Gaißach – Wer von Bad Tölz aus nach Gaißach fährt, passiert zunächst ein großes Schild. Darauf steht in geschwungenen Buchstaben „Herzlich Willkommen“. Außerdem zieren die Jahreszahlen „817“ und „2017“ sowie die Worte „1200 Jahre Gaißach“ die Tafel. Hinter dem Schild verläuft eine ein Kilometer lange Straße mit Alpenpanaroma, umsäumt von grünen Wiesen. Wer diese entlangfährt, hat eines immer im Blick: den Zwiebelturm der Kirche St. Michael. Bis vor einigen Jahren konnten die Gaißacher nach dem Kirchgang in der Wirtschaft daneben, dem Jägerwirt, zusammensitzen. Ende 2017 schlossen die Betreiber diese jedoch aus persönlichen Gründen. Seitdem fehlt den rund 3200 Bürgern ein Veranstaltungssaal.
Hochzeiten, Faschingsfeiern, Vereinsfeste: Mit dem Sterben eines Wirtshauses stirbt auch ein Stück weit das Dorfleben. In Gaißach finden seit 2018 Veranstaltungen in der Turnhalle oder in der Gaststätte Isarwinkel statt, die allerdings bereits in Bad Tölz ist. „Da gehen dann schon viele gar nicht mehr mit. Der Jägerwirt war alles, was dörfliches Leben abdeckt“, sagt Instrumentenbauer Hans Krinner. Gemeinsam mit dem Bauingenieur und Gemeinderat Thomas Gaisreiter und den Zimmerern Tom Haslinger, Balthasar Bauer, Franz Rest jun. und Franz Rest sen. will er eine Genossenschaft gründen, um den Reservewirt zu bauen.
Es ist ein bunter Haufen, der vor dem ehemaligen Jägerwirt in der Sonne sitzt und von seinen Plänen erzählt. Die Idee sei vor Längerem entstanden, schließlich könne es so nicht weitergehen, sagen sie. Die Lücke, die der Jägerwirt hinterlasse, müsse geschlossen werden. „Die Grundidee war, wieder einen Saal zu haben. Die Genossenschaft ist ein Mittel zum Zweck“, erklärt Gaisreiter. Und warum der Name Reservewirt? Es brauche eine Reserve, da es die Wirtschaft nicht mehr gebe, sagt Bauer. Außerdem müssten alle Bürger und die Gemeinde selbst gewissermaßen an ihre Reserven gehen.
Um einen Veranstaltungssaal für ein ganzes Dorf zu bauen, ist ein großer Batzen Geld nötig. Die Initiatoren schätzen die Baukosten auf 1,5 Millionen Euro. Die Gemeinde will 750 000 Euro beisteuern. Gaisreiter: „Derzeit haben wir um die 550 000 Euro. Das schaut zwar nicht schlecht aus, dennoch fehlen noch 200 000 Euro.“ Am 23. Februar war die erste Infoveranstaltung zum Reservewirt in der Turnhalle der Grundschule. Aufgrund des hohen Andrangs mussten die Bürger spontan in die Aula umziehen. Seitdem wurden circa 450 Mitgliedschaftsanträge eingereicht. Jedes Mitglied muss einen Genossenschaftsanteil von 250 Euro zahlen. Der Stichtag für die Anträge ist der 17. März.
Erste Entwürfe für das Gebäude gibt es bereits. Bauherr wäre die Genossenschaft selbst. Sie würde den Grund von der Gemeinde pachten. Das Grundstück, das derzeit noch voller Kies ist, ist 1500 Quadratmeter groß und liegt direkt zwischen dem ehemaligen Jägerwirt und dem neuen Friedhof. Passend zu Gaißach soll das Gebäude im Almhüttencharakter gestaltet sein – mit einem Maß von 38 mal 30 Meter. Geplant sind unter anderem ein Büro, Küche, Stüberl, Technikraum, Schänke und eine 55 Quadratmeter große verschiebbare Bühne. Faschingsbälle mit bis zu 500 Besuchern oder Hochzeitsfeiern für rund 200 Gäste sollen darin stattfinden können. Aber auch Konzerte mit bis zu 300 Zuschauern soll es geben.
Problematisch ist noch der Lärmschutz, da der Jägerwirt abgerissen wird und dort neue Wohnungen gebaut werden. Aber: „Zum Schallschutz gab es schon Vorbesprechungen, und es gibt Lösungen“, sagt Gaisreiter. Die Bühne sei extra auf der entgegengesetzten Seite geplant und die Fenster in Richtung der Wohnungen könnten nicht geöffnet werden.
Und das Geschäftsmodell? Zunächst würde die Genossenschaft mit zwei Caterern für Veranstaltungen einsteigen, erklärt Krinner. Bürgermeister Stefan Fadinger (CSU/Freie Wählergemeinschaft) ergänzt: „Wenn sich jemand findet, kann das Gebäude auch gerne bewirtet werden.“ Er sieht das Projekt als letzte Chance für ein Dorfzentrum in den nächsten Jahren und ist sehr dankbar.
Erwirtschaftet der Reservewirt einen Gewinn, würden die Mitglieder diesen bei der Jahresversammlung als Getränke- und Essensgutscheine statt einer Auszahlung erhalten. „Die Genossenschaft ist nicht gewinnmaximierend, sondern zum Erhalt der Tradition und des Dorflebens“, erklärt Rest jun., und wenn es mal nicht gut läuft: „Grundsätzlich haftet jeder, der einen Anteil hat.“
Der nächste Schritt sei nun, die Genossenschaft zu gründen, so die Initiatoren. Begleitet würden sie vom Genossenschaftsverband. „Wenn es gut geht, können wir schon nächstes Jahr mit dem Bau beginnen“, sagt Fadinger. Falls am Ende Geld fehlt, wollen die Sechs nicht aufgeben, sondern das Projekt trotzdem stemmen. Jetzt heißt es Daumen drücken. Und vielleicht gesellt sich neben das Willkommensschild bald ein Wegweiser in Richtung Reservewirt.