Eine Stadt steht auf gegen Radikale

von Redaktion

München – Es ist der Tag, an dem das immer volle München beinahe platzt. Menschenmassen drängen sich zwischen Siegestor und Odeonsplatz, ein riesiges Gewimmel. Die U-Bahn-Station Universität wird wegen Überfüllung zeitweise geschlossen, sogar einzelne Bahnhöfe im Umland sind so überlastet, dass Reisende nicht in die Züge kommen. Der Grund ist eine Demonstration, die schon nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wird: Die Kundgebung für Toleranz und gegen die AfD hat mehrere hunderttausend Besucher angezogen, so viele, dass sie wegen Sicherheitsbedenken vorzeitig beendet wird. Die Botschaft ist auch so klar genug.

Sie ist schon den ganzen Tag über auf den Plakaten zu lesen. Viele Demonstranten haben sich den Frust über die AfD vom Herzen geschrieben, teils unterhaltsam, derb, zornig: „Remigriert euch ins Knie“, „Lasst uns aus der Geschichte lernen statt sie zu wiederholen“, „Keine Toleranz für Intoleranz“ und „Braune Flaschen gehören in den Altglascontainer nicht in den Bundestag“ ist zu lesen.

München ist eine von dutzenden Städten, in denen die Menschen demonstrieren. Der Protest von Jung und Alt ist beflügelt durch Berichte über ein Treffen von Rechtsextremisten vom November 2023. Dabei hat der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über „Remigration“ gesprochen. Damit meinen Rechtsextreme, dass eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Die Demonstranten, so unterschiedlich sie sind in ihrer politischen Einstellung, wollen ein anderes Zeichen setzen. „Wir sind hier, um einfach Flagge zu zeigen gegen rechtes Gedankengut, für Demokratie und für Menschenrechte“, sagt zum Beispiel Martina Hohl (62). Zuletzt sei sie mit ihrem Mann Franz (65) gegen Pegida bei Demos gewesen. „Es geht auch um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Was da jetzt über die AfD bekannt geworden ist, bedeutet komplette Ausgrenzung“, sagte Franz Hohl.

Die Organisatoren werden vom Andrang selbst überrascht. 25 000 plus x waren angemeldet, die Polizei rüstete sich mit bereitgestellten Absperrungen eh schon für mehr. Dass es am Ende, grob geschätzt, über 200 000 aus ganz Bayern sind, wirft alle Pläne über den Haufen. „Wir dachten, dass mehr Leute als 25 000 kommen würden. Aber so viele – das macht uns glücklich“, ruft Luc Ouali ins Handy, ein Fridays-for-Future-Aktivist, der die Demo maßgeblich mit organisierte.

Es wird deshalb nicht der große Tag für große Reden, zu wenig Zeit vor dem Abbruch. Man sieht einige Politiker mit aufs Areal strömen. Den Oberbürgermeister von der SPD, Dieter Reiter, die Grünen-Spitze aus Bayern mit Katharina Schulze, Ludwig Hartmann, Eva Lettenbauer und Thomas von Sarnowski. Aber auch CSU-Justizminister Georg Eisenreich und den früheren Schulminister Michael Piazolo, einen Freien Wähler.

Wer willkommen ist und wer nicht, ist an diesem Tag, so friedlich er bei allem Gedränge abläuft, umkämpft. 250 Gruppen laden offiziell ein, Parteien sind nicht dabei. Mehrere Politiker kritisieren Teile der Organisatoren scharf dafür, CSU und Freie Wähler in einen Topf mit der AfD oder Extremisten zu werfen. Eine Mitorganisatorin hatte verbreitet, sie habe „keinen Bock auf Rechte jeder Coleur“. Der CSU-Politiker Ludwig Spaenle, Bayerns Antisemitismusbeauftragter, sagte seine geplante Teilnahme daraufhin hoch verärgert ab. „Hirnlos, arrogant und demokratieschädigend“ nennt Spaenle die Äußerungen.

Auch Anne Hübner, Chefin der SPD im Stadtrat, kritisiert das. „Es ist wirklich ein riesiger Fehler, dass Teile des Orga-Teams nicht zwischen konservativ und rechtsradikal unterscheiden können“, sagt Hübner. So was helfe „nur denen, die die Demokratie abschaffen wollen“.

Es bleibt bei Zoff hinter den Kulissen. Die Demo in München löst sich weitgehend fröhlich auf. Einige bleiben vor Ort, feiern noch. Rund 100 Demonstranten ziehen zum Danubia-Haus in der Potsdamer Straße – die Burschenschaft wird dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Dort geht es konfrontativer zu, es bleibt aber friedlich.

OB Reiter dankt seinen Münchnern. „Ich bin überwältigt von dem Zeichen heute für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze“, sagt er: „Danke, München.“  cd/rmi/gw/kv/ps/af/dpa

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