Berlin/München – „Aufhören!“, „Neuwahlen!“ Die geschätzt 10 000 Bauern, die sich am Montag am Brandenburger Tor in Berlin versammelt haben, um der Ampel-Regierung den Marsch zu blasen, wollen Cem Özdemir nicht hören. Der grüne Landwirtschaftsminister, der sich – anders als Finanzminister Christian Lindner (FDP) – nicht vor der Auseinandersetzung mit den zornigen Landwirten gedrückt hat, wird niedergebrüllt. Auch Appelle von Bauernpräsident Joachim Rukwied, fair zu sein und den Minister ausreden zu lassen, fruchten nicht. Özdemir kann zu der wütenden Menge kaum durchdringen.
Am frühen Morgen hatten sich Landwirte aus ganz Deutschland auf den Weg gemacht, um ihren Widerstand gegen die geplante Streichung des Agrardiesels und die Rücknahme der Kfz-Steuerbefreiung unter Beweis zu stellen. Hunderte von Traktoren blockieren die Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und der berühmten Siegessäule.
13 Busse aus Bayern sind unterwegs, dazu noch zahlreiche Landwirte, die sich mit Privatwagen anschließen. „1000 Bauern und Bäuerinnen aus Bayern sind beim Protest dabei“, sagt der oberbayerische Bauernpräsident Ralf Huber aus Allershausen (Kreis Freising). Mit Kuhglocken, Trillerpfeifen und Sirenen unterstützen sie die scharfe Kritik von Bauernpräsident Rukwied. „Zu viel ist zu viel“, ruft der eigentlich sonst besonnene Bauernpräsident in die Menge. „Das ist eine Kampfansage an die Bundesregierung, dass es so nicht weitergeht. Es reicht!“ Wenn die Bundesregierung die unzumutbaren Vorschläge nicht zurücknehme, würden Landwirte mit weiteren Protesten dafür sorgen, dass es „einen sehr heißen Januar“ geben werde. „Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat.“ Während Rukwied seiner Wut Luft macht, steht Cem Özdemir neben ihm und lässt die Zornesrede nahezu regungslos über sich ergehen. Bis hin zur Forderung Rukwieds, dass er – Özdemir – notfalls sein Amt zur Verfügung stellen müsse, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck ihm nicht zuhörten. Der Agrarminister hatte schon mehrfach erklärt, dass er die doppelte Belastung der Landwirte ganz und gar nicht teilt.
Vor allem auf die FDP sind die Bauern stinksauer: „Die FDP hat zugesichert, dass es keine Steuererhöhung geben wird. Das ist Wortbruch“, ruft Rukwied. Auch mit den Grünen geht der Bauernpräsident hart ins Gericht. Wirtschaftsminister Habeck solle darauf achten, dass Außenministerin Annalena Baerbock „nicht weiterhin deutsches Steuergeld an andere Länder verschenkt“. Das Geld müsse dafür verwendet werden, dass die Menschen hierzulande eine Zukunft haben. Von einem Bundesagrarminister, so Rukwied, erwarte er, dass er sich mit Herzblut für seine Bauern einsetze.
Özdemir nickt kaum sichtbar. Als er dann ans Mikrofon tritt und Verständnis für die „Riesenwut“ der Bauern äußert, sieht es so aus, als wollten die Bauern ihm zuhören. Aber als Özdemir sie warnt, sich politisch nicht in eine falsche Ecke drängen zu lassen, sind die Landwirte außer sich. „Sakrament, des darf doch ned wahr sein“, schimpft Oberbayerns Bauernchef Huber. Bei der Landtagswahl in Bayern habe man sehen können, dass die Bauern am wenigsten die AfD gewählt hätten. „Mir samma keine Rechten, mir brauchen unser Recht!“ Huber fordert Planungssicherheit für die Bauern. „Wenn wir Investitionen tätigen, geht es um 25 Jahre! Es kann nicht sein, dass ein neuer Stall in sechs Jahren nicht mehr der Zulassung entspricht. Das geht nimmer.“
Die Streikbereitschaft der Landwirte scheint hoch. Was genau die Bauern ab dem 8. Januar planen, sollte sich die Regierung nicht bewegen, ist noch unklar. Schon munkeln sie über eine Blockade in ganz Deutschland.
Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) nennt die Demonstration ein großartiges Zeichen des Zusammenhalts der Bauernschaft – es sei ganz wichtig, hier ein Zeichen zu setzen, deswegen sei sie auch angereist. „Wir erleben seit zwei Jahren ein Desaster mit dieser Bundesregierung. Wir sehen, dass außer Ankündigungen nichts auf den Weg gebracht wird.“ Wenn man so weitermache, würden alle Produkte aus dem Ausland kommen – „das kann nicht unser Ziel sein, weder wirtschaftlich noch ökologisch“. Wenn man an die CO2-Bilanz denke und die Produktionsstandards, „dann ist das ein Volldesaster. Deswegen braucht die Landwirtschaft Rückenwind und keinen Gegenwind.“ Enttäuscht ist Kaniber von Özdemir – seine Versicherung, er habe sich für die Agrardiesel-Rückerstattung starkgemacht, stimme nicht. „Die Grünen haben seit 2015 immer wieder für die Abschaffung plädiert. Und wer war damals Bundesvorsitzender der Grünen? Cem Özdemir!“
Auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist in Berlin. Demonstrativ hat er sich zu den bayerischen Bauern gesellt. „Ohne Bauern keine Zukunft“, sagt er und schimpft in Richtung Ampel: „Offenbar ist es das Ziel, die regionale Nahrungsmittelerzeugung in Deutschland zu zerstören.“ Die Landwirte seien keine Klimasünder, sondern „Garanten unserer Lebensmittelversorgung“.
Oberbayerns Bauernpräsident Huber ist zufrieden mit der Demo. „Wir wollten unseren Zorn zeigen, dass es so nicht mehr geht.“ Er hoffe, dass Özdemir das verstanden hat und in der Regierung ein Umlenken bewirkt. Und wenn nicht, dann geht der Bauernaufstand vermutlich weiter. CLAUDIA MÖLLERS