Beirut – Michael Bauer sitzt für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Libanon. Wir haben ihn zum Interview in der Hauptstadt Beirut erreicht.
Herr Bauer: Bis zu zwei Millionen Syrer sollen in den Libanon geflüchtet sein. Das Land hat selber nur rund 5,6 Mio. Einwohner. Das dürfte zu Spannungen führen …
Ja. Im Libanon kommt hinzu, dass Identitätsfragen omnipräsent sind. Sie haben Muslime, Christen, Drusen. Christen und Muslime sind wieder unterteilt in viele Gruppen. Politik und Gesellschaft sind entlang dieser konfessionellen Linien organisiert. Die Präsenz von 1,5 bis zwei Millionen überwiegend sunnitischer Syrer verändert die demografische Situation.
Hat der Staat denn keine Strukturen geschaffen?
Nein, der Staat hat weitgehend versagt und lange Zeit versucht, das Problem zu ignorieren. Sie sehen an den Rändern der Felder provisorische Lager, in denen mal zwei, mal 30 syrische Familien leben. So ist das über die gesamte Bekaa-Ebene. Es gibt keine Auffanglager, in denen die Syrer koordiniert versorgt werden. Das schafft Probleme mit den Einheimischen.
Wie ist denn das Verhältnis des Libanon zu Syrien?
Syrien hat die Souveränität des Libanon nie wirklich anerkannt. Das Land war ein Akteur im libanesischen Bürgerkrieg und danach bis 2005 eine Besatzungsmacht, die den Libanon ausgebeutet und Oppositionelle beseitigt hat.
Das spielt auch heute noch eine Rolle bei der Haltung vieler Libanesen gegenüber den syrischen Flüchtlingen. Man muss aber wissen, dass es schon immer viele Syrer im Libanon gab, als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder im Bausektor.
Die Stimmung soll nun aber am Kippen sein.
Die Lage verschärft sich – auch vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise. Die libanesische Währung hat in den vergangenen vier Jahren weit über 90 Prozent an Wert verloren. Die Krise führt dazu, dass Libanesen in Jobs gehen müssen, die sie früher nicht gemacht hätten. Das führt zu einem Konkurrenzkampf mit den Syrern. Die soziale Situation ist daher angespannt. Und es ist ein Leichtes für Populisten, die Syrer zum Sündenbock für vieles zu machen.
Wie ist die Situation der syrischen Kinder?
Die Situation der Kinder ist in jedem Fall dramatisch. Wir steuern auf eine verlorene Generation zu.
Die Münchnerin Jacqueline Flory baut Schulen in den Camps. Sie sagt, es werde immer schwieriger.
Das kann ich mir vorstellen. Die Ablehnung, die den Syrern entgegenschlägt, wirkt sich auch auf die internationalen Helfer aus, denen unterstellt wird, dass die Syrer nur im Libanon seien, weil sie hier internationale Unterstützung und Geld bekämen. Das halte ich nicht für stichhaltig, da Syrien unter Diktator Assad kein sicherer Ort ist. Die Männer müssen fürchten, auf unbestimmte Zeit zum Militär eingezogen zu werden. Viele haben in Syrien auch alles verloren. Man kann diese Menschen nicht einfach in Laster setzen und zurückfahren.
Dass der Bürgerkrieg bald endet, ist unwahrscheinlich. Gibt es keine Lösung?
In Syrien überlagern sich verschiedene Konflikte – inner-syrische, regionale und internationale. Mein Ansatz wäre: Mit welchen lokalen Akteuren kann man zusammenarbeiten? Nicht mit Terroristen natürlich, aber vielleicht mit etablierten Stammesstrukturen. So könnte ein langsamer Prozess in Gang kommen. Aber eine schnelle Lösung wird es nicht geben. Das sehen auch die Libanesen. Das Problem betrifft im Übrigen alle Nachbarländer Syriens. Zumal das Assad-Regime die Flüchtlinge gar nicht zurückhaben will. Uns muss klar sein: Die Lage braucht internationale Unterstützung, humanitäre Hilfe, vor allem aber auch politisches Engagement.
Deutschland hat selber fast eine Million Syrer aufgenommen.
Der Nahe Osten ist unsere Nachbarschaft, die Distanzen sind nicht so weit. Der Fokus muss deshalb auf der Versorgung der Flüchtlinge vor Ort liegen. Zumal wir in Europa mit der Ukraine aktuell noch andere Flüchtlingsströme zu bewältigen haben.
Zum Israel-Konflikt: Wie ist die Stimmung in Beirut?
Man schaut mit einer gewissen Anspannung darauf, was sich im Süden an der Grenze zu Israel abspielt. Aber gerade Beirut ist dafür bekannt, auch in Krisen weiterzumachen. Es ist nicht so, dass die Leute zu Hause sitzen.
Stehen die Menschen alle hinter der Hisbollah?
Nein, ganz im Gegenteil. Die Hisbollah darf nicht mit dem Libanon gleichgesetzt werden. Die Organisation ist ein Staat im Staate. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt die Hisbollah als eine Art Besatzungsmacht wahr, die vom Iran unterstützt wird. Die Hisbollah nimmt zwar für sich in Anspruch, den Libanon zu verteidigen, ist aber faktisch dafür verantwortlich, dass Libanon droht, in einen Krieg zu geraten, den die Menschen hier im Land nicht wollen und den sich das Land auch nicht leisten kann. Diese öffentliche Meinung kann auch der Hisbollah nicht völlig egal sein.
Am Ende entscheidet also die Hisbollah über Krieg?
Die libanesische Regierung gibt selber zu, dass es nicht sie ist, die über Krieg und Frieden entscheidet, sondern die Hisbollah-Miliz. Die Auseinandersetzungen zwischen der Hisbollah und der israelischen Armee haben mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht. Gleichzeitig engagieren sich die USA, Frankreich und auch Deutschland, eine Verhandlungslösung zu finden. Ich denke, dass auch Israel und die Hisbollah einer solchen Lösung nicht abgeneigt wären.
Interview: Wolfgang Hauskrecht