München – Am Tag vor Heiligabend zeigte sich Wolfgang Kubicki mal wieder von seiner harten Seite. Die Ampel-Regierung rang noch um einen neuen Haushalt, weil Karlsruhe den eigentlich geplanten für nichtig erklärt hatte. Viele Milliarden fehlten, Kürzungen wurden diskutiert – und der FDP-Mann hatte da einen Vorschlag: Wenn sparen, dann da, wo es nicht wehtut – bei der Entwicklungshilfe.
„Wir müssen die Projekte im Ausland vollständig auf den Prüfstand stellen“, forderte Kubicki. Deutschland gebe jährlich gut 30 Milliarden Euro dafür aus, weit mehr als Frankreich oder Großbritannien. Er witterte ein Sparpotenzial in zweistelliger Milliardenhöhe. Thorsten Frei (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sprang ihm bei: Entwicklungspolitik müsse sich sehr viel stärker „entlang nationaler Interessen“ ausrichten.
Seither ist die Debatte in der Welt. Bauern fragen, warum Berlin grüne Kühlschränke in Kolumbien und emissionsarmen Reisanbau in Thailand bezuschusst, aber beim Agrardiesel knapst. Politiker wie der CSU-Generalsekretär Martin Huber schimpfen über die Ampel, die für ideologisches Gedöns viel Geld in der Welt verteile (siehe unten). Und auch eine öffentliche Skepsis über den Sinn der Entwicklungspolitik ist spürbar. Viele Fragen verlangen nach Aufklärung. Ein Überblick:
. Wie viel Geld geben wir wirklich für Entwicklung aus?
Die nackte Zahl wirkt erschlagend: Laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) gab Deutschland 2022 rund 33,3 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit aus – 0,83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bezogen auf die Wirtschaftskraft war Berlin unter den mächtigen G7-Staaten damit größter Geber (in absoluten Zahlen sind es allerdings die USA).
Die Zahl ist allerdings auch irreführend, weil man denken könnte, es flössen über 30 Milliarden Euro an Steuergeld auf Nimmerwiedersehen ins Ausland. Dem ist nicht so.
Denn neben Haushaltsmitteln steckt vieles mehr in der OECD-Zahl: Etwa die 2,7 Milliarden Euro, die das Auswärtige Amt vergangenes Jahr für humanitäre Hilfe an Krisenregionen gab. Oder das Geld, das Deutschland für Flüchtlinge aus Entwicklungsländern aufwendet; die gut eine Million Ukrainer zählen dazu. Ein großer Brocken sind KfW-Kredite, die zurückgezahlt werden. Teils werden sie aus Haushaltsmitteln bezuschusst, oft ist aber gar kein Steuergeld im Spiel. Die KfW nutzt dann eigenes Geld oder besorgt es sich auf dem Finanzmarkt.
Das Haus von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte 2023 „nur“ 12,2 Milliarden Euro für klassische Entwicklungsprojekte zur Verfügung. Hier soll gespart werden: Der Haushalt 2024 hält eine Milliarde weniger bereit als im Vorjahr. „Natürlich muss die Entwicklungspolitik ihren Beitrag leisten, sie ist nicht sakrosankt“, sagt Stephan Klingebiel vom German Institute of Development and Sustainability in Bonn. „Ich meine aber, sie wird überproportional beschnitten.“
.Finanzieren wir jede Menge Unsinns-Projekte?
Trotzdem ist für Entwicklungszusammenarbeit noch viel Geld im Topf, wobei der Sinn mancher Maßnahme sich nicht jedem gleich erschließt. Gender-Trainings in China, klimaneutraler Reisanbau in Thailand, grüne Kühlschränke in Kolumbien sind reale Projekte, die zuletzt viel Spott abbekamen. Schulzes Ministerium hält dagegen: Globale Probleme ließen sich nur global lösen, heißt es aus dem BMZ, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Wir können uns keine Schneckenhaus-Mentalität leisten.“
Beispiel: die deutsche Unterstützung für Fahrradwege in Peru, um die sich zuletzt einige Legenden spannen. Es hieß etwa, Berlin zahle 315 Millionen Euro dafür. „Nicht richtig“, kontert das BMZ. 2020 sei ein Zuschuss von 20 Millionen Euro für ein Fahrradschnellwegenetz in der Hauptstadt Lima geflossen, 2022 noch mal 24 Millionen für den Bau weiterer Radwege. Auch den Aufbau eines „umweltschonenden Bussystems“ in Peru fördere man – mit Krediten in Höhe von 155 Millionen Euro, die verzinst zurückgezahlt werden. „Ehrlicherweise verdienen wir noch daran“, sagt der Münchner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger (CSU).
