München – Elf ehemalige Spieler, allesamt Legenden des Fußballs und Wegbegleiter oder Schützlinge des Kaisers, betraten bei der Trauerfeier für Franz Beckenbauer im Januar den Rasen der Allianz Arena, stellten sich um den Mittelkreis herum auf. Elf, weil sie eine Mannschaft ergeben – doch es fehlte ein Torhüter. Es konnte da auch nur einen geben: Sepp Maier. Die Fans waren in Sorge: Ging es dem Maier Sepp etwa auch nicht gut? Aber Entwarnung: Er war im Urlaub. So etwas plant man langfristig. Sepp Maier geht es gut, er ist aufgetaucht, vergangene Woche machten neue Zitate von ihm zum Meisterschaftskampf in der Bundesliga die Runde. Er muss ja auch was sagen, denn ihm steht ein großer Tag bevor: Heute wird er 80.
Er ist der Älteste der Achse, die den Ruhm des FC Bayern begründete. Und er ist der einzige Überlebende: Vor Franz Beckenbauer, dem Libero, war Gerd Müller gegangen, 2021, der einzigartige Stürmer, der versunken war im Nebel der Demenz. Die RTL-Serie von Regisseur David Dietl, „Gute Freunde“, die den Aufstieg des FC Bayern nachzeichnet, beschreibt, wie die Jungspunde Maier und Beckenbauer dem schüchternen Gerd Müller aus Nördlingen den Einstieg in München erleichtern, ihn im Training und Vereinsheim aufbauen, ihn auch mal mit in die Disco schleppen. Sie gingen dann einen langen Weg zusammen – bis Beckenbauer und Müller sich in die USA verabschiedeten: Maier blieb. Von den Stars der goldenen Jahre war er der loyalste.
„Gute Freunde“, das sich nah an der wahren Geschichte entlang bewegt, zeigt den jungen Sepp Maier auch von der Seite, die er verbarg: Vor Spielen saß er schlotternd auf dem Klo, war bemüht, den zitternden Händen den Stillstand zu befehlen. Vor den anderen war er dann wieder der selbstsichere Spaßvogel, der Zaubertricks vorführte.
Eine Umfrage, was man mit Sepp Maier verbindet, würde genau das ergeben: Er gab dem Fußball eine Leichtigkeit, kein Spiel konnte so ernsthaft und hitzig geführt werden, dass es vor einem Maier-Gag sicher war. Aber diese Haltung konnte er sich natürlich nur leisten, weil er verdammt gut war: Der beste Torwart der Welt in der ersten Hälfte der 70er-Jahre und trotz Toni Schumacher und Oliver Kahn, die nach ihm prägend waren, der deutsche Torwart des Jahrhunderts.
Sepp Maier aus Anzing besetzte stets eine Sonderrolle. Die Öffentlichkeit sah ihm im Grunde alles nach. Petar Radenkovic vom TSV 1860, den Mitte der 60er berühmtesten Torwart der Stadt und sogar als Schlagersänger erfolgreich („Bin in Radi, bin i König“), konterte er mit einem „Bin i Radi, bin i Depp, König is der Maier Sepp“. Das wurde nicht als Affront bewertet, sondern als lokale Schmonzette weggelächelt.
Dass er sich eher kränkelnd ins Nationalmannschaftstor stellte, nur damit der Mönchengladbacher Rivale Wolfgang Kleff sich nicht empfehlen konnte – ja mei, Rivalität, Sport muss so sein. In den in seinem Namen geschriebenen Büchern „Ich bin doch kein Tor“ sowie „…und wer küsst mich?“ wurden auch mal amouröse Eskapaden von Berufskollegen geschildert – doch das war dann nicht etwa eine Indiskretion, sondern die Heimtücke des Ghostwriters, der ihm was untergejubelt hatte. Und ein paar Nationalspieler des Europameisterteams von 1996 schnauften tief durch, als ein privat vom Torwarttrainer Sepp Maier gedrehter Film von den Titelfeierlichkeiten mitsamt einiger nackter Tatsachen den Weg an die Öffentlichkeit fand. Peinlich. Aber ist halt der Sepp.
