München – Die Renken-Katastrophe vom Staffelsee zeigt sich Anfang Oktober 2023. Bernhard Gum (50), Chef der Fischereifachberatung des Bezirks Oberbayern, bekommt damals einen Anruf von Fischern. „Ihr müsst kommen“, sagen sie, „bei uns verenden die Renken.“ Biologe Gum rückt mit seinem Team an, misst Sauerstoffgehalt und Temperatur, kann aber nichts mehr tun. Hunderte Renken sind tot, obwohl sie nicht krank waren.
Was war passiert? Bernhard Gum sagt, dass es in den Wochen vor dem Anruf sehr warm war, auch nachts – die milden Temperaturen haben den See erwärmt. Messreihen aus dem Staffelsee zeigen, dass die Wassertemperatur im Herbst 2023 bis zu drei Grad höher ist als im Vorjahreszeitraum. „Wir sind mittendrin im Klimawandel“, sagt Gum. An der Wasseroberfläche 20 Grad, in acht Metern Tiefe noch 17 Grad und am Grund wegen der Wärme kein Sauerstoff mehr. Die Renken, die es kühl mögen, schwimmen auf der Suche nach Futter und Sauerstoff dicht gedrängt an der Wasseroberfläche des Staffelsees. Das freut Kormorane, ein reichlich gedeckter Tisch, einfache Beute – die Jagd setzt die Renken, wichtigster Fisch in den großen oberbayerischen Seen, zusätzlich unter Druck. Eine fatale Kombination.
Das Renkensterben vom Staffelsee ist nur ein warnendes Beispiel, das Bernhard Gum in seinen Fischereibericht für 2023 aufgenommen hat. Der Klimawandel setze den oberbayerischen Fischbeständen an allen Seen massiv zu, sagt er. Das liest er auch an den Erträgen der Fischer ab. Zappelten am Chiemsee 2022 noch 90 Tonnen Fisch in den Fangnetzen, waren es 2023 nur noch 74 Tonnen. Auch am Starnberger See gibt es einen deutlichen Rückgang. „Und am Ammersee sind die Erträge in den letzten fünf Jahren so gering, dass es schlechter kaum mehr geht“, sagt Gum. Vor 20 Jahren seien es 60 bis 80 Tonnen gewesen oder auch mal 100 – 2023 nur noch 12,7 Tonnen. Die Gründe sind vielfältig: Der Ammersee liegt vergleichsweise niedrig, erwärmt sich dadurch schneller. Das kurbelt wiederum das Wachstum giftiger Blaualgen an. Auch am Simssee im Kreis Rosenheim gibt es immer wieder Probleme mit Blaualgen. Das hat wiederum Auswirkungen auf den Sauerstoff- und Nährstoffgehalt im See – und auf die Fische.
Der Experte sagt auch, dass die Ertragszahlen nicht überbewertet werden dürfen. Denn der Fangaufwand, den die Fischer betreiben, sei nie gleich. Das bestätigen die Praktiker: Thomas Lex (67) zum Beispiel, Chiemseefischer in sechster Generation, seine Fischsemmeln auf der Fraueninsel sind berühmt. „Wir fangen schon noch gut“, sagt er, gerade kommt er vom See. Wichtig sei, die Netze täglich zu versetzen. Zuchtfische müsse er bislang nicht zukaufen. Manche Kollegen machen das aber, weil sie selber nicht mehr genug fangen, bestätigt er.
Und Bernhard Ernst (50), der mit seiner Ammerseefischerei in Utting eine Familientradition seit 1625 weiterführt, sieht auch positive Entwicklungen: nämlich eine höhere Wertschätzung der Fische. Während der Fang aus dem Ammersee vor 15 Jahren noch ausschließlich in den Großhandel ging, wird er jetzt direkt vermarktet, ab Haus oder in den Restaurants am See. Das ist lukrativer und fühlt sich für die Fischer auch besser an. Aber klar: Leichter ist es nicht geworden in den letzten Jahren.
Nicht nur den großen Seen merken Experten den Klimawandel an – auch kleine Fließgewässer sind beeinträchtigt. Bei Pipinsried zum Beispiel fiel 2022 die Ilm trocken. Dadurch hatte die ohnehin sehr seltene Bachmuschel dort keine Chance mehr. „Im Kreis Dachau war das das letzte Vorkommen, die hat man de facto verloren“, sagt Bernhard Gum.
Der Klimawandel ist die eine Bedrohung für Oberbayerns Gewässer und Fischpopulation – die andere ist pelzig, sieht ganz niedlich aus und hat großen Appetit. Der Fischotter. Der richtet in Bayern immer mehr Schaden an, 2023 waren es mit 2,7 Millionen Euro fast doppelt so viel wie 2020 (siehe Interview unten).
Leidgeprüft ist zum Beispiel Florian Persch, der die Fischzucht Thalhamer Mühle bei Amerang (Kreis Rosenheim) betreibt. Auf Kameras sieht er, dass der Fischotter sich ständig um seine Teiche herumtreibt. Zu jeder Uhrzeit, oft mehrere. Täglich findet Persch halb gefressene Fische: „Der Fischotter lebt im Überfluss, er holt sich nur noch das, was er am liebsten mag.“ Etwa 1,5 Kilo frisst der Fischotter am Tag. Persch hat letztes Jahr 61 000 Euro Schaden gemeldet, im Vorjahr waren es noch 31 000 Euro. „Wenn das so weitergeht, geht das nicht mehr lange gut“, sagt er, auch wenn er gut die Hälfte erstattet bekommt. Räubert der Fischotter in seinen Teichen, hat das auch Auswirkungen auf die Fischerei. Denn immer öfter kaufen Fischer bei Persch ein, um Nachwuchs in die gebeutelten Flüsse und Seen einzusetzen. Und auch vom nahen Chiemsee spürt der 40-Jährige eine steigende Nachfrage – „die kaufen Saiblinge zu, verarbeiten und verkaufen sie dann, weil sie selbst nicht genug fangen“.
Der Fischereiverband Oberbayern, der 38 000 Mitglieder vertritt, bestätigt den Rückgang der Erträge. Präsident Maximilian Voit stellt zudem fest, dass es immer schwieriger wird, nicht-gewerbliche Pächter für Gewässer zu finden: „Alles, was die dort einsetzen, ist Futter für Fischotter und andere Predatoren“, sagt er. Und anders als professionelle Fischzüchter bekommen Vereine den Schaden, den der Fischotter anrichtet, nicht ersetzt. Doch Ehrenamtliche seien wichtig für Arterhalt und Artenschutz. Auch in den großen Seen.