Schliersee – Walter de Alwis will die Tür eines Hotelzimmers schließen. Sie klemmt. Er versucht es erneut. „Es ist eben alles alt hier“, sagt er. Der Teppichboden auf dem Gang wellt sich, der Hotelier macht einen großen Schritt darüber und öffnet ein Zimmer mit Seeblick. Ein Holzrahmen umgibt die rot karierte Tapete, Bilder von Hirschen hängen an den Wänden. „Es ist okay. Kein Wow-Effekt“, meint er. Der 69-Jährige hat das Hotel in Schliersee im Landkreis Miesbach vor 18 Jahren gekauft. Jetzt will er es abreißen und ein neues bauen. Doch in der Gemeinde regt sich Widerstand.
Der Gemeinderat hatte der Planung eigentlich schon zugestimmt. Die Betreiber wollen das „begehrenswerteste Hotel Deutschlands“ bauen. Knapp 24 Meter hoch und 90 Meter lang, direkt am Seeufer. 55 Millionen Euro kostet das die Familie de Alwis. Die Finanzierung sollen regionale Banken sichern. Die Größe des neuen Schlierseer Hofs gefällt aber nicht allen im Ort. Mit einem Bürgerbegehren wollen sie das Projekt zum Schrumpfen zwingen.
BI: Wollen kein zweiter Tegernsee werden
„Wir sind nicht gegen ein neues Hotel. Wir sind nur gegen ein Hotel in dieser Größe“, erklärt Alexander von Schoeler, Sprecher der Bürgerinitiative (BI). Mit 90 Metern sei das Hotel fast so lang wie ein Fußballfeld. 1320 der rund 7000 Einwohner der Gemeinde im Kreis Miesbach haben sich in die Unterschriftenliste gegen das „Megahotel“ eingetragen. Auch die Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal, die Architekten im Landkreis und der Landesverein für Heimatpflege sehen den Bau kritisch.
Der wesentlich größere Neubau soll nicht nur fast doppelt so viele Zimmer haben, sondern auch einen großen Wellnessbereich. „Wir merken langsam, dass wir so nicht mehr leben können“, sagt de Alwis. Er betreibt das Hotel mit seiner Frau Ute und Sohn Marcel, der das neue Hotel übernehmen will. Besonders die lange Nebensaison und die vielen Regentage machen den Hoteliers zu schaffen. „Wir haben in Schliersee keine Schlechtwetter-Alternativen“, sagt Marcel de Alwis. Weil in der Nebensaison keine Gäste kommen, hat das Hotel an manchen Tagen sogar ganz geschlossen.
Der Wellnessbereich, eine Markthalle und ein Pool mit Bar sollen das Hotel attraktiver machen. Denn die Hoteliers befinden sich nicht nur im Wettbewerb mit dem benachbarten Tegernseer Tal, sondern international. „Dafür müssen wir aufrüsten.“
Die Kritiker verstehen, dass ein modernes Hotel einen Wellnessbereich braucht. „Der muss aber nicht 200 Quadratmeter groß sein“, sagt von Schoeler. Er befürchtet, dass das Hotel einen Luxusort aus Schliersee macht. „Wir sind das sympathische Gegenstück zum Tegernsee“, findet der pensionierte Rechtsanwalt, der selbst einige Jahre in Rottach-Egern lebte. Die Gemeinde solle nicht dieselben Fehler machen.
Nach Angaben von Tourismus Oberbayern München (TOM), der touristischen Dachorganisation für Oberbayern, gibt es in der Region Schliersee vier Vier-Sterne-Hotels (davon zwei Superior), am Tegernsee sind es sechs Vier-Sterne-Hotels (davon zwei Superior) sowie zwei Fünf-Sterne-Superior-Häuser.
Für TOM-Geschäftsführer Oswald Pehel ist das keineswegs zu viel. Größere Hotels, argumentiert er, ließen sich „architektonisch sehr gut in die Landschaft integrieren“. Sie seien wichtige regionale Arbeitgeber und Treiber der regionalen Wertschöpfung. Vom Metzger und Bäcker bis zum Handwerker und dem Einzelhandel würden Einheimische profitieren. Und die Gemeinde nehme mehr Steuern ein. Das Projekt „Schlierseer Hof“ sieht Pehel ebenfalls positiv. Es gebe Mitarbeiterwohnungen, deren Kaufkraft bleibe so im Ort. Zudem seien 75 Prozent des Hotels im Erdgeschoss öffentlich zugänglich, „sodass die einheimische Bevölkerung an den Angeboten partizipieren kann und es kein exklusiver Ort für Übernachtungsgäste wird“. Wichtig seien Transparenz und „Kommunikation mit den Bürgern vor Ort“.
Die Bürgerinitiative plädiert dafür, in einen ruhigen, nachhaltigen Tourismus zu investieren. Auch die Bauherren versichern, dass sie keine „Schickimicki-Gäste“ wollen. Aus Gemeindesicht wäre etwas mehr Trubel aber ganz gut. „Hier ist nichts mehr los“, sagt Bürgermeister Franz Schnitzenbaumer bei einem Streifzug durch den Ort. Er steht an der Bahnhofstraße. Wo es früher wuselte, stehen heute viele Geschäfte leer. Schnitzenbaumer deutet auf ein Gebäude, in dem jetzt das Rote Kreuz sitzt. „Hier war mal ein Schreibwarenladen.“ Immer wieder kommt er an leer stehenden Gebäuden vorbei. Seit einigen Jahren kämpft Schliersee gegen Verödung. „Das tut schon weh.“ Der Bürgermeister hofft, dass durch das neue Hotel wieder mehr Touristen den Ort beleben – und dass das Hotel Nachahmer findet. In Schliersee gebe es zwar viele Tagesausflügler, die würden aber vor allem wandern und nicht im Ort einkaufen. „Da hoffen wir, dass ein Hotel für Belebung sorgt.“
Hoteliers: Verkauf als letzter Ausweg
Die Gegner sind skeptisch. Dass der Einzelhandel um seine Existenz kämpfe, liege am Online-Handel. „Daran ändert auch ein Hotel nichts“, sagt von Schoeler. An Gästehäusern und Ferienwohnungen mangelt es Schliersee nicht. Am See gibt es fünf Hotels – eines davon steht zum Verkauf. Das fehlende Wellnessangebot sei ein Problem für den Ort, findet Schnitzenbaumer. Dass das neue Hotel für Unmut sorgt, versteht er aber auch. „Es gibt kein vergleichbares Gebäude in Schliersee.“ Die Häuser sind alpenländisch – Satteldach, Holzfassade, Lüftlmalerei.
Die BI-Initiatoren befürchten, dass der „monströse“ Bau Touristen davon abhalten könnte, in die Gegend zu fahren. „Das Gebäude würde an dieser Stelle das Ortsbild nachhaltig stören“, findet von Schoeler. Maximal 17 Meter dürfe es hoch sein. Die Hoteliers wollen aber nicht weiter abspecken. „Das wäre nicht wirtschaftlich.“
Kommende Woche will der Gemeinderat entscheiden, ob dem Bürgerbegehren stattgegeben wird. Was passiert, wenn sich die Bürger gegen den aktuellen Plan entscheiden? „Dann gibt es keinen Schlierseer Hof. Es gibt keinen Plan B“, sagt Marcel de Alwis. Sein Vater ergänzt: „Wir wollen nicht drohen. Aber Verkauf wäre dann eine Option für uns.“ Die Bürgerinitiative lässt das kalt. „Das ist eine Art Erpressung“, findet Sprecher von Schoeler.