Zu viele Bären: Trentino plant massiven Abschuss

von Redaktion

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN UND WOLFGANG HAUSKRECHT

Trento – „Wir setzen uns dafür ein, dass das neue Gesetz, das die Tötung von bis zu acht Tieren pro Jahr erlaubt, so schnell wie möglich eingebracht wird“, hatte der Chef der Provinzregierung, Maurizio Fugatti, bereits vor Weihnachten betont. Der Politiker der rechtsnationalen Lega wurde im Oktober für fünf Jahre wiedergewählt, seine Koalition hat eine bequeme Stimmenmehrheit im Parlament. Wie nun aus der Provinzhauptstadt Trento zu erfahren ist, hat es Fugatti beim Abschuss der Bären besonders eilig. Denn die rund 150 Tiere im Adamello-Brenta-Gebiet nördlich des Gardasees sind derzeit im Winterschlaf, erwachen aber bald und könnten dann wieder für böse Überraschungen sorgen.

So wie am 5. April des vergangenen Jahres. Damals wurde der 26-jährige Jogger Andrea P. bei Caldes von der Bärenmutter JJ4 mit ihren Jungtieren überrascht und von ihr getötet. JJ4, auch „Gaia“ genannt, ist die Schwester des 2006 in Bayern abgeschossenen Braunbären „Bruno“. Der Vorfall verschärfte die Debatte im Land. Tierschützer kämpften um das Leben von Gaia und Gerichte untersagten schließlich den Abschuss.

Den Streit ausgelöst hatte schon zuvor im März ein Vorfall mit dem Bär MJ5, der einen Wanderer angegriffen und verletzt hatte. Das Bärenweibchen Gaia wurde inzwischen gefangen und in ein abgesichertes Wildgehege in Südtirol gebracht.

Das Gesetz soll dieser Tage in seinen letzten Details fertiggestellt, ins Parlament eingebracht und bereits im Februar verabschiedet werden. Kommt es durch, wird es nach dem Winterschlaf gefährlich für die Bären im Trentino. Provinzchef Fugatti nannte das Gesetz „ein wichtiges Managementinstrument, das in erster Linie die öffentliche Sicherheit, aber auch den Schutz der Bergwirtschaft gewährleistet“.

Immer wieder kam es im Trentino in den vergangenen Monaten zu teilweise gefährlichen Zusammenstößen zwischen Mensch und Tier. Landwirte klagen über Bären und Wölfe, die Zuchttiere gerissen oder andere Schäden verursacht haben. Fugatti hat für seine Linie Alliierte in der rechtskonservativen Regierung in Rom. Einer Studie des nationalen Instituts für Umweltforschung ISPRA zufolge würden mehr als acht Abschüsse pro Jahr, zwei Weibchen und sechs Männchen, die Bärenbevölkerung im Trentino gefährden.

Auf den Ergebnissen der Studie fußt nun der Gesetzentwurf. Tierschützer laufen Sturm. „Wir werden die Regierung auffordern, das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anzufechten“, sagt Massimo Vitturi vom Tierschutzverband LAV. Man wolle sich auch an die EU-Kommission wenden. Die Bären dürften nicht abgeschossen werden. „Die Provinzregierung wütet gegen die Tiere, die keine Verantwortung tragen. Es ist die Politik, die verantwortlich ist.“ Anstatt die Braunbären zu töten, wären andere Schritte notwendig.

Vitturi schlägt eine Kommunikationskampagne vor, um die Bevölkerung über die Gewohnheiten der Tiere und ihre Aufenthaltsorte in Kenntnis zu setzen. Des Weiteren müssten dringend die herkömmlichen Mülltonnen flächendeckend durch geruchssichere „Anti-Bären-Tonnen“ ersetzt werden. „Die Tiere werden von den Essensresten angezogen, sie werden zutraulich“, erklärt der Aktivist. Als letztes Mittel sei statt eines Abschusses die Sterilisierung einiger Weibchen denkbar.

Auch der ehemalige italienische Umweltminister Sergio Costa nannte das Vorhaben der Provinzregierung „verfassungswidrig“. Nachdem das Verwaltungsgericht Trento im Sommer den von Fugatti unterzeichneten Abschuss der Bärin JJ4 gestoppt hatte, organisierte der LAV auf eigene Kosten deren Umsiedlung in einen Nationalpark in Rumänien. Weil bis heute das Okay der Provinz fehlt, sitzt die Bärin weiterhin in ihrem Gehege bei Trento, das Tierschützer als „Kerker“ bezeichnen.

Im April 2023 hatte die Provinzverwaltung auch den Bären MJ5 zum Abschuss freigegeben. Das Verwaltungsgericht stoppte auch diesen Beschluss. Im September stoppte das Gericht schließlich einen dritten Abschussbefehl, diesmal gegen die Bärin F36. Sie hatte im Juli zwei junge Männer angegriffen. F36 wurde im September tot aufgefunden. Auch Bär MJ5 ist inzwischen offenbar tot. Wie Südtiroler Medien vor wenigen Tagen berichteten, war im Herbst in der Nähe von Bresimo im Trentino der Kadaver eines Bären gefunden worden. Die Laborergebnisse ergaben nun, dass es sich um MJ5 handelt. Woran er starb, ist aber noch unklar.

Im Trentino ist von Selbstjustiz die Rede. Die letzten drei tot aufgefundenen Braunbären seien vergiftet worden, heißt es. Das bestätigte indirekt der bisherige Vizepräsident der Provinz, Mario Tonina. „Die letzten drei tot aufgefundenen Bären sind keinen natürlichen Tod gestorben. Die Menschen können nicht mehr und suchen selbst Antworten.“ Von Jahresanfang bis Herbst 2023 wurden im Trentino insgesamt sieben Kadaver von Bären gefunden, die genauen Obduktionsergebnisse der letzten drei Exemplare liegen aber noch nicht vor.

Dass die Bären überhaupt so eine Debatte ausgelöst haben, hat mit einer gut gemeinten Initiative zu tun, dem EU-Projekt „Life Ursus“. Zum Artenschutz und der Wiederansiedlung der Braunbären im Naturpark Adamello-Brenta wurden zwischen 1999 und 2002 zehn Braunbären aus Slowenien freigelassen. Bis dahin waren nur noch drei ansässige Bären gezählt worden. Kalkuliert wurde eine Vermehrung der Tiere innerhalb von 20 bis 40 Jahren auf 40 bis 60 Exemplare. Die Bären vermehrten sich allerdings rascher als gedacht, heute sind rund 150 Tiere im Trentino unterwegs.

In Oberbayern blickt man interessiert ins Trentino. Josef Glatz, Vorsitzender des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern (AVO), begrüßt die Gesetzesinitiative. Die Bären hätten sich dort stark vermehrt, sagte er unserer Zeitung. „Die breiten sich dann in ganz Europa aus. Ein Bär ist von dort in zwei Tagen bei uns.“ Im Moment sei die Lage in Oberbayern zwar ruhig, aber im Frühjahr könnten sich vor allem junge männliche Bären auf der Suche nach Revier und Partnerin auf den Weg machen. Glatz hält eine strikte Regulierung der Bärenpopulationen für zwingend notwendig. Scheue Bären, die sich von dem ernähren, was sie in der Natur finden, seien nicht das Problem, sagt er. Bären, die die Nähe des Menschen suchen oder Nutztiere reißen, müssten aber entnommen werden. Der Bär habe „keine Furcht vor dem Menschen, wenn man nichts unternimmt“.

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