München – Das Geschwistersein ist auch Gegenstand der Forschung. Zum aktuellen Stand nennt die Persönlichkeitspsychologin Julia Rohrer von der Universität Leipzig drei wesentliche Erkenntnisse. Erstens gebe es kaum eine empirische Evidenz dafür, dass die Geburtenreihenfolge systematisch die eigene Persönlichkeit im Erwachsenenalter beeinflusse. „So sind Erstgeborene später nicht im Schnitt gewissenhafter, Sandwichkinder später nicht risikobereiter. Nur bei der Intelligenz zeigen sich sehr kleine Unterschiede: Erstgeborene sind im Schnitt ein kleines bisschen intelligenter.“ Erstgeborene erreichten auch mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit höhere Bildungsabschlüsse.
Zweitens, erklärt Rohrer, existiere keine empirische Evidenz für systematische Effekte des Geschwistergeschlechts auf die Persönlichkeit. „Mädchen, die mit einem Bruder aufwachsen, sind später im Schnitt weder weniger risikobereit noch risikofreudiger.“ Doch das Geschwistergeschlecht spiele eine Rolle für den Lebensweg: „So schlagen Mädchen, die mit Brüdern aufwachsen, später etwas wahrscheinlicher traditionelle Lebenswege ein als Mädchen, die nur mit Schwestern aufwachsen.“ Eine Erklärung sei, dass Eltern, wenn Mädchen und Jungen zusammen aufwüchsen, sich eher „gendertypisch“ die Erziehung teilten: „Mädchen verbringen mehr Zeit mit der Mutter, Jungs mehr Zeit mit dem Vater.“
Drittens sagt Rohrer: „Geschwister sind oft unterschiedlich in ihrer Persönlichkeit. Das mag überraschen, da sie sowohl Gene teilen als auch in derselben Familie aufwachsen.“ Während die (geteilten) Gene durchaus einen Effekt auf die Persönlichkeit hätten, sehe es nach aktuellem Datenstand so aus, als ob das gemeinsame Aufwachsen in derselben Familie kaum die Ähnlichkeit erhöhe. „Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Umwelteinflüsse, die außerhalb der Familie liegen, letztlich relevanter sind für die Persönlichkeit. Es kann aber auch sein, dass dieselbe Familie für unterschiedliche Geschwisterkinder eine sehr unterschiedliche Umwelt darstellt.“
In Sachen Bildung hatte das Max-Planck-Institut eine Studie in Schweden gemacht. Erstgeborene wählten demnach für ihr Studium häufiger angesehenere Fächer wie Medizin oder Ingenieurwesen. Nachfolgende Geschwister verdienten langfristig weniger. Ein Grund sei, dass Eltern Erstgeborenen mehr Fürsorge zukommen lassen und auch mehr in sie investieren. So lag in der Studie die Wahrscheinlichkeit, Medizin zu studieren, bei Zweitgeborenen um 27 Prozent, bei Drittgeborenen um 36 Prozent niedriger als beim erstgeborenen Geschwister.