Bürger stoppen Bayerns größtes Windprojekt

von Redaktion

VON CARINA ZIMNIOK

Mehring – Am Sonntagnachmittag ist Bürgermeister Robert Buchner noch spazieren gegangen, die Sonne schien und irgendwie hatte er doch noch Hoffnung. Hoffnung, dass die Bürger in seiner Gemeinde Mehring für den Bau von zehn Windrädern stimmen. Doch am Abend im Wahllokal die große Enttäuschung: Die Mehrheit will keine Windkraft.

Der Ratsentscheid wurde mit 876 zu 525 Stimmen abgelehnt, die Frage war, ob die Bürger den Bau der Windräder unterstützen. Beim Bürgerentscheid stimmten 928 Wahlberechtigte mit Ja und 454 mit Nein. Hier war die Frage, ob die Gemeinde alles tun soll, um die Windkraftanlagen zu verhindern. „Ich bin echt enttäuscht“, sagt Buchner (Freie Wähler). „Wir hätten das dringend gebraucht.“ Als er vor drei Jahren Bürgermeister wurde, war Windkraft kein Thema. Jetzt spaltet sie den Ort. Oder die ganze Region.

Mehring, 2417 Einwohner, liegt im Altöttinger Forst, mit 4800 Hektar so groß wie 6722 Fußballfelder. Dort soll Bayerns größter Windpark entstehen, 40 Windräder, zehn davon auf Mehringer Flur. Grundbesitzer sind die Bayerischen Staatsforsten. Die Dimensionen wären beachtlich: Die 288 Megawatt Gesamtleistung könnten nach Angaben des Projektentwicklers Qair 150 000 Haushalte pro Jahr mit Windstrom versorgen. „Ein Herzstück der bayerischen Windstrategie“, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Und nicht nur deshalb schaut man aus ganz Bayern auf das Veto der kleinen Gemeinde. Denn Mehring liegt auch mitten im Chemiedreieck mit den Industriestandorten Burghausen, Trostberg, Waldkraiburg und Burgkirchen – und der Windpark war die Idee eines der größten Arbeitgeber in der Region: Wacker Chemie.

Im September 2022 bat Werkleiter Peter von Zumbusch (siehe Interview) Bürgermeister Buchner um einen Termin, er warb für den Windpark. Gewaltige acht Prozent des bayerischen Strombedarfs gehen ins Chemiedreieck. Auf den Strombedarf Deutschlands gerechnet ist es ein Prozent.

Die 40 Windräder würden immerhin zehn Prozent der benötigten Energie liefern. Buchner fand das einleuchtend, wichtig für die Region, für seine Gemeindebürger. Bis zu 500 Leute arbeiten bei Wacker. „Und es gibt ja noch die anderen Chemie-Unternehmen und die vielen Handwerksbetriebe, die profitieren.“ Als Buchner dem Gemeinderat Anfang 2023 einen Grundsatzbeschluss für den Bau der Windräder vorlegte, ging der ohne Gegenstimme durch. 15:0. Was lief seither schief?

Der Bürgermeister lacht bitter auf. Er habe, beteuert er, durchaus Verständnis für die Sorgen seiner Leute. Im Mehringer Ortsteil Öd seien die Wohnhäuser nur 1000 Meter von den geplanten Windrädern entfernt, ganz schön nah. Aber längst nicht alle Windpark-Gegner seien in diesem Ausmaß betroffen – und trotzdem dagegen. „Ich habe hanebüchene Dinge gehört“, sagt Buchner. Und zwar von Bürgern, die sich als „Gegenwind Altötting“ zusammengeschlossen haben.

Auf einem Handzettel stand, dass durch Windräder in einem bestimmten Tal dutzende Fledermausarten gefährdet wären. „Aber dort wird nicht ein einziges Windrad gebaut.“ Ein Referent, den die Bürgerinitiative eingeladen hatte, zitierte aus dem Brief einer angeblich Betroffenen. Sie wohne in der Nähe eines Windrads und leide unter Nasenbluten und Kopfschmerzen. Aber wie konnten solche „falschen Informationen“, wie er sagt, bei so vielen Bürgern wirken?

Das Problem sei gewesen, dass nach dem Grundsatzbeschluss erst mal nichts passierte. Keine Infoveranstaltungen, weder von den Staatsforsten noch von der Politik. Doch der „Gegenwind Altötting“ formierte sich schnell. Dem Bund Naturschutz (BN) zufolge sind das nicht nur Mehringer Bürger –hinter der „Desinformationskampagne“ stecke die AfD und „Antiwindkraft-Organisationen, die sich als Waldschützer tarnen“, sagt BN-Chef Richard Mergner.

