Älter werden wir alle – aber nicht jeder altert glücklich. Eva Grill (59), Altersforscherin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, will die Ursachen dafür finden. Im Interview erklärt sie, wie ein zufriedener Lebensabend gelingen kann.
Frau Grill, wir werden immer älter. Schätzen die Menschen das?
Das ist wohl für jede Person ein wenig anders. Aber dass wir älter werden, ist eine positive Errungenschaft, da wir mehr Perspektiven für unseren Lebensabend haben. Mit 60 Jahren kann ich noch körperlich und geistig fit sein wie mit 40 oder 50 Jahren.
Halten Sie glückliches Altern für eine Kunst?
Ja, das kann man lernen. Etwa, indem man sich rechtzeitig überlegt, was für einen wirklich wichtig ist, was für einen selbst ein gelungenes Leben ausmacht. Es gibt kein Allgemeinrezept. Körperliche Fitness hilft, und die Fähigkeiten, seinen Alltag zu bewältigen und selbst Entscheidungen zu treffen.
Wann startet man damit und wie?
Mit Ende 40, Anfang 50 etwa. Nach der Familienphase, wenn das Leben entspannter ist, kann man sich fragen, woran man Freude hat. Will ich mehr Zeit mit Freunden verbringen, in die Berge gehen oder eine neue Sprache lernen? Daran kann man sich orientieren, Ideen in die Praxis umsetzen und so Dinge, die einen glücklich stimmen, zur Gewohnheit machen.
Ob man den Elan dafür findet, hängt wohl auch vom Persönlichkeitstyp ab.
Wichtiger ist, herauszufinden, welcher Typ man ist. Ob man gern unter Menschen ist oder gut allein sein kann. Will ich Neues erfahren oder eine Fähigkeit verbessern? Ein Tanzkurs ist ein interessantes Beispiel. Denn dabei ist man in Gesellschaft, trainiert regelmäßig – und lernt vielleicht neue Leute kennen, auch anderen Alters. All das kann glücklich machen.
Warum ist der Austausch mit Menschen anderen Alters wichtig?
Weil man so offen bleibt für Dinge, die auch interessant sein könnten. Mit zunehmendem Alter wird es oft schwieriger, sich auf Neues einzustellen. Deswegen ist es wichtig, früh damit anzufangen – aber ich denke, es ist auch nie zu spät dafür.
Wie kann Familie helfen?
Die Einbindung in das tägliche Leben einer Familie ist sehr wichtig. Enkel vom Kindergarten abholen, gemeinsam etwas unternehmen? Man kann von seinen Großeltern lernen, wie man Apfelstrudel macht oder wie man ein Fahrrad repariert.
Ein gutes soziales Netz stärkt sicher auch die psychische Gesundheit.
Ja, es kann uns im Alter auffangen oder unsere Gebrechlichkeit verhindern. Denn es beugt auch Demenz vor.
Manche trauen sich nicht, ihr Umfeld um Hilfe zu bitten. Haben Sie Tipps?
Es kann schwierig sein, Hilfe anzunehmen, gerade als jemand, der sein Leben lang alles im Griff hatte. Es hilft zu akzeptieren, dass man nicht fitter wird. Und davon ausgehend kann man rechtzeitig planen, zum Beispiel einen Umzug in eine altersgerechte Wohnung. Wobei ein Ortswechsel oft nicht leicht ist.
Routine scheint wichtig.
Ja. Und hier ist es auch an Stadtplanern und Politikern, für die Bevölkerung eine lebenswerte Wohnumgebung zu schaffen. Mit fußläufig erreichbaren Ärzten, Einkaufsmöglichkeiten und Plätzen, an denen sich Menschen gerne aufhalten. So entwickelt man einfacher gesunde und zufriedenstellende Routinen.
Wann nimmt die Zufriedenheit tendenziell ab?
Generell erzählen Menschen, dass sie im Alter steigt. Weil man erfahrener und gelassener wird, potenziell mehr Zeit für sich hat. Manche wollen nach dem Renteneintritt noch etwas beruflich oder sozial aktiv sein – auch das kann glücklich machen.
Was sind die wichtigsten Punkte für Glück im Alter?
Körperliche und geistige Aktivität, Sozialkontakte – und die Neugier behalten.
Wie gelingt es, trotz Sorgen positiv zu bleiben?
Es hilft, aktiv zu handeln, um Sorgen die Nahrung zu nehmen. Bei Problemen, die man selbst nicht angehen kann, kann man Hilfe suchen oder auf eine Lösung vertrauen.
Was wünschen sich ältere Menschen?
Das ist keine einfache Frage. Die Babyboomer gehen langsam in Rente, und das ist eine sehr große Gruppe. Viele von ihnen wollen weiterhin eine Aufgabe, und die Gesellschaft wird auch weiter ihre Hilfe brauchen. Es ist wichtig, dass wir sie mit ihrer Erfahrung nicht links liegen lassen. Ein Ehrenamt kann schön sein. Aber das kann man nicht von allen verlangen.
Wie kann man Behinderung im Alter vermeiden?
Der körperliche Kipppunkt liegt oft bei 80, 85 Jahren. Da nimmt die Fähigkeit des Körpers ab, negative Ereignisse abzufangen, etwa nach einem Sturz. Dann steigt das Risiko für eine Behinderung. Aber man kann dem entgegenwirken. Schon im mittleren Alter kann man Risiken, etwa für Demenz, vermeiden. Wer schlecht hört, sollte frühzeitig ein Hörgerät nutzen. Beweglichkeit, Kraft, Ausdauer und Gang- und Standsicherheit können verloren gehen. Sie lassen sich aber gut trainieren und erhalten – und ermöglichen selbstständiges Leben. Man zahlt sein ganzes Leben auf seinen Körper ein – und am Ende profitiert man vom Ergebnis.
Warum ist Altersforschung für Sie so spannend?
Weil wir alle altern, und es so verschiedene Verläufe gibt. Sie können auch im hohen Alter noch glücklich und mobil sein. Es gibt aber auch viele, die früh Probleme haben. Die Ursachen dafür zu finden und auch, was man selbst und was die Gesellschaft für gesundes Altern tun kann, das finde ich spannend.
Interview: Regina Mittermeier