München – Das Handwerk hat goldenen Boden, heißt es nicht zu Unrecht. Aber trotzdem fehlt es an allen Ecken und Enden an Nachwuchs. Ein Gespräch mit Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, über die aktuelle Lage, die Chancen im Handwerk, Fachkräfte aus dem Ausland und die Vier-Tage-Woche.
Herr Peteranderl: Aktuell gibt es 40 000 offene Stellen im bayerischen Handwerk, dazu rund 8000 unbesetzte Ausbildungsplätze: Was bedeutet das für die Unternehmen?
Der Fachkräftemangel, der sich über Jahre angehäuft hat, führt dazu, dass nicht mehr alle Kunden zeitnah bedient werden können, dass Wartezeiten anfallen. Im Heizungs-, Sanitär- oder auch im Elektrohandwerk können Notfälle zwar noch kurzfristig behoben werden, aber es kommt durchaus vor, dass keine Neukunden mehr aufgenommen werden. Viele Verbraucher müssen dann länger suchen, bis sie einen Handwerker finden.
Ist die Qualität in Gefahr?
Nein, denn in den Betrieben und vor allen Dingen in unserer überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung legt das Handwerk nach wie vor sehr hohe Maßstäbe an. Wir reduzieren auch nicht bei den Prüfungsanforderungen, damit mehr Azubis die Gesellenprüfung bestehen.
Was müsste geschehen, damit die Lage sich entspannt?
Es müssten viel, viel mehr junge Leute ins Handwerk gehen. Wir wollen, dass Studienabbrecher verstärkt zu uns ins Handwerk kommen, eine Ausbildung machen und hier ihren beruflichen Lebensweg einschlagen. Natürlich können wir auch aus dem Ausland Fachkräfte anwerben, aber die müssen aufgrund unserer hohen Qualitätsanforderungen in der Regel erst nachqualifiziert werden.
Was können Sie den jungen Leuten bieten?
Wir müssen ihnen klarmachen, wie nachhaltig, innovativ und anspruchsvoll die einzelnen Gewerke sind. Wir haben über 130 Ausbildungsberufe, da ist in der Regel für jeden etwas dabei. Wir sehen bei Schulbesuchen und in unseren Bildungsstätten auch, dass Abiturientinnen und Abiturienten Spaß am Handwerk entwickeln und verstehen, dass es eine hervorragende Grundlage ist, wenn sie zuerst eine duale Ausbildung machen, bevor sie an die Universität gehen – wenn sie das hinterher überhaupt noch wollen. Aber wir müssen vor allen Dingen auch den Eltern und Lehrkräften klarmachen, dass die altbackenen Vorstellungen vom Handwerk längst nicht mehr zeitgemäß sind, dass das Handwerk mit den heutigen technischen Möglichkeiten wie Digitalisierung, Messtechniken und Ähnlichem durchaus auch einen Abiturienten fordern kann.
Reichen die aktuellen Gehälter aus, um diese Klientel zu locken?
Ich denke schon. In einzelnen Gewerken wie Feinmechanik, Kfz, Elektro, Heizung, Sanitär oder auch im Baubereich bekommen Auszubildende im ersten Lehrjahr bis zu 900 Euro und im letzten knapp 1400 Euro pro Monat. Das ist ein sehr guter Verdienst. Und sobald man den Gesellenbrief hat, ist eine ordentliche Lohnsteigerung drin. Wenn jemand dann leistungsbereit ist und sich weiterbildet, kann er richtig gut verdienen. Ein fertiger Meister ist beim Gehalt durchaus mit geisteswissenschaftlichen Abschlüssen im akademischen Bereich vergleichbar. Und wenn Sie dann noch risikobereit sind und sich selbstständig machen, ist dem Verdienst keine Grenze gesetzt.
Würde mehr Spielraum bei den gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften helfen?
Ja, natürlich, wenn wir das europäische Arbeitszeitgesetz hätten und nicht die strikten deutschen Vorgaben, dann würde das die Flexibilität bei den Betrieben deutlich erhöhen. Auszubildenden dagegen kann man nicht die gleichen Arbeitszeiten zumuten wie älteren Mitarbeitern. Neun, zehn Stunden auf der Baustelle würden einen Auszubildenden dann doch überfordern. Was die aktuelle Diskussion über die Vier-Tage-Woche angeht: Wir sind verpflichtet, die Auszubildenden am Tag nicht länger als acht Stunden arbeiten zu lassen. Überstunden müssen zeitnah ausgeglichen werden. Außerdem müssen – wie bei allen Beschäftigten – die Ruhezeiten zwischen dem Arbeitsende und dem Arbeitsbeginn am Folgetag beachtet werden. Das heißt, ein ausbildender Betrieb kann eigentlich nicht auf eine Vier-Tage-Woche umstellen. Auch die Zeiten für die überbetriebliche Unterweisung beziehen sich alle auf eine Fünf-Tage-Woche.
Wie steht denn die Kammer zu offensiven Abwerbeversuchen innerhalb der Branche?
Das ist kein schönes Verhalten. Wir können aber nichts dagegen machen. Wir raten, durch entsprechende Soft Skills, durch gute Arbeitsbedingungen und ein angenehmes Betriebsklima die Mitarbeiter so ans Unternehmen zu binden, dass diese keinen Grund sehen zu wechseln.
Interview: Peter T. Schmidt