital erfasst werden, „der kann weiter bar bezahlen“.
Marc Friedrich überzeugt das offenbar nicht. In seinen Videos, die millionenfach geklickt werden, redet er sich dauernd in Rage – auch über Impfzwang, Blackouts, Börsencrashs oder den Zusammenbruch des Finanzsystems. Extremszenarien sind sein Geschäftsmodell. Vermutlich zahlt sich das aus: Er vertreibt sehr erfolgreich Bücher, ist als Redner buchbar. Selbst Fanartikel wie Kappen, T-Shirts oder „Lügen sie weiter!“-Kapuzenpullis kann man bestellen. Bezahlen kann man in seinem Webshop mit Kreditkarte, Unionpay, Paypal, Sofortüberweisung oder der Kryptowährung Bitcoin. Und „zum schnelleren Bezahlen“ kann der Kunde seine Daten gleich speichern lassen.