München – Konferenzen in Pyjamahose, eine Runde Sport in der Mittagspause, zwischendrin eine Ladung Wäsche waschen. Selten war Arbeit so privat wie seit Beginn der Pandemie vor vier Jahren. Seitdem ist die Arbeit im Homeoffice für viele Arbeitnehmer zur Selbstverständlichkeit geworden: Laut dem Statistischen Bundesamt hat im Jahr 2022 fast ein Viertel der Beschäftigten regelmäßig von daheim aus gearbeitet – das sind fast doppelt so viele wie 2019. Doch so langsam bröckelt die Akzeptanz bei vielen Arbeitgebern: Immer mehr Unternehmen beordern ihre Mitarbeiter zurück ins Büro – vor allem jene, die eigentlich als Vorreiter der digitalen Zukunft gelten.
Etwa der Milliarden-Konzern Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp): Nachdem das US-amerikanische Unternehmen aus Begeisterung fürs Homeoffice zwischenzeitlich sogar seine Büroflächen verkleinern wollte, verlangt es nun von seinen Mitarbeitern, immerhin wieder drei Tage die Woche ins Büro zu kommen – die Arbeit allein von daheim führe zu schlechteren Leistungen, sagte Konzernchef Mark Zuckerberg. Der Tech-Konzern Amazon drohte seinen Angestellten sogar, sie von Beförderungen auszuschließen, sollten sie nicht mindestens drei Tage in der Woche zur Arbeit kommen. Auch Google, VW und Goldman Sachs sind dabei, ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen – selbst beim Videodienst Zoom, der vielen Menschen das mobile Arbeiten erleichtert hat, herrscht wieder eine Anwesenheitspflicht.
Arbeitgeber kritisieren Habecks Vorstoß
Während viele Unternehmen die Heimarbeit am liebsten wieder aussterben lassen würden, sendet die Politik andere Signale. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht im Homeoffice eine Lösung für den Arbeitskräftemangel in Deutschland – und möchte nun einen Rechtsanspruch auf flexibles Arbeiten prüfen lassen. In dem Entwurf des neuen Jahreswirtschaftsberichts heißt es, dass sich so das Arbeitsangebot insbesondere für alleinerziehende Frauen mit Kindern steigern ließe. „Flexibles Arbeiten“ könne sich sowohl auf den Arbeitsort als auch die Arbeitszeit beziehen, also etwa die Verteilung der Arbeitsstunden auf den Tag.
Arbeitgeber bezeichnen den Vorschlag als realitätsfern: „Ein Gesetz braucht es nicht“, heißt es vom Deutschen Arbeitgeberverband. „In der Regel wird diese Frage im guten Einvernehmen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geregelt.“ Auch Bertram Brossardt, Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), sagt, es müsse der „unternehmerischen Entscheidungsfreiheit“ überlassen bleiben, ob die Mitarbeiter von daheim arbeiten oder nicht.
Laut der Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG erwarten 68 Prozent der deutschen Top-Entscheider, dass ihre Mitarbeiter in den nächsten drei Jahren wieder voll ins Büro zurückkehren. Das Argument vieler Unternehmen: die geringe Leistungsfähigkeit im Homeoffice und der fehlende Austausch mit Kollegen.
Der baden-württembergische Softwareentwickler SAP befürchtet sogar psychische Belastungen bei Mitarbeitern, die dauerhaft im Homeoffice arbeiten – das gelte insbesondere für Alleinstehende und Mitarbeiter, die neu ins Unternehmen gekommen sind. SAP strebe deshalb eine Lösung an, bei der Angestellte mindestens 60 Prozent ihrer Zeit im Büro anwesend sein sollten, sagt ein Sprecher gegenüber unserer Zeitung.
Einen ähnlichen Weg geht auch der Messtechnikhersteller Heidenhain: Mitarbeiter sollten zumindest drei Tage die Woche ins Büro kommen. Den Rest der Zeit könne im Homeoffice gearbeitet werden – wenn überhaupt möglich. „Heidenhain ist immer noch Produzent, und es muss Arbeitnehmer geben, die die Maschinen vor Ort bedienen“, sagt eine Sprecherin. Auch der Sportartikel-Hersteller Adidas erlaubt seinen Mitarbeitern, „bis zu zwei Tage pro Woche außerhalb des Campus“ zu arbeiten, sagt Sprecher Stefan Pursche. Zudem könne man bis zu zehn Arbeitstage pro Jahr auch im Ausland arbeiten.
Beim Autoriesen BMW gebe es hingegen keine festen Regelungen, sagt Sprecher Hans-Peter Ketterl. Jedes Team müsse „in Abhängigkeit vom jeweiligen Aufgabenbereich“ eine eigene Regelung finden, erklärt er. Allerdings sei man sich durchaus bewusst, dass „ein hoher Anteil an Präsenzarbeit förderlich für Kreativität, Innovationskraft und Teamspirit“ sei. „Daher sind regelmäßige Treffen vor Ort fester Bestandteil unserer hybriden Arbeitsweise und unseres Verständnisses von erfolgreicher Zusammenarbeit“, sagt Ketterl.
Experten erwarten kein Homeoffice-Ende
Auch wenn viele Unternehmen von ihren Homeoffice-Versprechen zurückrudern – laut einer Untersuchung des ifo Instituts gibt es noch keine Hinweise für eine Rückkehr zur reinen Präsenzarbeit. „Vielmehr werden die Regelungen und die Umsetzung zunehmend umstrukturiert, besser koordiniert und weiter verbessert“, erklärt ifo-Experte Jean-Victor Alipour. Die aktuellen Entwicklungen würden auf ein Hybrid-Modell in der Arbeitswelt hinauslaufen: Das Einarbeiten neuer Kollegen oder betriebsinterne Schulungen sollten weiterhin in Präsenz erfolgen, meint Alipour. „Gibt es auf der anderen Seite Aufgaben, die vollkommene Ruhe oder ein hohes Maß an Konzentration benötigen, können sich Mitarbeiter in ihr privates Umfeld zurückziehen und aus dem Homeoffice heraus arbeiten.“
Die Möglichkeit, von daheim aus zu arbeiten, habe zudem die Attraktivität vieler Arbeitgeber gesteigert: Mittlerweile würde jedes fünfte Unternehmen in Stellenanzeigen mit Homeoffice werben, sagt Alipour. „Dieser Anteil lag vor der Pandemie bei unter fünf Prozent.“ Gerade angesichts des Fachkräftemangels sei die Homeoffice-Möglichkeit „ein entscheidender Faktor“, wenn es darum geht, qualifizierte Mitarbeiter für eine Stelle zu gewinnen.