München – Wochenlang hatte die Ampel um das Milliarden-loch im Haushalt gestritten, dabei wäre die Lösung doch so simpel gewesen: Deutschland könne doch einfach seine Inseln verkaufen, schlug Panagiotis Lafazanis neulich vor. Das war nur halb ernst gemeint, aber der ehemalige Minister der linken griechischen Tsipras-Regierung machte aus seiner Schadenfreude keinen Hehl. „Das Leben ist rachsüchtig“, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Deutschland wird nun erleben, was es Griechenland auferlegt hat.“
Das sitzt. Lafazanis’ Seitenhieb kommt nicht von ungefähr: „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen“, titelte die „Bild“ im Frühjahr 2010, als Athen unter seinem gigantischen Schuldenberg zu ersticken drohte. Lange galt Griechenland als das Sorgenkind Europas, als das schwarze Schaf, das sich den Euro-Beitritt nur mit frisierten Defizit-Zahlen erschleichen konnte. Jetzt aber, 14 Jahre später, steht das Land als Musterschüler da – und Deutschland als der „kranke Mann Europas“: So schreiben es jedenfalls immer wieder ausländische Medien, seit das der „Economist“ vergangenen Sommer angestoßen hatte. Das britische Wirtschaftsmagazin kürte hingegen Griechenland vor einigen Wochen zur besten Wirtschaft des Jahres 2023, zum zweiten Mal in Folge. Die Analysten sprachen von einem „bemerkenswerten“ Ergebnis.
Das Land, das noch vor einigen Jahren mit Krediten von 289 Milliarden Euro vor einer Staatspleite gerettet werden musste, gilt heute wieder offiziell als stabil: In den vergangenen Monaten stuften zwei der größten internationalen Ratingagenturen Griechenland wieder als kreditwürdig ein. Die Bank Barclays sagt dem Staat sogar einen „Mega-Zyklus“ voraus, einen lang anhaltenden Wirtschaftsboom. Schon jetzt wächst die Wirtschaft in Griechenland doppelt so schnell wie der Durchschnitt der Eurozone: 2022 legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,9 Prozent zu. Die EU-Staaten kamen zusammen auf 3,4 Prozent, Deutschland sogar nur auf 1,8 Prozent. Ganz nebenbei konnte Griechenland noch einige der Hilfskredite frühzeitig zurückzahlen.
Seit 2013 hat Griechenland zudem seine Schattenwirtschaft halbiert, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) jüngst attestierte – von 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf nur noch 16 Prozent im Jahr 2021. Gründe sind laut IWF unter anderem eine schärfere Verfolgung der Finanzkriminalität und die Beschränkung von Bargeldtransaktionen auf 500 Euro. Die enorme Schattenwirtschaft war ein Grund für die Staatsschuldenkrise.
Die wichtigste Einnahmequelle ist der Tourismus. 2023 begrüßte Griechenland mehr Urlauber als je zuvor: 20 Milliarden Euro Einnahmen waren ein neuer Rekord, heuer wird ein neues Allzeithoch erwartet. Aber Griechenland will mehr. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass das Land zu einseitig auf Tourismus ausgerichtet ist. Nun will es zur Technologie-Hochburg Südosteuropas werden. Microsoft baut ein eine Milliarde Euro teures Rechenzentrum östlich von Athen. Auch andere Tech-Giganten wie Cisco, Google, Meta und Amazon drängen teils mit Milliarden-Investitionen auf den griechischen Markt. Die Vereinigten Arabischen Emirate planen riesige Rechenzentren in Griechenland. In Thessaloniki plant Pfizer für 650 Millionen Euro ein Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und Big-Data-Analysen.
„Griechenland hat zügig aufgeholt“, erklärt Jens Bastian von der Stiftung Wissenschaft und Politik, „wenn auch von einem sehr niedrigen Ausgangspunkt.“ Bastian hat die letzten zwei Jahrzehnte in Griechenland gelebt und war zum Höhepunkt der Krise Mitglied der „EU Task Force for Greece“. „Im Ausland ist man zu Recht überrascht, wie schnell sich Griechenland erholen konnte – aber für die Griechen selbst ging das alles andere als schnell“, sagt Bastian. Die Bevölkerung habe für das Comeback einen hohen Preis zahlen müssen.
„Mit Ausbruch der Krise wurde alles über den Haufen geworfen: Auf einmal waren die Menschen mit bis zu 30 Prozent weniger Lohn konfrontiert, Arbeitsplatzverlusten, einem höheren Renteneintrittsalter und vor allem mit der Frage: Warum passiert das alles? Wer ist dafür verantwortlich?“ Bis heute, sagt Bastian, gebe es immer wieder neue Schuldzuweisungen, wer dem Land die Krise eingebrockt hat. Die innenpolitischen Probleme seien nach wie vor „sehr präsent“. Mittlerweile liegt die Arbeitslosenquote bei knapp über neun Prozent – das ist nach Spanien der zweithöchste Wert in der EU. „Aber man darf nicht vergessen: Es gab auch schon Quoten von 25 Prozent“, sagt Bastian. Dass man sich heute immerhin im einstelligen Bereich bewege, sei bereits „ein Riesenerfolg“.
Neben dem harten Spardiktat der Kreditgeber hat auch ein neuer Bauboom den Weg aus der Krise geebnet. Ausländische Investoren nutzten die Schnäppchenpreise während der Krise und pumpten immer mehr Geld in den griechischen Immobilienmarkt. Vor allem US-Amerikaner, Briten und Deutsche interessieren sich für Feriendomizile, Luxuswohnungen und Immobilien für den Ruhestand. Griechenland wiederum lockt mit attraktiven Steueranreizen und 300 Sonnentagen im Jahr.
Trotz des Aufschwungs habe Griechenland die Krise noch nicht überstanden, sagt Jens Bastian. Der Schuldenberg ist geschrumpft, aber im EU-Vergleich noch riesig: Mit 160 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gehört er zu den höchsten der Welt. Das Land hat zudem mit chronischen Problemen in seiner Infrastruktur zu kämpfen. Das Zugunglück vor einem Jahr steht symbolhaft dafür. 57 Menschen starben, als ein Intercity und ein Güterzug zusammenstießen. Mangelnde Wartung der Schienen, lautete der Vorwurf. Bastian: „Das Unglück hat offenbart, wie viel in Griechenland noch immer strukturell schiefläuft.“
Die Unzufriedenheit ist greifbar: In dem Better Life Index der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schneidet Griechenland schlecht ab. Auf einer Skala bis 10 wird die Zufriedenheit der Bevölkerung nur mit 5,8 bewertet. Hauptgrund ist vor allem das niedrige Durchschnittseinkommen: Das beträgt pro Kopf gerade mal etwas mehr als 19 000 Euro netto im Jahr. Die Sparmaßnahmen haben dem Land zwar wieder auf die Beine geholfen, aber sie stecken der griechischen Bevölkerung noch immer in den Knochen, sagt Jens Bastian. Noch immer müsse jeder „seinen Beitrag leisten“, meint er. „Das ist ein Erbe der Krisenjahre.“