Washington/München – Bei einem plötzlichen Tod von Joe Biden, so sieht es die Verfassung vor, würde seine Vize Kamala Harris als Präsidentin vereidigt. Doch ist sie auch die beste Kandidatin, um die Demokraten bei der Wahl im November an der Macht zu halten? Oder könnte Biden im Wahljahr sogar noch einen geordneten Rückzug antreten? Erwägt die Partei angesichts der schlechten Zustimmungswerte für den Präsidenten gar selbst einen fliegenden Wechsel? Wer käme aber dann als Nachfolger bzw. Nachfolgerin infrage?
Kamala Harris wäre zwar die natürlichste Wahl. Aber die 59-Jährige, einst Hoffnungsträgerin der Partei, einmal erste US-Präsidentin werden zu können, ist nach mehreren verpatzten politischen Aktionen abgetaucht. Die frühere kalifornische Senatorin musste sich mit unlösbaren Aufgaben herumquälen, die ihr Chef ihr aufgetragen hatte. Ganz so, als wolle Biden Kamala Harris bewusst kleinhalten. Bei der Wahlrechtsreform war von Anfang an klar, dass sie im Senat scheitert. Dann verbrannte sie sich – vorhersehbar – die Finger an der Migration. Eine schnelle Lösung des Problems an der Grenze zu Mexiko konnte es nicht geben. Seitdem ist sie so unsichtbar wie unbeliebt.
Erst in den letzten Wochen zeigte sich die Vize-Präsidentin wieder häufiger öffentlich an Bidens Seite, um Frauen, Schwarze und andere Minderheiten zu mobilisieren – hoffen die Parteistrategen. Dass aber nur rund 30 Prozent der Parteibasis ihre Kandidatur unterstützen, obwohl sich zugleich über 75 Prozent einen jüngeren Präsidenten – oder eine Präsidentin – wünschen, spricht Bände.
Nun gibt es durchaus weitere charismatische Persönlichkeiten bei den Demokraten, doch mangelt es auch ihnen an Unterstützung von der Basis oder eignen sie sich nicht als Konsenskandidat. So glänzte Amy Klobuchar (63), Senatorin aus Minnesota, Anfang des Jahres zwar durch eine fulminante Grundsatzrede, allerdings sind ihre linksliberalen Ansichten in der Partei umstritten. Die Mitte verschrecken auch die gescheiterten Präsidentschaftskandidaten von 2020 Elizabeth Warren und Bernie Sanders. Während die 74-Jährige schon mal die Zerschlagung einer Großbank forderte und eine weitere Liberalisierung des Abtreibungsrechts verlangt, gilt der streitbare Senator aus Vermont inzwischen auch wegen seiner 82 Jahre als chancenlos. Mit nur knapp zehn Prozent Zustimmung bei der Basis der Demokraten scheidet wohl auch die New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (34) aus, die nach Meinung gemäßigter Wähler viel zu (links)radikal auftritt.
Bleiben noch zwei Männer im Rennen, die sich in ihren politischen Positionen kaum unterscheiden, aber die Mitte für sich gewinnen könnten. Eine schillernde Figur ist der hierzulande noch nahezu unbekannte J. B. Pritzker, Gouverneur von Illinois. Der 59-Jährige ist Spross einer der reichsten Familien der USA, die unter anderem die Hyatt-Hotel-Kette gegründet hat. Seine Schwester Penny war unter Ex-Präsident Barack Obama Handelsministerin. Mit seinen Forderungen nach einer Krankenversicherung für alle, einer besseren Waffenkontrolle und einer Anhebung des Mindestlohns zählt Pritzker zum gemäßigten demokratischen Lager. Mit 3,2 Milliarden Dollar Vermögen ist er in den USA aktuell die reichste Person, die ein öffentliches Amt innehat. Eine gute Voraussetzung also, um sich bei Bedarf gegen Cash Aufmerksamkeit zu sichern.
Weniger geldig ist Gavin Newsom (56), seit 2017 Gouverneur von Kalifornien. Der Jurist mit irischen Wurzeln kommt aus einer Familie von Richtern und machte sich als Bürgermeister von San Francisco einen Namen, als er bereits 2004 die Homo-Ehe ermöglichte. Außerdem setzte er 2019 in seinem Bundesstaat die Todesstrafe aus. Weil Newsom als moderat, smart und bürgernah gilt, ist er für immerhin 17 Prozent der Basis der Demokraten wählbar.
So richtig zünden kann aber keiner beim Parteivolk. Da elektrisiert schon eher der Name Michelle Obama (60). Die frühere First Lady hat viel politische Erfahrung während ihrer acht Jahre im Weißen Haus gesammelt (2009-2017) und ist ihrem Mann Barack eigenen Aussagen zufolge wichtigste Beraterin gewesen. Die liberale Presse schwärmt regelmäßig, wie großartig es wäre, erstmals eine Präsidentin zu haben, auch noch mit afroamerikanischen Wurzeln.
Sogar einen konkreten Zeitplan für ihre Bewerbung gebe es bereits, kolportierte vor ein paar Tagen die New York Post. Danach würde Joe Biden im Mai seinen Rückzug bekannt geben, damit die 60-Jährige für den Parteitag im August nominiert werden könne. Angeblich hätten die Obamas schon Kontakt zu Großspendern aufgenommen.
Michelle Obama selber hält sich bedeckt, bekannt ist aber aus ihrem Weltbestseller Becoming (2018), dass sie für eine Kandidatur nicht zu Verfügung steht. Dass aber der „Frauenfeind“ (Michelle Obama über Trump) erneut Präsident werden könnte, ein Mann, der das „Gegenteil von dem (ist), was wir repräsentiert haben“, erschüttert sie. Kurz vor ihrem 60. Geburtstag am 17. Januar warnte Michelle Obama einmal mehr, dass bei der Präsidentschaftswahl die demokratische Grundordnung des Landes auf dem Spiel stehe. Ob das nicht Grund genug ist, den Schritt zu wagen?