Ockholm – Es sind tumultartige Szenen an der Nordsee, die noch drei Tage danach viele in der Republik verstören: Wütende Demonstranten hindern im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel Passagiere einer Fähre daran, an Land zu gehen. Ein Teil der Blockierer versucht, das Schiff der Wyker Dampfschiffs-Reederei zu erstürmen. Ihre Wut richtet sich gegen den aus dem Norden stammenden Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Einige Polizisten mit Pfefferspray und das gerade noch rechtzeitige Ablegemanöver des Kapitäns verhindern Schlimmeres.
Wer steckt hinter der Aktion? Was hat das mit den Bauernprotesten zu tun? Und wie wird sich das auf die angekündigte und heute startende Protestwoche auswirken?
Der Bauernverband distanziert sich klar vom Übergriff in Nordfriesland. „Wir merken, dass wir unterwandert werden sollten“, heißt es vom Verband in Schleswig-Holstein. Der Protest der Landwirte richte sich gegen die geplanten Kürzungen der Bundesregierung. Mit der Aktion in Schlüttsiel habe der Verband nichts zu tun.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, lädt rechte Gruppierungen von den geplanten Demonstrationen diese Woche ausdrücklich aus. „Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“, sagt Rukwied. „Aktionen wie in Schlüttsiel schaden unseren politischen Anliegen. Wir wollen in der Woche friedlich und geordnet demonstrieren.“
Nach Polizeiangaben befinden sich bei Ankunft der Fähre bis zu 300 Menschen an dem Anleger, die Stimmung beschreiben die Beamten als angespannt. Habeck reist nach Angaben einer Ministeriumssprecherin von einem Privatbesuch von Hallig Hooge zurück zum Festland. Der Vizekanzler sei gerne bereit gewesen, mit den Landwirten zu sprechen, weil er die Nöte kenne, sagt die Sprecherin. Aufgrund der Sicherheitslage sei es aber nicht zu einem Gespräch gekommen. Angebote, mit einzelnen Landwirten an Bord des Schiffes zu reden, hätten die Demonstranten abgelehnt. Wegen der Sicherheitslage sei es nicht möglich gewesen, zu den Menschen an Land zu gehen.
Neben Habeck können auch die anderen 30 Passagiere das Schiff nicht verlassen. „Aus meiner Sicht Nötigung. Das ist ein schlimmer Vorgang“, sagt der Geschäftsführer der Wyker Dampfschiffs-Reederei, Axel Meynköhn. Es hätten auch medizinische Notfälle an Bord sein können. Mit seinem Ablegemanöver habe der Kapitän im letzten Moment die Erstürmung der Fähre verhindert: „Es war keine Minute zu spät, sonst wäre der Mob an Bord gewesen mit nicht auszudenkenden Folgen.“ Das Schiff fährt zurück zur Hallig Hooge. Erst in der Nacht erreicht der Vizekanzler wieder das Festland.
Keine Frage: Da hat sich mit dem Hin und Her in der Energie- und Haushaltspolitik großer Ärger aufgestaut. Aber die Art und Weise des Protests schockt auch erfahrene Politiker. Fast normal ist für sie inzwischen, auf Kundgebungen Sprechchöre wie „Kriegstreiber“, „Versager“ oder „Lügner“ zu hören, wie es Kanzler Olaf Scholz immer wieder passiert. Eine andere Qualität hat es, wenn Amtsträger als Privatpersonen angegangen werden – wie Habeck nun oder wie der Fackelzug zum Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) während der Pandemie 2021.
Habeck sagt, er habe als Minister Polizeischutz, aber andere müssten Angriffe allein abwehren. „Was mir Gedanken, ja Sorgen macht, ist, dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt.“ Protestieren sei ein hohes Gut. „Nötigung und Gewalt zerstören dieses Gut.“
Auch aus der Opposition kommen nun Mahnungen, in der Protestwoche die Gesetze einzuhalten. Selbst CDU-Chef Friedrich Merz ruft die Landwirte dazu auf, friedlich zu bleiben und sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Merz verbreitete am Wochenende, alle, die protestieren wollten, sollten dies mit „Augenmaß und vor allem ohne Gewalt“ tun. „Landwirte, Spediteure oder wer auch immer dürfen sich nicht instrumentalisieren lassen von Leuten und Gruppierungen, die den legitimen Protest missbrauchen, um das ganze System unseres Landes infrage zu stellen.“
Die CSU stellt sich bei ihrer Seeon-Klausur klar hinter die Proteste, äußert inhaltlich Verständnis, Rukwied tritt geute dort auf. Zum Fähren-Sturm sagt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt aber, dies sei eine „unmögliche“ Entgleisung, „die so nicht stattfinden darf“. Das klingt anders als bei FDP-Finanzminister Christian Lindner, der über die Landwirte-Proteste sagt: „Lassen Sie sich nicht unterwandern. Sie haben sich verrannt.“
Es sind Zitate, die die Branche sehr verärgern. Der Bauernverband bittet die Landwirte dennoch, auf die Zeichen zu achten. „Demo-Symbolik wie Galgen, schwarze Fahnen oder andere Symbole extremistischer Gruppen lehnen wir entschieden ab“, warnt der Verband.
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger will selbst mitdemonstrieren. Dass es bei den Auftritten keine kriminellen Aktionen und Sachbeschädigungen geben dürfe, sei eine Selbstverständlichkeit, sagt er. Er wolle dafür sorgen, dass die Landwirte die Plätze, auf denen sie protestieren, sauberer verlassen, als sie es vorher waren. „Bauern wissen sich zu benehmen.“