Markus Söder (CSU) beißt in eine „McRib“.
Lars Klingbeil (SPD) beim Ukulelespielen.
Ricarda Lang (Grüne) präsentiert ihr Brot-Ranking.
Robert Habeck (Grüne) macht Katzen-Klima-Content.
Friedrich Merz (CDU) gesteht seine Liebe für Entenfleisch.
Strack-Zimmermann (FDP) bei der Kartoffel-Challenge.
Die Nutzer sind skeptisch: Macht der Kanzler jetzt wirklich TikTok? Olaf Scholz beruhigt – das passiere alles auf freiwilliger Basis. © Screeshots TikTok
München – Mehr als eine Million Menschen dürften jetzt wissen, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann keine Gnocchis mag („sieht ganz schrecklich aus“) – dafür aber umso mehr auf Kartoffelchips steht. „Ordentlich ungesund, immer rein in die Figur“, sagt die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl auf TikTok, während ihr Pommes, Kroketten und Co. im Wechsel auf der Stirn eingeblendet werden. Zwei Monate zuvor hatte die Verteidigungsexpertin die chinesische Plattform noch öffentlich abgelehnt – nun macht sie beim Kartoffel-Ranking-Trend mit.
„Ich bin immer noch nicht der größte Fan von TikTok“, erklärt sie unserer Zeitung. „Für mich ist aber auch klar: Man darf TikTok nicht den extremen Rändern und übler Propaganda der AfD überlassen.“ Und zur Ehrlichkeit gehört auch: „Bei dieser Europawahl darf man erstmals ab 16 wählen. Und diese Zielgruppe erreicht man nun einmal am besten über TikTok.“
Als Politiker auf TikTok Quatsch machen: Für die einen ist das nahbar, authentisch – und anderen wiederum zu blöd. „Ich persönlich halte da nichts von“, sagt CDU-Politiker Armin Laschet am Sonntagabend im Interview bei „Bericht aus Berlin“. Politiker hätten seriös zu sein – und sollten nicht jeden Trend auf Social Media mitnehmen. „Da sind auch viele Albernheiten dabei, das ist ein Medium der jungen Leute. Politiker sollten nicht so tun, als wären sie 16.“
Das sehen allerdings längst nicht mehr alle in der Spitzenpolitik so, auch nicht Laschets Parteichef. Friedrich Merz hat inzwischen 83 Videos auf TikTok hochgeladen – er nimmt seine Follower mit zu Reden in den Bundestag, zu Treffen mit Macron in Paris, zum Tanzen mit seiner Ehefrau oder erzählt ihnen, was er am liebsten isst („Ich würde gerne ein Stück Entenfleisch essen und dazu Rotkohl mit Kartoffelpüree“).
Generell scheinen viele Spitzenpolitiker das Thema Essen für sich als Teil ihrer Polit-Strategie entdeckt zu haben. Markus Söder, der auf TikTok noch mal gut viermal so viele Menschen wie Merz erreicht, postet regelmäßig sein Essen in den Sozialen Netzwerken – dann meist ganz bürgernah mit Döner oder Burger von McDonald‘s. In einem anderen Video klagt er dann darüber, dass er beim Shoppen immer zu enge Hosen in die Hand gedrückt bekommt.
Auch der Kanzler ist jetzt auf der chinesischen Plattform aktiv. Auf seinem neuen Profil „teambundeskanzler“ macht er aber weniger sich selbst zum Star als seine Jahrzehnte alte, mittlerweile schon ziemlich abgewetzte Aktentasche. „Die hat mich eigentlich überallhin begleitet, auf all meine Reisen“, sagt Olaf Scholz in einem Video. „Als Bundeskanzler und auch früher in all den Ämtern, die ich hatte.“ Auf seinen Videos sieht man dann seine Reisen aus Perspektive der Aktentasche: wie sie ins Flugzeug steigt, wie sie ihn durch Peking begleitet oder was er so mit ihr rumschleppt (Akten). Die Resonanz der Nutzer ist oft positiv: „Ich habe noch nie Olaf Scholz so viel reden hören“, kommentiert einer. Und: „Irgendwie kommt er mir langsam bisschen sympathischer vor“.