Dass „Gegenwind Altötting“ eine gemischte Gruppe ist, zeigt sich auch beim Kurznachrichten-Dienst Telegram. Viele gratulieren zum Erfolg, manche stellen kritische Fragen, wo die Energie denn herkommen soll. Eine Frau postet ein Foto von einem niedlichen Reh („Die Waldbewohner bedanken sich bei den Mehringern“), ein Mann schießt gegen Buchner: „A Bürgermeister mit so ner Meinung ghört aufegschossen in a andere Galaxie.“ Offiziell teilt die Initiative mit, es gebe bei dem Bürgerentscheid keine Sieger oder Verlierer. Die Mehringer hätten sich „im Wege gelebter Demokratie für den Erhalt ihrer Heimat, ihrer großartigen Landschaft und des – für das Industriedreieck so wichtigen – Forstes ausgesprochen“.

Hat der Windpark eine Zukunft? Die Politik will daran festhalten. Söder relativiert gestern, die Entscheidung sei „kein Beinbruch“, und „kein ganz großer Rückschlag“. Großes Ziel sei, dass der Windpark komme – und kein „Windpark light“. Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sagt: „Ja, wir wollen dieses Projekt weiterführen.“ Man müsse aber die Bedenken ernst nehmen und versuchen, Lösungen zu finden. Man werde Wünsche nach größeren Abständen von den Windrädern zu den nächsten Häusern prüfen. „Die Menschen hätten es gerne etwas weiter weg.“

Das Problem: Mit Mehring ist es nicht getan. Im Juni, zur Europawahl, werden die Bürger aus Marktl zur Abstimmung über den Windpark gebeten. Bürgermeister Benedikt Dittmann (CSU) wagt keine Prognose – er selbst sei dafür und in Marktl lägen die geplanten Standorte weiter weg von Wohnhäusern als in Mehring. Aber klar: Die Gegner haben Rückenwind. Und in Haiming wird die Initiative einen Antrag auf Zulassung eines Bürgerbegehrens demnächst einreichen.

Knackpunkt wird sein, ob sich der Windpark für den Projektentwickler Qair auch in geschrumpfter Form lohnt. Die Staatsforsten teilen nur mit, das Gesamtprojekt soll weiterverfolgt werden. Qair will die Aufklärung intensivieren, „noch besser die Vorteile erklären und Fehlinformationen auflösen“.

Was man in der Debatte immer wieder hört: Das Projekt würde besser laufen, wenn die Bürger stärker finanziell beteiligt würden. „Für eine bessere Akzeptanz der Windkraft ist eine hohe Bürgerbeteiligung der springende Punkt“, sagt Martin Stümpfig, Energie-Experte der Grünen im Landtag. Die Staatsforsten begrenzten die Bürgerbeteiligung auf 24,9 Prozent, das binde Kommunen und Bürger zu wenig ein.

Es gibt Beispiele, bei denen es anders läuft – besser. Im Hofoldinger Forst investieren Bürger und Unternehmen aus Sauerlach, Aying und Otterfing in drei Windräder, dafür werden sie an der Rendite beteiligt. Sechs Millionen Euro sollten dafür eingetrieben werden – schon am ersten Tag meldeten sich genug Interessenten, die 500 bis 25 000 Euro lockermachen.

Oder Fuchstal im Kreis Landsberg: In wenigen Tagen, sagt Bürgermeister Erwin Karg, wird das siebte Windrad montiert. Beschwerden? „Nullkommanull“, sagt er. „Wir haben Spaß mit unseren Windrädern.“ Sobald die sich drehen, wissen die Fuchstaler, es klingelt in der Kasse. Die Windräder gehören zu gleichen Teilen Gemeinde und Bürgern. Vom Gewinn hat man zwei neue Kinderspielplätze finanziert, ein Feuerwehrauto gekauft. Karg erinnert sich aber noch an die Debatten im Vorfeld – „damals hat die Staatsregierung noch massiv Stimmung gegen Windkraft gemacht“.

Das ist jetzt anders. Trotzdem: Mehrings Bürgermeister wird in der Märzsitzung den Grundsatzbeschluss pro Windpark aufheben lassen. Rechtlich bindend ist das Bürger-Votum nur ein Jahr. Aber ob er sich den Kampf antut? „Es ist nun mal der Bürgerwille“, sagt er. Und eigentlich, sagt er, hätte er gerne noch eine Legislaturperiode drangehängt.

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