Ein Elfmeter für die Ewigkeit

von Redaktion

Andreas Brehme schoss Deutschland 1990 zum WM-Titel, nun ist er mit erst 63 Jahren gestorben

VON GÜNTER KLEIN

München – Jede Generation hat ihren Satz der nationalen Fußball-Ekstase.

Von 1954 und „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen“ von Radioreporter Herbert Zimmermann bis 2014 und „Mach ihn – er macht ihn“, mit dem Tom Bartels im Ersten die Ballannahme und den Abschluss von Mario Götze in Rio de Janeiro unterlegte. Dazwischen: 1974 und Rudi Michels’ minimalistische Schilderung „Bonhof – Müller – und 2:1.“ Und 1990: Am 8. Juli sitzen Gerd Rubenbauer und Karl-Heinz Rummenigge als Experte an den ARD-Mikrofonen in Rom, als es Elfmeter für die deutsche Nationalmannschaft gibt. „Er kann mit links und kann mit rechts“, sagt Rubenbauer, als Andreas Brehme den Ball auf den Punkt legt und ein paar Schritte zurückgeht. „Meistens schießt er mit rechts“, fügt Rummenigge an. Momente der Stille, die Kamera ruht in Nahaufnahme auf Brehmes Augen, die zum Boden gerichtet sind, damit Argentiniens Torhüter nichts aus ihnen lesen kann. Anlauf – Schuss – Jubel und Gerd Rubenbauers Vollzugsmeldung: „Mit rechts ins linke Eck. Goycoechea wusste alles, nur halten konnte er ihn nicht.“

Viermal ist Deutschland Fußball-Weltmeister geworden. Und es gehört zum Bildungskanon des Landes, zu wissen, wer die Helden waren, die den letzten Schritt zum Titel taten: Rahn, Müller, Brehme, Götze. Helmut Rahn starb 2003 nach längerer Krankheit, er wurde 73 Jahre alt. Gerd Müller ging mit 75, er war dement, hatte vergessen, dass er ein großer Sportler war. Und nun ist Andreas Brehme gestorben, weit vor der Zeit, wie man sagt. Mit 63 Jahren an Herzversagen, in der Nacht auf Dienstag in München.

Man hatte sich zuletzt schwergetan, ihn zu erkennen. Im vergangenen Sommer trafen sich die Weltmeister von 1990 mal wieder, sie stellten sich zu einem ikonischen Erinnerungsfoto auf, das zu einem Suchbild in der Vergangenheit wurde. Es gab die Spieler, für die die Zeit stehen geblieben war wie für den juvenilen Stürmer Karlheinz Riedle, und die leicht auszumachenden Charakterköpfe à la Berti Vogts. Und es stand ein Dicker mit auf dem Bild, bei dem sich die Betrachtenden fragten: War das ein Co-Trainer, ein Betreuer? Es war Andi Brehme. Aber man freute sich auch über diesen Anblick: Da strahlte einer eine Gelassenheit aus wie bei seinem Torschuss in Rom. Nach dem Sport war es ihm halt ergangen wie vielen: Er wollte sich nicht weiter quälen, sondern leben. Das war in Ordnung.

Er war ein unkomplizierter Typ – und als Sportler einer, bei dem man stets ein klares Leistungsbild vor Augen hatte. Offiziell Verteidiger, aber überall auf dem Feld präsent. Wenn einem ein Attribut einfällt zu Andreas Brehme, dann ist es „beidfüßig“. Thomas Hitzlsperger, der ihn als Co-Trainer beim VfB Stuttgart erlebte, schrieb in den Sozialen Medien: „Der Erste, der genauso gut rechts wie links schießen konnte.“ Bei Brehme erinnert man sich: Freistoßtor mit links bei der WM 1986 im Halbfinale gegen Frankreich, Strafstoßtreffer mit rechts 1990 im Endspiel.

Es war die beste Zeit seiner Karriere. In diese Phase gehörte auch, dass Brehme 1989 zu Italiens Fußballer des Jahres gewählt wurde. Die Weltstars spielten damals alle bei den großen Azzurri-Clubs, Brehme mit seinem Vertrauten Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann bei Inter Mailand. Das Leben im Ausland verlieh ihm Stil, er war nun nicht nur ein Hamburger Jung und ein Kind der Bundesliga, sondern strahlte Weltläufigkeit aus an der Seite seiner spanischen Frau Pilar, einer Stewardess.

Brehme wusste um seine Klasse. Eine Episode von 1990 aus dem deutschen WM-Quartier in Erba. Für das letzte Vorrundenspiel gegen Kolumbien war er gesperrt, für ihn würde der Münchner Hansi Pflügler aufgestellt. Ein Radiomann pirschte sich tags zuvor an Brehme heran, drückte ihm das Mikrofon fast ins Gesicht: „Hat Andreas Brehme Angst, seinen Stammplatz zu verlieren?“ Brehme taxierte den Reporter, antwortete nur: „Nö.“ Es war das kürzeste Interview aller Zeiten.

Sein Club war der 1. FC Kaiserslautern, von dem er zu größeren Aufgaben aufbrach (FC Bayern, Mailand) und zu dem er zurückkehrte und 1998 in einer bescheidenen Altersrolle mit 37 Deutscher Meister wurde. Danach fiel es Brehme schwer, einen Platz im Fußball zu finden. Er war Trainer, meist glücklos wie bei der SpVgg Unterhaching, er war Spielerberater, repräsentierte eine Rasenfirma. Geschäfte misslangen, doch Brehme stürzte nicht ab.

Die deutschen Weltmeister werden weniger. 2021 starb Horst Eckel, der Letzte der „Helden von Bern“. Von den 1974ern leben Heinz Flohe, Gerd Müller, Jürgen Grabowski und Franz Beckenbauer nicht mehr. Die 1990er sind zu gegenwärtig, als dass der Gedanke hätte aufkommen können, da müsste schon einer gehen. Vor ein paar Monaten erst hatten alle Weltmeister von Rom für ein Buchprojekt Schmonzetten gesammelt. Nun ist ihnen der verloren gegangen, dessen Schuss sie final zu dem machte, was sie sind. Mit rechts ins linke Eck.

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