Der Politikwissenschaftler Bendix Hügelmann ist Experte für politische Kommunikation und berät Politiker und Parteien für ihren Online-Auftritt. „Politik sollte dort stattfinden, wo Menschen ihre Zeit verbringen“, sagt er. „Und da kommt man an TikTok mit mehr als 21 Millionen Nutzern in Deutschland kaum vorbei.“ Die Plattform sei schon lange kein Medium allein für Jugendliche mehr, sagt Hügelmann. „Vor ein paar Jahren schien TikTok noch wie ein digitaler Zirkus, ein Ort für Albernheiten und Tanz-Choreografien. Dabei haben vor allem die Rechtspopulisten schon vor einiger Zeit festgestellt, dass auch politische Inhalte mit einer sehr hohen Reichweite belohnt werden.“
Die AfD ist unter allen Parteien der Platzhirsch auf TikTok. Laut einer Analyse für das ZDF erreicht die Partei mehr Menschen auf der Plattform als alle anderen Parteien. Im vergangenen Jahr wurde jedes Video der Bundestagsfraktion im Schnitt 430 000 Mal angesehen – die FDP kam hingegen nur auf 53 000 Impressionen, die restlichen Parteien lagen noch weiter zurück. Zu den TikTok-Stars der AfD gehört zum Beispiel Spitzenkandidat Maximilian Krah, der wegen eines Spionageskandals derzeit massiv unter Druck steht. „Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos, wähle nicht die Grünen“, sagt er in einem Video mit mehr als anderthalb Millionen Klicks. „Und vor allem, lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts.“ Inzwischen hat TikTok sein Profil gedrosselt, weil er gegen nicht näher bekannte Richtlinien verstoßen haben soll.
Auch AfD-Parteichefin Alice Weidel erfreut sich auf TikTok großer Beliebtheit. Ihre Videos erreichen regelmäßig hunderttausende Nutzer. Dort präsentiert sie sich ihren Fans grinsend, lässig und selbstbewusst. In den Kommentaren wird sie oft als „beste Frau“ und „Kanzlerin der Herzen“ hochgelobt.
Laut Kommunikations-Experte Hügelmann habe die AfD so einen großen Erfolg auf TikTok, weil sie die Plattform schlicht früher für sich entdeckt hat als andere Parteien. „Ich glaube nicht, dass da eine besondere Strategie hintersteckt – die AfD ist einfach ohne Gegenangebote in diesen Raum gegangen.“ Für die Politiker anderer Parteien sei es jetzt schwierig, da aufzuholen. „Die AfD hat sich das schließlich nicht über Nacht aufgebaut.“ Zuletzt habe Hügelmann vermehrt Anfragen von Politikern bekommen, die kurz vor der Europawahl ihren Auftritt auf TikTok verbessern wollten. „Viele sehen das noch als eine Art Kampagne, die man eben innerhalb von drei Monaten aufbauen kann. Die AfD hingegen hat erkannt, dass TikTok ein Instrument für langfristige Kommunikation sein kann.“
Marcus Bösch, Forscher an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, meint, es sei für die anderen Parteien noch nicht zu spät, um den Vorsprung der AfD auf TikTok aufzuholen. „Viele Politiker haben nun verstanden, dass sie mit persönlichen Inhalten bei Wählern punkten können“, sagt der Kommunikationswissenschaftler. Dabei komme es gar nicht so sehr darauf an, wie professionell die Videos sind. „Ob man wie Karl Lauterbach einfach unbeholfen seine Selfie-Kamera auspackt oder ein ganzes Team wie beim Bundeskanzler dahintersteht: Wichtig ist nur, dass sich die Nutzer mit den Politikern identifizieren können.“ Für die Bundestagswahl 2025 werde Politik auf TikTok noch mal besonders relevant, meint Bösch. Das erfolgreichste Video von Olaf Scholz wurde fast zehn Millionen Mal angesehen – da gehe es inzwischen um Zahlen, die ein Wahlergebnis massiv beeinflussen könnten.