Man ließ keine Kratzer am Bild von Sepp Maier zu. Er war der Gaudibursche, der im Olympiastadion während eines Spiels versuchte, eine Ente einzufangen. Er vereinbarte mit dem Dortmunder Stürmer Willi Lippens die Aktion, die die wagemutigste des Jahrhunderts gewesen wäre, weil sie den Wettkampfgedanken in der Bundesliga karikiert hätte: Maier wollte den Ball zu Gegner Lippens spielen und dieser ihn zurück – als stünden sie in einer Mannschaft. Letztlich trauten sie sich nicht. Aber Maier nahm dem Fußball an anderer Stelle seine Gravität: Als Teamchef Franz Beckenbauer ihn in den Trainerstab der Nationalmannschaft holte, ernannte er sich selbst zum „Bundestorwarttrainer“ und erfand das Kürzel dazu: BTT.
Dass Jürgen Klinsmann als neuer Bundestrainer im Jahr 2004 entschied, dass Sepp Maier nicht mehr BTT sein dürfe, war einer der Momente, in denen der Ernst des Lebens und vor allem der Zorn Maiers notorische Fröhlichkeit verscheuchten. Klinsmann missfiel, dass Maier Oliver Kahn favorisierte, den er auch beim FC Bayern trainierte. Von Jens Lehmann hielt er weniger, er machte in der Torwartfrage Politik – für Klinsmann war Maier somit Störenfried. Die Legende wurde geschasst. Maier trug das Klinsmann nach.
2008 machte Maier von sich aus Schluss bei den Bayern: Klinsmann war im Anflug auf München, Kahn hatte sein Karriereende verkündet. Maier verband sein Wirken eng mit dem von Kahn, und es war ein Wunder, dass diese beiden so vollendet harmonierten: Kahn, das griesgrämige Leistungstier, Maier, der Botschafter der Heiterkeit, die alles leichter mache.
Sepp Maier, aufgrund seiner Geschmeidigkeit „Katze von Anzing“ genannt, weiß, dass er eigentlich schon ein zweites Leben in Anspruch nimmt. Vor der Saison 1979/80 verunglückte er schwer mit dem Auto – Aquaplaning. Uli Hoeneß, der ins Krankenhaus nach Ebersberg eilte, erkannte, dass seinem Freund Schlimmeres widerfahren war als bloß die diagnostizierten Rippenbrüche. Er leitete die Verlegung nach Großhadern in die Wege, wo Maier notoperiert wurde; er hatte schwere innere Verletzungen. Ohne den Uli, ist er sicher, „wäre ich seit 45 Jahren tot“.
Die Fußballkarriere konnte er nach 442 Bundesligaspielen am Stück nicht fortsetzen, die Versicherung untersagte es. Doch die Lebensqualität blieb. Er spielte Tennis im eigenen „Tennisparadies Sepp Maier“, 2014 verkaufte er. Er ist Golfer, während der Corona-Zeit kämpfte er darum, wieder aufs Grün gehen zu dürfen. Der Bild am Sonntag sagte er: „Ich habe noch keine Ersatzteile in mir, keine Brille und kein Hörrohr.“ Ein typischer Maier.
Sein Humor stammt aus einer Zeit, in der ein Gag zündete, wenn er Äußerlichkeiten thematisierte. Es genügte, wenn Maier sich ein paar Lederbälle unter den Trainingsanzug steckte und einen dicken Menschen mimte. Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre nannte Maiers Art „die Leute vollbayern“. Aber dieser Humor konserviert sich in Sepp Maier als liebenswürdige Erinnerung an eine Zeit, die lange genug zurückliegt, um sie zu verklären.
Maier spürt, dass die Einschläge näher kommen: Der Franz („Mich tröstet nur, dass es eine Erlösung für ihn war“), dann Andi Brehme mit 63. Maier ist der Letzte seiner Art, aber der eigenen Endlichkeit stellt er seine Gewitztheit entgegen: „Die müssen da oben jetzt noch warten auf ihren Torhüter. Ich möchte 100 Jahre alt werden.“