München – Die Wiedervereinigung im Jahr 1990 hat vor allem für Ostdeutschland starke Veränderungen mit sich gebracht. Noch heute sind zum Teil große Unterschiede zum Westen sichtbar. Deutlich wird das etwa bei der Bevölkerungsentwicklung. Die rückläufigen Geburtenzahlen, die Abwanderung von jungen Menschen in die westlichen Bundesländer und die steigende Lebenserwartung haben die Gesellschaft in den neuen Bundesländern schneller altern lassen.
Das Durchschnittsalter im Osten war 2022 laut Statistischem Bundesamt mit 47,2 Jahren wesentlich höher als in den westdeutschen Bundesländern (44,2 Jahre) und in Berlin (42,4 Jahre). Die stärkere Zuwanderung aus dem Ausland und der Zuzug junger Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern verlangsamen die Alterung der westdeutschen Bevölkerung. Der Ausländeranteil ist im Osten der Bundesrepublik auch heute noch deutlich niedriger als im Westen.
Der Lebensstandard in Ostdeutschland hat sich seit der Wiedervereinigung stark verbessert. Die neuen Bundesländer sind zu einem international anerkannten Wirtschaftsstandort geworden. Technologie-Unternehmen wie der Chip-Hersteller Intel wollen kräftig investieren.
Dennoch gibt es auch in der wirtschaftlichen Leistung große Unterschiede. Das Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2022 in Westdeutschland rund 3,25 Billionen Euro, während es in Ostdeutschland im selben Jahr nur bei rund 435,6 Milliarden Euro lag. Eine vollständige Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus halten Ökonomen laut einer Erhebung des ifo-Instituts von 2019 für unwahrscheinlich.
Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verdienen Menschen in Ostdeutschland bei gleicher Qualifikation 17 Prozent weniger als im Westen. Das sei auf die geringere Tarifbindung, die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und unterschiedliche Betriebsgrößen zurückzuführen. Das durchschnittliche verfügbare Einkommen liegt noch immer elf Prozent unter dem eines West-Haushalts. Laut der aktuellen Pro-gnose des Marktforschungsinstituts GfK (siehe Grafik) werden die ostdeutschen Bundesländer beim netto verfügbaren Einkommen – einschließlich staatlicher Leistungen wie Renten, Arbeitslosen- und Kindergeld – auch in diesem Jahr im hinteren Feld des Rankings liegen. Nur die Bremer haben weniger.
Allerdings ist das Leben in vielen Regionen im Osten der Bundesrepublik auch deutlich billiger, inklusive der Mieten. Man bekommt also mehr für sein Geld. Laut einer Studie des Prognos-Instituts im Auftrag des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft können Menschen zum Beispiel im sächsischen Landkreis Görlitz mit jedem Euro 1,5-mal so viele Waren und Dienstleistungen kaufen wie im teuren München. Vor allem für Rentner sehe es deshalb in Ostdeutschland besser aus als im Westen.
Ein höherer Anteil von Menschen in ländlichen Regionen Ostdeutschlands lebe in einem Umfeld, „das von einer stagnierenden oder schrumpfenden Bevölkerung und von einer geringeren Ausstattung mit Einrichtungen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge geprägt ist“, heißt es im aktuellen Bericht zur Lage der Deutschen Einheit, den die Bundesregierung im September 2023 vorgestellt hat. Viele gesamtdeutsche Herausforderungen wie die Digitalisierung oder eine alltagstaugliche Mobilität seien im Osten noch größer. Keine Unterschiede bestehen zwischen Ost und West bei den Renten, sie haben seit Juli 2023 das gleiche Niveau. Die Lebenserwartung hat sich ebenfalls angenähert. VINZENT FISCHER