München – Seit etwa drei Jahren ist die Inflation zurück – und wie. Allein 2023 stiegen die Preise erneut um 5,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Es gab auch die Teuerungsrate für Dezember bekannt: 3,7 Prozent. Doch mit der Inflation ist es wie mit vielen anderen Dingen: Nicht jeder erkennt seine Lebenswirklichkeit in der amtlichen Statistik wieder.
Dass Realität und Statistiker mitunter auseinanderklaffen, hat einen einfachen Grund: Die Statistiker können nicht jeden Deutschen einzeln befragen. Sie ermitteln die Preisentwicklung mit einem Warenkorb mit typischen Ausgaben. Über 600 Produkte und Dienstleistungen sind dort erfasst, gebündelt werden sie dann zu bestimmten Warengruppen. So kalkulieren die Forscher etwa, dass der Bereich Wohnen samt Heizung, Strom und Wasser für 25,9 Prozent der Ausgaben des Durchschnittsdeutschen steht, Verkehr und Mobilität nehmen 13,8 Prozent ein, Lebensmittel 11,9 Prozent und Freizeit und Kultur 10,4 Prozent.
Diese Werte bilden den deutschen Schnitt ab, treffen aber nicht auf jeden zu. Vier unserer Autoren haben deshalb mithilfe des Inflationsrechners auf der Webseite des Statistischen Bundesamtes überprüft, wie sie die Teuerung trifft.
Beispiel 1: Essen und Trinken für zwei Erwachsene und drei Kinder, Miete und Heizung für ein Haus, zwei Autos sowie Sprit, um täglich aus dem Speckgürtel in die Stadt zu pendeln: Als fünfköpfige Familie lebt man teuer – und spürt die Inflation deutlich.
Immer noch hart: Heizen. Gut 300 Euro geben wir momentan pro Monat aus, damit der 5000-Liter-Tank Öl in unserem Keller nicht leer wird, hinzu kommen Miete und Strom. Die Wohnkosten sind so der größte Klotz in unseren Ausgaben. Über 1000 Euro kalkulieren wir für Supermarkt, Gemüsekiste, Getränke, auch das ist teurer geworden. Dazu lassen wir rund 400 Euro an der Tankstelle, auf dem Dorf braucht man das Auto täglich. Apropos Autos: Die kosten zusammen rund 400 Euro pro Monat ohne Versicherung und Steuer.
Abgesehen von Sport und Freizeit – legt man Urlaube und Kurztrips wie Skifahren um, sind das zusammen mit Vereinsbeiträgen monatlich 800 Euro – fallen die Restkosten gar nicht so ins Gewicht. Mit Großfamilie bleibt kaum Zeit für Kneipenabende, bei Handys und Technik reicht das Nötigste und Kleidung wird in der Familie weitergereicht, sofern keine riesigen Löcher dagegensprechen.
Unter dem Strich kalkuliert das Statistikamt mit diesen Ausgaben für uns eine moderate Inflation von 2,2 Prozent für Dezember, weit unter der amtlichen Rate von 3,7 Prozent. Kurios: Vor allem die hohen Ausgaben für Energie drückten im letzten Monat unsere Teuerungsrate, denn dort hat der Preisdruck zuletzt etwas nachgelassen. Davor hat uns der Preisanstieg bei Öl, Sprit und Nahrungsmitteln allerdings überdurchschnittlich belastet. So stiegen die Lebenshaltungskosten in Deutschland seit 2020 im Schnitt um hohe 17,4 Prozent, bei uns waren es 19,9 Prozent – der höchste Wert in diesem Quartett.
Beispiel 2: Meine Inflationsrate hat sich im Dezember bei vier Prozent eingependelt – etwas mehr als die amtliche Rate. Da ich noch bei meinen Eltern wohne, muss ich kaum Geld für Essen ausgeben, zahle weder Miete, Strom, noch Heizung. Auch Auto hab ich keines. Um einige Kostentreiber mache ich also einen großen Bogen. Dafür gebe ich monatlich rund 70 Euro für Alkohol aus, natürlich zusammen mit Freunden und in Maßen genossen. 29 Euro kostet der vergünstigte Tarif meines Deutschlandtickets, mit dem ich die öffentlichen Verkehrsmittel nutze, sollten sie denn fahren. In meiner Freizeit treibe ich Sport oder gehe auf Konzerte. Das läppert sich auf rund 150 Euro im Monat, Laufschuhe oder Kletterseile kosten ihr Geld. Für Kleidung oder Secondhandware gebe ich 70 Euro aus, ähnlich viel für für Technik und Elektrogeräte. Einmal im Monat lasse ich mich bei einer Kosmetikerin behandeln und gönne mir Hautcreme; 70 Euro plane ich in der Hoffnung ein, später keine Gesichtsstraffung zu benötigen.
