Neufahrn/München – Es ist kurz nach sechs Uhr in der Früh. Das Thermometer zeigt minus 6 Grad Celsius, doch in der Küche von Familie Steinberger in Neufahrn (Kreis Freising) ist es behaglich warm. Noch eine schnelle Tasse Kaffee, ehe sich Landwirt Felix Schmiegel, Freund der Steinberger-Tochter Anna, in die Kälte verabschiedet. Es geht zur großen Auftaktveranstaltung der Bauernproteste am Münchner Odeonsplatz. Hier wollen sie demonstrieren gegen die Kürzungspläne der Bundesregierung.
Mit lautem Wummern fährt der Traktor Marke Fendt vor. Das am Frontdruckhebel befestigte Schild hat eine klare Botschaft: „Man braucht sich vor nichts so zu fürchten, wie wenn Bauern an einem Strang ziehen.“ Und so setzt sich ein anfänglich kleiner Zug aus Neufahrn Richtung Echinger See in Bewegung. Immer mehr Traktoren schließen sich an. Trotz der Eiseskälte wollen die Bauern ein Zeichen setzen, denn „so geht es nicht mehr weiter“, wie Landwirt Franz Brandstätter aus Attaching meint. Felix Schmiegel hat eine Botschaft: Er will bei Bürgern Verständnis für die Landwirtschaft wecken. Dafür müsse sie transparent arbeiten. Er freut sich, als in München Passanten rufen: „Danke! Wir stehen hinter euch“, ehe die Traktorenkolonne auf der Leopoldstraße zum Stehen kommt.
Mit Transparenten, Kuhglocken, dicken Schals und warmen Mützen stehen inzwischen tausende Bäuerinnen und Bauern auf dem Odeonsplatz. Sie sind laut, sie sind viele – mehr als der Bauernverband gedacht hatte –, sie sind stinksauer und vor allem: sie sind friedlich. Oder gut erzogen, wie Bauernpräsident Günther Felßner fast beschwörend in die Menge ruft. Die Sorge, dass der Bauernprotest aus dem Ruder laufen könnte, weil sich vielleicht rechte Randalierer unters Volk mischen, ist spürbar. Aber die Bauern wissen, was sich gehört. Die geschätzt 8000 bis 10 000 Landwirte und bäuerlichen Sympathisanten wollen der Bundesregierung heute nur zeigen, dass sie zum Widerstand wild entschlossen sind. Der Bauernaufstand in München ist nur der Auftakt von weiteren, dann vielleicht härteren Auseinandersetzungen.
„Wir Bauern haben in der Corona-Zeit das Land am Laufen gehalten, ist das jetzt der Dank dafür aus Berlin?“, ruft Felßner den Bauern zu, die mit wütendem Johlen antworten. Ihre Bulldogs haben sie in der Leopoldstraße bis hoch zur Münchner Freiheit geparkt. Von 5500 Traktoren spricht die Polizei, der Bauernverband meldet 7000 Bulldogs, die aus allen Richtungen unter lautem Hupen in die Stadt drängeln.
Eine regelrechte Orgie an Kürzungen hätten die Bauern über sich ergehen lassen müssen – doch die jüngsten Pläne mit der Kürzung der Agrardiesel-Rückerstattung und der geplanten Kraftfahrzeugsteuer auf landwirtschaftliche Fahrzeuge hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. So sehr, dass selbst die Rücknahme der Kfz-Steuer-Pläne die Bauern nicht besänftigt. Beide Belastungen müssten vom Tisch. Und: „Die Ampel hat Flasche leer, die hat fertig“, sagt Felßner unter Beifall.
Mit aller Wucht kriegt der Bundestagsabgeordnete Karl Bär den Zorn der Bauern ab. Der Obmann der Grünen im Agrarausschuss hat sich in die Höhle des Löwen gewagt – doch die aufgebrachten Bauern wollen ihn nicht hören: „Hau ab“, „Aufhören!“, schallt ihm entgegen, als er versucht, seinen Parteifreund, Bundesagrarminister Cem Özdemir, als Kämpfer für die Bauern zu loben. Höhnisches Gelächter übertönt seinen Redeversuch. Als er dann noch sagt, dass sich der demokratische Staat nicht erpressen lasse und dabei auch auf die Klimakleber verweist, die durch ihre Aktionen die Sympathien der Bevölkerung verloren hätten, gibt es kein Halten mehr: Pfiffe, Buh-Rufe, Brüllen. Felßner ist empört, dass Bär versuche, eine demokratisch legitimierte Demonstration als Erpressungsversuch zu bezeichnen.
Auf der Bühne vor der Feldherrnhalle zeigen die Spitzen von Wirtschaft und Handwerk ihre Solidarität. Der Verband der bayerischen Wirtschaft, der Hotel- und Gaststättenverband, die Bäcker, die Metzger, das Müllerhandwerk: Alle versichern den Bauern ihre Unterstützung, schimpfen über teure Energie, die Anhebung der Mehrwertsteuer, die Erhöhung der Maut, eine überbordende Bürokratie.
Auch Politiker stellen sich an die Seite der erzürnten Bauern: Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Agrarministerin Michaela Kaniber, Staatskanzlei-Minister Florian Herrmann und EU-Politiker Manfred Weber – alle von der CSU. Die Demo dauert schon eine knappe Stunde, als sich auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) auf dem Odeonsplatz zeigt. Als er von Felßner begrüßt wird, johlt die Menge „Hubsi, Hubsi“. Der selbst ernannte Bauern-Freund bleibt nur kurz, findet Gefallen daran, Selfies mit begeisterten Landwirten zu machen – und verschwindet wieder.
Ein Auftritt sehr zum Missfallen von Agrarministerin Kaniber. Doch Aiwanger ist heute nicht das Thema. Die CSU-Politikerin ist stolz auf ihre Bauern und deren friedlichen Protest. „Die ganzen Verbote, Gesetze und Steuererhöhungen – das ist zu viel, das hält der beste Unternehmer nicht aus.“ Angst vor einem Ausufern der Demos hat sie nicht: „Unsere Bauern sind anständige Leute“. Landwirt Felix Schmiegel aus Neufahrn ist zufrieden mit dem Auftakt der Proteste: „Jetzt müssen wir am Ball bleiben.“