Das große Ziel ist Klimaschutz. Aus Sicht des BMZ ist es so: Wo genau auf der Welt CO2 eingespart wird, ist egal. Hauptsache, die Emissionen sinken. Das spare langfristig Geld für Folgekosten des Klimawandels. Auch kurzfristig lohne sich die Finanzierung von Auslandsprojekten finanziell, meint Entwicklungspolitiker Stefinger. Die 4,6 Millionen Euro, die Berlin in die Umrüstung von Kühlschränken in Kolumbien steckt, hält er zum Beispiel für gut begründet. Die Maßnahme spare 3,55 Millionen Tonnen CO2, bei uns wäre der Aufwand „um ein Vielfaches höher. Jeder Euro ist dort gut investiert.“
. Welche Rolle spielen geopolitische Interessen?
„Entwicklungspolitik ist kein rein uneigennütziges Geschäft“, sagt Experte Klingebiel, „sie verfolgt natürlich auch geopolitische Interessen. Es geht um Zugang zu Ressourcen und Einfluss in der Welt.“ Anders gesagt: Wo wir nicht mitspielen, da gehen Russen und Chinesen hin. Ein prägnantes Beispiel ist das von der EU angestoßene 300-Milliarden-Euro-Projekt „Global Gateway“. Es ist die Antwort auf die „Neue Seidenstraße“, mit der die Chinesen ihren Einfluss in der Welt steigern wollen. 2023 zahlte Deutschland 2,5 Milliarden Euro für „Gateway“-Projekte, etwa in Kenia, Ägypten oder der Elfenbeinküste.
. Bekommen China und Indien immer noch Geld?
China ist längst selbst ein großer Kreditgeber für ärmere Länder – umso irritierender, dass es der OECD immer noch als Entwicklungsland gilt. Auch Deutschland fördert weiterhin Projekte. Aus dem Haushalt fließt aber längst nichts mehr. „China gilt in Deutschland seit 2010 nicht mehr als Entwicklungsland. Es fließen keine Steuermittel mehr dorthin“, sagt Klingebiel. Stattdessen profitiert Peking von KfW-Förderkrediten, mit denen etwa Klimaprojekte finanziert werden. Sie müssen aber komplett zurückgezahlt werden. Künftig, sagt Klingebiel, werden „keine neuen Kredite mehr vergeben“.
Die gesamten Entwicklungsleistungen betrugen im Jahr 2021 rund 335 Millionen Euro. Teils waren das laut BMZ besagte Kredite, vor allem aber „Studienplatzkosten für in Deutschland studierende Chinesen“. Das oben genannte Gender-Training ist indes ein kirchliches Projekt, das vom BMZ mit gut 500 000 Euro bezuschusst wird.
Im Falle Indiens ist das ähnlich, auch wenn es 2021 der größte Empfänger war (685,21 Millionen Euro). 90 Prozent davon sind günstige Kredite, die das Land verzinst wieder zurückzahlt. Auch hier geht es vor allem um Klima-Projekte. „Wir haben ein riesiges Interesse daran, dass das indische Wachstum möglichst grün ist“, sagt Klingebiel. Abgesehen davon sei Indien aber auch politisch ein „wichtiger und konstruktiver Partner in der Region“. Heißt: Berlin will das Land im Ringen mit Russland und China ein Stück weit auf seine Seite ziehen.
. Kommt deutsches Geld sicher nicht in falsche Hände?
Die Befürchtung, dass Entwicklungsgelder hier und da in den Taschen von Despoten landen, gibt es immer wieder. Zuletzt geisterte der Vorwurf durchs Netz, auch die islamistische Hamas zwacke Mittel für sich ab. Das BMZ betont, es flössen „keine Mittel der Bundesregierung an Terrororganisationen wie die Hamas“. Für alle Projekte in den Palästinenser-Gebieten gebe es eine „umfassende und mehrstufige Überprüfung“ der lokalen Partner und von Finanzflüssen.
„Das deutsche System tut alles, was man tun kann, um das Risiko von Missbrauch zu begrenzen“, sagt Klingebiel. „Die Kontrollmechanismen funktionieren sehr gut.“ Dass Hilfslieferungen in die falschen Hände kommen, lasse sich aber nicht vollkommen ausschließen.