Die Inflationsrate wird bei mir jedoch durch häufige Cafébesuche, Abendessen oder Kneipenbesuche mit Freuden nach oben getrieben. Ich liege damit laut dem statistischen Bundesamt 0,3 Prozent über dem Durchschnittswert. Der ist aber nicht mehr als eine Momentaufnahme. Seit 2020 hat sich mein Leben nämlich um 17,6 Prozent verteuert, was trotz dem Fehlen großer Blöcke wie Heizen oder Auto erstaunlich genau dem deutschen Schnitt entspricht.
Beispiel 3: Wir haben das Gröbste überstanden, das Kind ist aus dem Haus. Unser Lebensstil ist aber offenbar nicht sehr inflationsfreundlich. Mit 4,2 Prozent lagen wir im Dezember um einen halben Prozentpunkt über der amtlichen Rate von 3,7 Prozent. An der Miete liegt es vermutlich nicht, denn die liegt für Münchner Verhältnisse im bezahlbaren Rahmen. Hinzu kommen derzeit 160 Euro Gas und Strom. Für Nahrung geben wir 400 Euro aus, Kneipen- und Restaurantbesuche schlagen ebenfalls mit 400 Euro zu Buche. Das treibt unsere persönliche Inflation, wie der Rechner verrät. Wir wohnen in der Stadt und haben nur ein kleines Auto samt Wartungsvertrag. Da wir mit günstigem Autogas fahren, ist das Tanken mit 60 Euro überschaubar. Die meisten Wege legen wir sowieso öffentlich oder mit dem Rad zurück. Trotzdem: Die Autokosten sind ein Preistreiber – sagt der Rechner.
Für Freizeit und Kultur geben wir 200 Euro aus, für Urlaub 500 Euro. Interessant: Würden wir gar nicht verreisen, würde das unsere persönliche Rate sogar auf 4,3 Prozent erhöhen. Ebenfalls ein Inflationstreiber: 300 Euro für Friseur, Kosmetik und Körperpflege, die uns über den amtlichen Index hieven. Für Tabak gehen noch mal 200 Euro in Rauch auf.
Unsere persönliche Inflation zu senken, halte ich für schwierig. Selbst wenn wir nicht essen gehen und keinen Cent für Alkohol ausgeben, würde das nur 0,1 Prozent ausmachen. Dann doch lieber weiter ein Bier in der Kneipe genießen. Erschütternd: Seit 2020 summiert sich meine Teuerung auf 17,6 Prozent. Das liegt zwar nur 0,2 Prozentpunkte über der amtlichen Steigerung, aber das macht es nicht besser.
Beispiel 4: Ich lebe mit meinem besten Kumpel in einer WG, rund 40 Minuten von München entfernt. Wir wohnen in einer bezahlbaren Drei-Zimmer-Wohnung, teilen uns alle Kosten. Trotzdem spüren auch wir die rasant steigenden Heizölpreise. Jeden Monat verheize ich rund 50 Euro, damit unsere Altbauwohnung auch im Winter schön warm bleibt. Ich habe das Deutschland-Ticket, bin aber nach wie vor auf mein Auto angewiesen und zahle allein für das Tanken rund 100 Euro im Monat. Da ich Wert auf eine ausgewogene und gesunde Ernährung lege, sind meine Ausgaben für Lebensmittel zuletzt auf etwa 250 Euro im Monat angestiegen.
Nimmt man alle Ausgaben für Jahresurlaub, Sportvereine, Fitnessstudio und sonstige Freizeitausgaben zusammen, sind das ungefähr 200 Euro pro Monat. Selbstverständlich werden die Siege mit meiner Fußballmannschaft am Wochenende ausgiebig gefeiert. Kostenpunkt: 50 Euro pro Monat. Seit meinem Auszug von zu Hause haben sich meine Ausgaben für Kleidung stark reduziert und belaufen sich nun auf etwa 50 Euro im Monat. Für einen Besuch beim Lieblingsasiaten oder einen Burger bei der wöchentlichen Champions-League-Konferenz mit meinen Kumpels muss ich mit ungefähr 75 Euro rechnen.
Gibt man all das in den Inflationsrechner des Statistischen Bundesamtes ein, spuckt der für Dezember eine Inflationsrate von nur 2,4 Prozent aus. Seit 2020 sind meine Lebenshaltungskosten aber um 19,4 Prozent gestiegen. Das ist mehr als der deutsche Schnitt von 17,4 Prozent. Kostentreiber waren wohl der hohe Anteil von Essen und Tanken an meinen Gesamtausgaben.