60 Jahre Siko: Momente, an die sich die Welt erinnert

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Benjamin Netanjahu spricht seit zehn Minuten, als er etwas unter dem Rednerpult hervorzieht. Ein kantiges Ding, ockerfarben, zerborsten, mit Staub und Dreck beschmiert. Er reckt es nach oben wie eine Jagdtrophäe, sein Blick eine einzige ruhige Anklage. „Herr Sarif“, ruft er Irans Außenminister zu, der irgendwo unten im Saal sitzt. „Herr Sarif, kennen Sie das? Sollten Sie. Es ist Ihres.“

Die Szene aus dem Jahr 2018 ist einer der prägenden Momente in der Geschichte der Münchner Sicherheitskonferenz: Netanjahu, wie er die Herrscher in Teheran inmitten großer Spannungen warnt, sie sollten Israels Entschlossenheit nicht testen. Sein Mitbringsel, angeblich das Trümmerteil einer abgeschossenen iranischen Drohne, macht Eindruck in München. Plötzlich ist die Gefahr, über die alle nur reden, mit Händen zu greifen.

Eigentlich ist es ja anders gedacht: Bei der Siko, die Mitte Februar zum 60. Mal stattfindet, treffen sich die Entscheider der Welt, um Tacheles zu reden. Konflikte sollen auf den Tisch, es darf krachen, aber bitte möglichst hinter den Kulissen. Die Abweichung von der Regel ist es aber, die hängen bleibt. So entstanden seit 1963 einige historische Momente.

Eine neue Ausstellung im Münchner Amerikahaus erinnert unter anderem daran – und zeichnet die Geschichte der Siko nach, die vor gut 60 Jahren als Wehrkundetagung begann. „Da saßen 80 Männer zusammen, zum Teil rauchend“, sagt Christoph Heusgen, der die Siko seit 2022 leitet. „Das war eine ganz andere Atmosphäre, als wir sie heute haben.“ Die Konferenz ist über die Jahre stark gewachsen und erhebt heute den Anspruch, das weltweit wichtigste Forum für Sicherheitsfragen zu sein.

Die Geschichte zeigt, dass sie das zu Recht tut. Schon vor der Netanjahu-Episode kam es zu Momenten, die bis heute wirken. 2003 etwa, als der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer seinem US-Kollegen Donald Rumsfeld auf offener Bühne sein „Ich bin nicht überzeugt“ entgegenschleuderte. Es ging um Saddam Hussein und den Irakkrieg, den die Amerikaner ohne UN-Mandat begonnen hatten. Fischer hielt die Gründe für unzureichend und sagte das so offen, wie es sich damals nur wenige trauten. Dass Rumsfeld die widerspenstigen Deutschen vorher provokativ als „old Europe“ bezeichnet hatte, als Europa von gestern, muss man der Fairness halber dazu sagen. Fischer traf damals einen Nerv in der Bevölkerung, die gegen den Krieg auf die Straße ging –auch rund um die Siko. Vorne dabei: OB Christian Ude.

Das waren, wenn man so will, die Vorboten einer Entwicklung, die auch die Sicherheitskonferenz bis heute prägt. Viele Jahre habe man aus gutem Grund gedacht, dass internationale Kooperation im Zentrum stehe, sagt Heusgens Vorgänger Wolfgang Ischinger. Seit 2014, als Russland die Krim annektierte, ist das anders. Heute steht der Umgang mit Bedrohungen aus Russland, China, dem Iran im Zentrum. Die Siko lieferte früh erste Anzeichen – leider überhörten sie viele.

2007 sprach Russlands Präsident Wladimir Putin im Bayerischen Hof; für Höflichkeiten war keine Zeit, er kam gleich zur Sache. Vor einem sehr verdutzten Publikum wetterte er gegen die USA und die Nato, sprach von einer Welt „am Abgrund von Konflikten“ und von Grenzen, die „in fast allen Bereichen überschritten“ seien. Russland lasse sich mit seiner tausendjährigen Geschichte nicht länger auf der Nase herumtanzen. Die Rede war scharf und klar, eine Warnung, die weitgehend ungehört blieb. Nur wenige sahen damals so klar wie der Publizist Josef Joffe, der schrieb: „Vielleicht werden sich später Historiker an die 43. Sicherheitskonferenz erinnern als den Beginn des neuen Kalten Krieges.“

Dabei ist es nicht geblieben. Moskau hat einen verheerenden heißen Krieg begonnen und ist seither bei der Siko nicht mehr willkommen (siehe Text unten). Umso mehr versucht der Westen nun, eine neue Einheit zu formen. Im Jahr der US-Wahl, das auch das Jahr des Siko-Jubiläums ist, steht dabei vieles, vielleicht alles auf dem Spiel.

Fragt man Heusgen nach seinem prägendsten Siko-Moment, dann kommt er auf 2019 zu sprechen. Mike Pence, damals US-Vize unter Donald Trump, sprach bei der Siko und übermittelte pflichtschuldig Grüße des Chefs. Doch der Applaus blieb aus, stattdessen herrschte sekundenlang eisige Stille. Ganz anders als bei Kanzlerin Angela Merkel, die für ihre Rede bejubelt worden war. „Diese Diskrepanz ist es, die ich in Erinnerung habe“, sagt Heusgen. Stille und Sprachlosigkeit könnten im Herbst mit Trump zurückkehren. „Das bereitet mir große Sorgen.“

Die Ausstellung

im Amerikahaus (Karolinenplatz 3) ist bis 19. Februar zu sehen. Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Mo. bis Do.: 10 bis 17 Uhr, Fr.: 14 bis 20 Uhr, Sa.: 10 bis 18 Uhr.

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