„Putins Mafiastaat ist nur schwer aufzubrechen“

von Redaktion

INTERVIEW Der Opposition fehlt ein starkes Bündnis, sagt Expertin Sabine Adler. Aber selbst dann würde sie die meisten Russen nicht erreichen

München – Die Journalistin Sabine Adler hat viele Jahre als Korrespondentin in Russland gearbeitet. Derzeit leitet sie den Reporterpool für Osteuropa des Deutschlandradios. In ihrem gerade erschienenen Buch „Was wird aus Russland?“ gibt sie einen Einblick in die Denkweise der Mehrheit des russischen Volkes.

Frau Adler, gibt es überhaupt noch eine russische Opposition?

Die russische Opposition ist sehr schwach. Innerhalb Russlands ist sie kaum handlungsfähig – das sehen wir allein an den Trauernden, die selbst fürs Niederlegen von Blumen festgenommen werden. Die besonders Aktiven haben das Land ohnehin verlassen. Und im Exil passiert einfach zu wenig. Russlands Oppositionelle organisieren sich nicht gut: Sie sprechen nicht mit einer Stimme, sie bilden keine Exilregierung, sie haben kein gemeinsames Programm – und vor allem dringen sie nicht zu den Russen im Landesinneren vor. Ob Chodorkowski, Kasparow oder Nawalny: Das sind und waren alles sehr starke Persönlichkeiten, die leider kein starkes gemeinsames Bündnis hervorgebracht haben.

Sie tun zu wenig?

Das darf nicht als Vorwurf verstanden werden. Die Opposition wurde geschwächt, lange bevor Putin in die Regierung kam. Schon als KGB- und FSB-Agent hat er Regimekritiker und frei Denkende bekämpft. Er hat über Jahrzehnte den Staatsapparat darauf ausgerichtet, die Opposition zu beseitigen. Dafür darf man ihr nicht die Schuld geben.

Eine Regierung, die ihre Gegner wegsperrt, tötet, Trauernde verhaftet – macht das nichts mit den Russen?

Ich verstehe die Hoffnung, dass Nawalnys Tod die Russen wachrütteln könnte. Dieses Volk ist natürlich nicht völlig abgestumpft. Aber in der Summe – und das zeigen sowohl staatliche als auch unabhängige Meinungsumfragen – sind die russischen Bürger mehrheitlich entweder Putin-Anhänger oder indifferent. Dazu kommt: Die Indifferenten werden von der russischen Propaganda automatisch den Putin-Unterstützern zugeordnet – und da sie Politik nicht groß interessiert, lassen sie das mit sich geschehen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass die Russen kaum etwas von den westlichen Sanktionen spüren. Sind sie deshalb so unpolitisch?

Womöglich ist das ein Grund. Aber ich finde es trotzdem richtig, dass wir mit den westlichen Sanktionen die Verantwortlichen und nicht die Bevölkerung treffen wollen. Immerhin ist es der russischen Führung ziemlich egal, wie sehr ihr Volk leidet – das Wohl der Menschen ist nicht der Maßstab einer Diktatur. Ihr ist es egal, ob hunderttausende Soldaten sterben, ob die Bürger heizen oder sich ihre Wohnung leisten können. Der Maßstab ist der Machterhalt der Elite. Wir können von außen die Daumenschrauben gar nicht so fest anziehen, dass die russische Bevölkerung auf die Barrikaden geht.

Hätte sie denn überhaupt eine Chance, ihren Präsidenten zu stürzen?

Ich bin da ganz pessimistisch. Putin hat einen Mafiastaat geschaffen. Armee, Polizei, private Söldnerfirmen, Banken, Rüstungsunternehmen, Medien: Alle gehören zu seiner Clique. Wenn sich die militärische, wirtschaftliche, mediale und staatliche Macht in wenigen Händen konzentriert – wer sollte es da noch schaffen, das aufzubrechen?

Haben sich die Russen mit ihrer Machtlosigkeit einfach abgefunden?

In der Vergangenheit wurde der russischen Führung vieles verziehen. Wenn man sich das Leben auf dem Land anschaut: Das ist so desolat, da sind Jahrzehnte an Entwicklung, Technologie, Infrastruktur einfach vorbeigegangen. Das war vielen aber gar nicht so wichtig. Dafür war Russland eben eine Supermacht – das hat für Vieles entschädigt. Dieses imperiale Denken hindert Menschen daran, demokratisch zu denken. Deshalb will man jetzt auch auf keinen Fall als Verlierer in diesem Krieg dastehen – ob man ihn gut findet oder nicht. Zumal Russland als Aggressor auch für den riesigen Schaden in der Ukraine aufkommen müsste: Die Russen haben sehr genau beobachtet, wie viel und wie lange die Deutschen an Reparationen zahlen mussten. Das will niemand.

Die Opposition hat also keine Chance?

Man darf Wunder nicht ausschließen. Wir haben das Ende des Eisernen Vorhangs und die Wiedervereinigung Deutschlands erlebt. Die Geschichte hält immer wieder Überraschungen parat. Vielleicht hätte die Opposition eine Chance, wenn Russland diesen Krieg verlieren sollte. Das würde Putins Macht infrage stellen. Dafür müsste die Opposition aber sofort zur Stelle sein, genug Unterstützung in der Bevölkerung haben und einen konkreten Plan vorweisen können, wie es nun weitergeht. Das sehe ich im Moment nicht.

Was wird aus Russland?

„Über eine Nation zwischen Krieg und Selbstzerstörung.“ Ch. Links Verlag, 321 Seiten, 22 Euro.

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