„Tabakschnupfen ist Ausdruck bayerischer Gemütlichkeit“

von Redaktion

INTERVIEW Heimatpfleger Michel Ritter erklärt, warum in Bayern geschnupft wird – und früher sogar Tabak im Freistaat angebaut wurde

München – Seit Jahrhunderten wird in Bayern Schnupftabak konsumiert. Früher wurde der Tabak sogar im Freistaat angebaut, sagt Michael Ritter. Der 62-Jährige ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege.

Herr Ritter: Seit wann gibt es in Bayern das Tabakschnupfen?

Wann der Schnupftabak zum ersten Mal aufgetaucht ist, weiß man nicht genau. Die frühesten Quellen gehen auf das späte 16. Jahrhundert zurück. Damals war Tabak als Heilpflanze in Gebrauch, die Menschen dachten, dass es gegen Kopfschmerzen helfen würde. Der Schnupftabak wurde auch gegen Zahnschmerzen genommen und um die Sehstärke aufzubessern. Erst später wurde er als Genussmittel verwendet.

Welche Menschen haben damals geschnupft?

Tabak war ein elitäres Genussmittel des Adels. Söldner haben aber nach dem Dreißigjährigen Krieg für die allgemeine Verbreitung in allen Gesellschaftsschichten gesorgt – auch beim Bauernvolk. Der Verwaltungsbeamte und Literat Joseph von Hazzi schrieb 1805 über Bayern: „Das Mannsvolk schnupft gern Presiltaback“. Mit Presil war Brasilien gemeint, wo die Tabakblätter herkamen. Zu dieser Zeit wurde der Tabak noch vornehmlich in Privatgärten angebaut.

Moment, in Bayern wurde Tabak angebaut?

Ja. In Europa ist er ja nicht heimisch, weshalb er zunächst ausnahmslos importiert wurde. Allmählich hat man angefangen, die Pflanze auch bei uns vereinzelt zu kultivieren. Im Laufe des 18. Jahrhundert ging es dann in Deutschland mit der erwerbsmäßigen Erzeugung los. Es gab drei große Anbaugebiete: Baden, die Uckermark im damaligen Preußen und eben Bayern. Bis auf ein paar wenige Flächen ist der Tabakanbau heute aber aus Deutschland wieder verschwunden.

Waren das denn große Tabakplantagen?

Nein, bis ins 18. Jahrhundert war der Tabakanbau überwiegend in privater Hand, er wurde meist in Haus- oder Apothekergärten angebaut. Um 1850 aber gab es in Mittelfranken eine Anbaufläche von mehr als 2000 Hektar, die sich weitgehend in bäuerlicher Hand befand. 1733 wurde dann in Offenbach am Main die erste Schnupftabakfabrik in Deutschland gegründet. Sie zog im frühen 19. Jahrhundert nach Regensburg um. Heute hat sie ihren Sitz in Sinzing, sie ist die älteste Schnupftabak-Fabrik in Deutschland. Daneben gab es aber auch weitere Schnupftabak-Produzenten.

Und seit wann gibt es die Schnupfclubs?

Das hat nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Da hatten sich Schnupferclubs gebildet, die sich dann auch zu Verbänden zusammengetan haben. Die erste Weltmeisterschaft im Tabakschnupfen fand 1978 in England statt – die zweite aber schon im oberbayerischen Nandlstadt.

Schnupftabak galt schon immer als typisch bayerisch. Warum?

Da kann man nur spekulieren. Verschiedene Dinge kommen da wohl zusammen. Zum einen hatte der Tabakanbau eine lange Tradition in Bayern, dadurch wurde auch das Schnupfen weit verbreitet. Zum anderen hat das auch mit der bayerischen Mentalität zu tun. Bei uns geht man gern zum Stammtisch ins Wirtshaus, man trinkt ein Bier und ab und zu gibt’s eine Pris als Ausdruck entspannter Gemütlichkeit. Außerdem waren die schön verzierten Tabakdosen und Tabakgläser ein repräsentatives Statussymbol.

Hat das noch etwas mit dem sogenannten Wiesn-Koks auf dem Oktoberfest zu tun?

Nein, der weiße Schnupftabak ist eine moderne Sonderform des Schnupfens. Der braune Schnupftabak hat dagegen eine lange Tradition auf der Wiesn. Es gibt ihn aber bei allen Festen. Überall dort, wo man gemütlich zusammensitzt.

Interview: Max Wochinger

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