Wie der Asyl-Streit eine Gemeinde aufwühlt

von Redaktion

VON MAX WOCHINGER

Warngau – Niemand ist glücklich über das geplante Flüchtlingsheim in Warngau. Nicht der Landrat, nicht der Bürgermeister, nicht einmal der aufgeschlossene Dorfarzt – und schon gar nicht die Bauernfamilie Gschwendtner. Die wohnt außerhalb von Warngau (Kreis Miesbach) in dem kleinen Weiler Draxlham, einen Kilometer von der geplanten Unterkunft entfernt. Vehement haben die Landwirte versucht, sie zu verhindern: Gespräche, Plakate, eine Petition. Doch das Containerdorf für 500 Menschen kommt. „Das werde ich denen nicht verzeihen“, sagt Monika Gschwendtner.

Um zu verstehen, was in der 4000-Einwohner-Gemeinde passiert, muss man zurückblicken. Seit eineinhalb Jahren sucht der Landkreis nach einer Lösung für die drei Turnhallen in Miesbach und Tegernsee: Rund 600 Flüchtlinge sind dort untergebracht, über 80 Prozent sind Männer. Und jede Woche kommen 50 Menschen dazu. Grundsätzliche Probleme mit den Geflüchteten gebe es weder in Miesbach noch in Tegernsee, so eine Sprecherin des Landratsamts. „Natürlich gibt es, wenn hunderte Menschen egal welcher Nationalität auf engem Raum zusammenwohnen, immer Reibereien, die sich aber eher auf das beengte Zusammenleben in der Halle beziehen.“

„Wir wussten nicht mehr weiter. Ich habe zig Briefe an die Bezirksregierung, an den Innenminister und nach Berlin geschickt: Wir brauchen eine Pause“, erzählt Landrat Olaf von Löwis (CSU). Es gebe keine Unterkünfte. Der Landkreis hat auch keine großen Liegenschaften wie leerstehende Kasernen. Man habe Gespräche mit Bürgermeistern geführt, Angebote von Privatleuten geprüft, aber meist waren die Grundstücke ungeeignet. In kleinen Einheiten könne man die Menschen aus den Turnhallen nicht unterbringen, sagt der Landrat. Für eine dezentrale Unterbringung fehle es an Flächen. Die Turnhallen sind in kleine Abteile mit Stockbetten gegliedert. Wände gibt es keine, nur optische Abtrennungen. Menschenunwürdig findet das von Löwis: „Die Menschen sind hier seit zwei Jahren eingepfercht. Und es kann dort kein Schul- und Vereinssport mehr stattfinden. Seit einem Jahr stehen die Vereine auf der Matte und fordern mit Recht, die Turnhallen zu öffnen.“

Um das Problem zu lösen, stellte eine Task Force im Oktober alle denkbaren Standorte auf den Prüfstand. Dabei fiel eine Fläche ins Auge: Die Wiese neben dem kommunalen Abfallentsorger Vivo in Warngau – die dem Landkreis gehört. Lange, sagt von Löwis, habe man überlegt. Der Standort sei nicht ideal, weil Warngau weit weg liege. Der nächstgrößere Ort ist Holzkirchen in rund zwei Kilometer Entfernung. „Aber wir haben keine andere Wahl. Es ist die einzig zur Verfügung stehende Möglichkeit.“

Vorgesehen ist eine umzäunte Anlage mit vier Containergebäuden für je bis zu 126 Menschen. Dazu ein Gebäude mit Kindergarten, Küche und Waschmaschinen, ein Haus für Sozialarbeiter und ein kleiner Supermarkt. „Dorf im Dorf“, nennt das der Landkreis. Zwei Jahre lang sollen die Menschen hier leben und dann in dezentrale Unterkünfte umziehen.

Anfang Dezember sickerten die Pläne aus dem Kreistagsumfeld durch. Bürgermeister Klaus Thurnhuber (Freie Wählergemeinschaft) wusste schon früher davon, machte es aber nicht öffentlich, weil es zu der Zeit noch keine klaren Zusagen gegeben habe, wie er sagt. „Vielleicht hätten wir die Leute schon früher ins Boot holen müssen.“ Mitte Januar stimmten Thurnhuber und der Gemeinderat gegen die Unterkunft.

