München – Als Maria Brand vor einigen Monaten ausgemistet hat, landete ein dicker Stapel Papier in der Tonne. Er stammte aus dem Jahr 2016. Damals hatten sie und andere Asylhelfer genau dokumentiert, was schief lief mit dem Kommunalpass, den Erding als einziger Landkreis als Bezahlkarte für Flüchtlinge nutzte. „Ich hatte wirklich gehofft, dieses anstrengende Kapitel hätten wir hinter uns gelassen“, sagt die 77-Jährige. Mit Grauen erinnert sie sich an diese Zeit, erzählt sie. Immer wieder standen Flüchtlinge mit der Karte an einer Kasse und die Bezahlung funktionierte nicht. Vor allem in ländlichen Regionen habe es Probleme gegeben. Sie selbst war manchmal dabei, musste Geld auslegen und Frust abfangen.
„Das System hat damals Ausgrenzung bedeutet“, betont sie. Die Geflüchteten konnten mit dem Kommunalpass etwa 150 Euro pro Monat in bar abheben. „Das hat gerade so für Bustickets, den Pausenverkauf in der Schule, ein Getränk beim Vereinsfest, ein gebrauchtes Fahrrad oder andere Kleinigkeiten gereicht, die man nicht mit Karte bezahlen kann“, berichtet Brand. Viele Flüchtlinge würden Flohmärkte oder Secondhand-Läden nutzen, um günstig einzukaufen. Dort sei Kartenzahlung meist nicht möglich. „Und sobald sie Verwandte oder Freunde in einem anderen Landkreis besucht haben, konnten sie mit ihrer Karte nicht mehr bezahlen.“
Im Landratsamt kamen die Asylhelfer damals mit ihrer Kritik nicht durch. Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) sagt heute rückblickend, das Kommunalpass-System habe in Erding gut funktioniert.
Ab heute wird es in vier Regionen Bayerns eine ganz ähnliche Karte für Asylbewerber geben. In den Kreisen Fürstenfeldbruck, Traunstein und Günzburg sowie in der kreisfreien Stadt Straubing bekommen Geflüchtete kein Bargeld mehr, sondern eine Bezahlkarte. Sie funktioniert wie eine Mastercard. Pannen wie in Erding soll es nicht mehr geben, verspricht die Firma PayCenter aus Freising, die die Karte entwickelt hat. Tester seien im Vorfeld bei verschiedenen Händlern, Supermärkten, Drogerien und Tankstellen einkaufen gegangen, um zu prüfen, ob das System funktioniert, berichtet Geschäftsführer Peter Schönweitz. Auch mit den Sachbearbeitern in Landratsämtern habe das Unternehmen Kontakt aufgenommen. „Sie sollen mit der Bezahlkarte entlastet werden.“ Denn die Geflüchteten müssen sich das Bargeld künftig nicht mehr abholen, es wird monatlich auf die Karte gebucht. Wird eine Karte gestohlen oder geht verloren, kann sie sofort gesperrt werden, erklärt Schönweitz. Außerdem könne das Innenministerium anpassen, was mit der Karte bezahlt werden kann – zum Beispiel ein Mitgliedsbeitrag an Vereine oder das 49-Euro-Ticket.
In den vier Testregionen sollen nun erste Erfahrungen gesammelt werden. Bayernweit soll die Bezahlkarte bis Ende Juni eingeführt werden – bis dahin könne noch nachgeschärft werden, sagt Innenstaatssekretär Sandro Kirchner (CSU) gestern. Zunächst soll die Bezahlkarte auf die Postleitzahl der jeweiligen Pilotregion reduziert werden. Geflüchtete im Landkreis Fürstenfeldbruck können damit also nicht in einem Supermarkt des Nachbarlandkreises bezahlen.
Bayern ist nach Hamburg das erste Bundesland, das diesen Schritt geht. Und das konsequenteste, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gestern betont. Die abbuchbare Bargeldsumme ist auf 50 Euro pro Monat reduziert. „Wir glauben, damit kann man klarkommen.“ Außerdem sind keine Überweisungen, keine Online-Käufe und kein Glücksspiel damit möglich. Der Geldhahn für Schlepper und Schleuser werde deutlich reduziert, sagt Söder. Vor allem hofft die Politik darauf, dass durch die Bezahlkarte Fluchtanreize nach Deutschland gemindert werden. Der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin (CSU) – auch Präsident des Bayerischen Landkreistags – ist überzeugt, dass das Bargeld einer der Faktoren ist, die Flüchtlinge nach Deutschland zieht. „Aus langjähriger Erfahrung weiß ich, dass Geld nicht nur bei den Schleusern landet, sondern auch in die Heimatländer überwiesen wird.“
Viele Verbände und Flüchtlingsorganisationen bezweifeln das. „Etwa 75 Prozent aller Überweisungen ins Ausland gehen in andere EU-Länder“, betont Diakonie-Präsidentin Sabine Weingärtner. „Nur ein kleiner Teil, rund zwölf Prozent, geht in die Heimatländer der Geflüchteten.“ Und Überweisungen ins Ausland spielten erst dann eine Rolle, wenn die Asylbewerber eine Arbeit und ein gesichertes Einkommen haben. „Die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind viel zu gering, um größere Beträge in die Heimat zu schicken.“
Wilhelm Dräxler, Referent für Migration bei der Caritas und Integrationsreferent im Fürstenfeldbrucker Stadtrat, bestätigt das. „Sollte es jemand schaffen, sich von dem kleinen Taschengeld 50 Euro abzusparen, um sie an seine Familie zu schicken, ist das doch eine Form der Entwicklungshilfe und besser, als wenn sich die Familien auch noch auf den Weg machen.“ Das Argument, von den Asylbewerberleistungen würden Schlepper bezahlt, kann Dräxler nicht nachvollziehen. „Die Schleuser arbeiten auf Vorkasse, sie sind längst bezahlt, wenn die Menschen bei uns ankommen.“ Aus Erfahrung weiß er aber, wie wichtig es für Geflüchtete ist, sich einen Anwalt als Rechtsbeistand nehmen zu können. „Ich hoffe, dass die Bezahlung dafür mit der Karte per Einzugsermächtigung funktionieren wird.“
Die Erdinger Asylhelferin Maria Brand wird gespannt beobachten, wie der neue Bezahlenkarten-Versuch in den vier Pilotregionen läuft. „Selbst wenn das Bezahlen diesmal reibungsloser funktioniert, die Bezahlkarte macht die Integration der Menschen nicht leichter“, findet die 77-Jährige. Sie engagiert sich seit 33 Jahren in der Asylhilfe und hat sehr viele Fluchtgeschichten gehört. „Die allermeisten Menschen verlassen ihre Heimat wegen der menschenrechtlichen Situation – nicht wegen 460 Euro Asyl-Leistungen.“ Sie fürchtet, dass sie und die anderen Helfer spätestens im Sommer wieder viel erklären und Frust abfangen müssen, wenn die Karte bayernweit eingeführt wird. Nur einen Unterschied gibt es zum Jahr 2016, sagt sie. „Von den vielen hundert Asylhelfern, die wir in Erding hatten, sind nicht viele übrig geblieben. Auch wegen solcher Regelungen. Der Frust war zu groß.“