München – Der Samstagabend, er lebt – auch ohne Thomas Gottschalk. Der Spartensender „Sport1“ hat sich den Samstag gekrallt, sendet, wenn drüben bei der ARD der Jingle der Tagesschau verklungen ist, das Fußball-Topspiel. Nicht das der Bundesliga, daran hat der Sender mit Sitz in Ismaning keine Rechte, aber das der 2. Liga. Und das ist oft das von den Namen her klangvollere und vom Geschehen her prickelndere.
Vor wenigen Wochen erst: Fortuna Düsseldorf gegen den 1. FC Kaiserslautern. 0:3-Rückstand, 4:3-Sieg für die Fortuna, ein Flaschenwurf, viel Drama und ein volles Stadion. 50 000 sind da. Eine Woche später Kaiserslautern gegen den Hamburger SV: 3:3. Ein Megaspektakel mit einem 52-Meter-Tor. Das Fritz-Walter-Stadion ist ausverkauft: ebenfalls 50 000. Kaiserslautern und Hamburg, das waren mal Geschichten aus der Bundesliga-Spitze und aus dem Europapokal.
Oben in der „richtigen“ Bundesliga: Der 1. FC Heidenheim, eine charmante Aufstiegsgeschichte, aber ein Club im geografischen und emotionalen Nirgendwo. RB Leipzig, das sich als Werbefläche für ein Energy-Getränk in den Fußball gemogelt hat, der VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim, die auswärts nur mit ein paar hundert Fans aufkreuzt. Darmstadt, nun ja. Der FC Augsburg, zu dem die meisten keine Bindung aufbauen können. Oder der FSV Mainz, der in einem Stadion spielt, das aussieht wie ein Baumarkt.
Hingegen die 2. Liga: hat von der Bundesliga Hertha BSC und Schalke 04 geschenkt bekommen, mit dem 1. FC Nürnberg, dem Hamburger SV, dem 1. FC Kaiserslautern und Eintracht Braunschweig Vereine, die einst den Bayern die Deutsche Meisterschaft entrissen. Außerdem sind da Düsseldorf, Hannover 96, der Karlsruher SC, der einst das „Wunder vom Wildpark“( 7:0 im UEFA-Cup gegen Sevilla) erschuf, der kultige FC St. Pauli, aus dem Osten der 1. FC Magdeburg, der 1974 den Europapokal der Pokalsieger gewann, und Hansa Rostock. Acht aktuelle Zweitligavereine stehen unter den Top 20 der ewigen Bundesliga-Tabelle. „Gelernte Erstligisten“, sagt Charly Classen, der Sportchef des Bezahlsenders „Sky“.
Nicht immer war die 2. Liga so populär. Günther Koch, einst die Radiostimme des Bayerischen Rundfunks, sprach 1999 den starken Satz in den Äther: „Wir melden uns vom Abgrund.“ Der 1. FC Nürnberg taumelte damals in den Abstieg – eine Katastrophe. Der „Club“ ist seitdem Fahrstuhl gefahren, rauf, runter. Mittlerweile steckt er in der fünften Saison in der 2. Liga fest. Koch seufzte schwer über das Leben in der 2. Liga. Heute hört sich Koch, agile 81, komplett anders an. „Ich sehe nur noch 2. Liga, ich bin zufrieden und glücklich damit.“ Von den „Oligarchen und korrupten Bengeln in der ersten Liga“ habe er sich abgewandt, die 2. Liga sei „vom körperlichen Einsatz fast professioneller als die Millionarios da oben“. Nürnberg, sagt Koch, der von 2011 bis 2020 im Aufsichtsrat des Vereins saß, habe seine Provinzialität akzeptiert. Die Fans seien dafür, dass der 1. FC Nürnberg seine Form als eingetragener Verein erhalte. „Der große Investor wird zu uns nicht kommen.“ Gleichwohl fühle sich alles gut an für ihn. Gegen Schalke zu spielen, das sei wie früher.
Auch für Classen fühlt sich die 2. Liga gut an. „Sky“ hat die Übertragungsrechte, das Topspiel am Samstagabend läuft auch im Free-TV bei „Sport1“. Beim Hamburger Stadtderby habe man im April über eine halbe Million TV-Zuschauer gehabt, sagt Classen. „Die Reichweiten können sich auf dem Niveau der Bundesliga oder darüber bewegen“, schwärmt er. Und in den vergangenen fünf Jahren hätten sie „spürbar zugenommen“. Die 2. Liga, sie brummt, dank Absteigern wie dem HSV oder Schalke mit ihren großen Stadien und treuen Fans.
Dass die Bindung an einen Verein ligaübergreifend lebt, dafür ist der HSV ein Beispiel. „Liebe kennt keine Liga“, sagt Christian Winkler. Winkler stammt aus Mittenwald. „Aber seit mir Kevin Keegan 1978 ein HSV-Trikot übergestreift hat, ist es um mich geschehen.“ Der Engländer Keegan war seinerzeit die Stürmer-Attraktion der Bundesliga. Winkler, früher Eishockey-Torwart und heute Manager der Red-Bull-Eishokey-Teams München und Salzburg, bei denen Titel Pflicht sind, schätzt am HSV die „außergewöhnliche Atmosphäre. Die Fans machen jeden Spieltag zu einem Festtag“. Die 2. Fußballliga findet er „attraktiv“.
Auch Classen spricht von „einem attraktiven Recht“, das sein Sender hat. Anders als in der Bundesliga, in der die Serie von elf Meisterschaften des FC Bayern den Titelkampf zum Erliegen gebracht hat, erscheint eine Klasse tiefer alles möglich. Am letzten Spieltag 2023 ging der Kampf um den direkten Aufstieg bis in die Nachspielzeit. In der Tabelle liegen die Clubs dicht beieinander. „Enge Aufstiegsrennen, die Ausgeglichenheit und stimmungsvolle Stadien machen die Liga unabhängig von einzelnen Vereinen attraktiv“, sagt Classen. Und so ist die 2. Liga die weltweit und über alle Sportarten hinweg erfolgreichste – gemessen an der Zuschauerresonanz, die in der letzten Saison im Schnitt bei 22 270 lag.
Die Schattenseite: Die finanzielle Ausstattung ist mit der Bundesliga nicht vergleichbar. Oben liegen die Fernsehgelder zwischen 31,3 (Darmstadt) und 95,5 Millionen Euro (FC Bayern). In der 2. Liga geht es von 7,4 (Elversberg) bis 22,3 Millionen (Hertha BSC). In der Bundesliga gehört man zum niedrigsten „Cluster III“, wenn der Personalaufwand unter 46 Millionen Euro liegt, in der zweiten Liga heißt „Cluster III“ weniger als 10,1 Millionen Euro.
Realität ist auch: Laut dem Wirtschaftsreport der Deutschen Fußball Liga (DFL) von 2023 liegt die Eigenkapitalquote der 18 Zweitligisten bei 3,0 Prozent – in der Bundesliga sind es 44,7. Deshalb wollen trotz des Booms auch die meisten Clubs aus der 2. Liga nach oben. In Aufstiegsstadien wird „Nie mehr zweite Liga“ gesungen werden. Weil das Folklore ist wie die Bierdusche und der Überfall der Spieler auf den Trainer in der Pressekonferenz. Aber so schlimm war es eine Liga tiefer dann meistens doch nicht.