Monika Gschwendtner erfuhr auf dem Weihnachtsmarkt von den Plänen. Völlig bestürzt habe sie „den Klaus“ angerufen, ihren Bürgermeister. Der habe ihr gesagt, dass ihm die Hände gebunden seien. „Das Schlimme ist, dass wir vorab nicht informiert wurden. Wir werden das Auffanglager vom ganzen Landkreis“, sagt sie. „Die Lage ist unmenschlich, direkt neben dem Gewerbegebiet und der Abfallanlage. Dort geht’s morgens um sechs los mit dem Lärm. Und es stinkt rüber von der Bioverwertung.“ Sie spricht offen über ihre Ängste. Die Geflüchteten hätten „den ganzen Tag nichts zu tun“, sagt sie. „Mein Dirndl ist hier oft mit dem Pferd unterwegs. Ich habe ihr schon gesagt: Du bist hier nicht mehr!“

Die Gschwendtners haben mit anderen eine Onlinepetition gestartet, rund 3800 Unterschriften gesammelt, auch aus Rosenheim und München. Und sie haben umstrittene Plakate aufgehängt, auf denen ein überfülltes Flüchtlingsboot das Ortsschild von Warngau durchbricht. Dass das die Stimmung aufheizt, glauben sie nicht. „Seit zehn Jahren kriegen die ihre Politik nicht in den Griff“, schimpft Klaus Gschwendtner. Die, das ist die große Politik in München, Berlin und Brüssel. Aber auch das Vertrauen in die Lokalpolitiker haben sie verloren. Sie gehen davon aus, dass die Unterkunft langfristig bleibt. „Ich habe denen immer meine Stimme gegeben. Aber die wähle ich nicht mehr“, sagt die Bäuerin.

Die Ängste hätten eigentlich bei der Bürgerversammlung Anfang Februar ausgeräumt werden sollen. Doch die Erklärungsversuche des Landrats verpufften, vor dem Wirtshaus trällerten rund 500 Gegner in vorher verteilte Pfeifen und die AfD um den Rosenheimer Landtagsabgeordneten Andreas Winhart unterwanderte die Diskussion mit perfiden Beiträgen. Am Ende lief die Versammlung völlig aus dem Ruder, wie jetzt Nachfragen bei Polizei und Landratsamt ergaben. Landrat von Löwis musste unter Polizeischutz aus dem Wirtshaus gebracht werden – durch den Hinterausgang der Toilette. „Im Hinterhof habe ich meinen Fahrer angerufen, aber der konnte wegen der Demonstranten nicht durch. Also bin ich ins Polizeiauto gestiegen. Die Leute haben das gemerkt und sind auf uns zugestürmt, sogar Traktoren sind auf uns zugerollt“, erzählt er. Die Tür des Streifenwagens wurde zugeknallt, dann sei man „losgebraust“. Inzwischen laufen zwei Ermittlungsverfahren wegen Nötigung, weil das Polizeiauto „eingekeilt“ wurde. Einer der beschuldigten Traktorfahrer kommt nach Angaben der Polizei aus Warngau, der andere aus der Region.

Bürgermeister Thurnhuber ist noch immer erschüttert. „Wo kommt dieser Hass her?“, fragt er sich. Im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften gebe es keine hohe Kriminalität, sagt er. Warngau hatte schon einmal ein Containerdorf für 50 Flüchtlinge, mitten im Ortskern. „Da hat es sieben Jahre keine einzige Straftat gegeben.“ 2016, vor dem Bau des Heims, sei die Bürgerversammlung problemlos verlaufen, erinnert sich Thurnhuber. „Auf einmal ist alles ganz anders. Mein Gefühl ist, dass gerade eine große Unzufriedenheit herrscht.“

Im Moment formieren sich auch Bürger, die die öffentliche Meinung im Dorf so nicht stehen lassen wollen. Einer ist Landarzt Winfried Dresel. Er griff bei der hitzigen Versammlung zum Mikrofon und forderte mehr Menschlichkeit. Eine optimale Lösung gebe es nicht, sagt der Mediziner. „Das Flüchtlingsheim in Warngau ist aber die beste Option im Moment.“ Dresel versorgt einmal in der Woche die Menschen in den Turnhallen. „Es ist dort unerträglich.“ Er spricht von psychischen Problemen, einige Bewohner hätten Suizidgedanken. „Viele kommen mit der Bitte um Verlegung auf mich zu.“ Alles, sagt Dresel, sei besser als die Turnhalle.

Das Flüchtlingsheim wird kommen. „Wenn die Zusagen vom Ministerium da sind, warten wir keinen Tag ab“, sagt Landrat von Löwis. In der Gemeinde bröckelt derweil der Zusammenhalt. Auf das Heim angesprochen, entbrennt am örtlichen Stammtisch ein lautstarker Streit. Die meisten glauben, dass mit den Flüchtlingen die Probleme nach Warngau kommen. „Da kann man gleich die Polizeistation raus bauen“, sagt einer. „Wir kennen uns seit 40 Jahren und jetzt fangen wir das Streiten an“, ein anderer. Einige der Plakate der Gschwendtners wurden von Unbekannten beschmiert. Auf einem steht: „FCK AFD“ – Fuck AfD. „Unsere Tochter ist an Fasching von jemanden angesprochen worden“, erzählt die Bäuerin noch. „Er hat sie gefragt, warum ihre Eltern solche Nazis seien.“

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