Finger weg von TikTok, wenn man die Plattform nicht versteht? Oder sollten Politiker erst recht Präsenz zeigen? Wir sprechen mit Julia Renner (33), sie ist Politikberaterin und Social-Media-Expertin aus München. Mit ihrer Firma „Politics and Practice“ will sie Politiker und Parteien in ihrer Social-Media-Strategie beraten, Inhalte produzieren und Politik nahbarer machen. Auf Instagram und TikTok teilt sie regelmäßig Tipps und Tricks.
Politiker auf TikTok: Ist es das Risiko wirklich wert, sich vor Hunderttausenden zum Affen zu machen?
Ob man sich da zum Affen macht oder nicht, das hat doch jeder selbst in der Hand. Es braucht Mut, um auf eine Plattform zu gehen, zu der man nicht affin ist. Aber mit einer guten Strategie kann man Inhalte so vermitteln, dass sie die Leute verstehen, die nicht in der Politik-Blase sind.
Die, die nicht in der „Blase“ der Politiker leben – genau die erreiche ich also auf TikTok?
Das sollte generell die Strategie für Social Media sein: Kontakt zu Bürgern aufbauen, die Brücke schlagen zwischen Politik und Bevölkerung, die leider in vielen Fällen verloren gegangen ist. TikTok ist nicht dazu da, die eigene Parteibasis zu bespaßen.
Was raten Sie Politikern vor dem ersten TikTok-Video? Sei authentisch?
Das auf jeden Fall. Die meisten sind nicht so nahbar, wie sie gerne wären. Das Wichtigste ist deshalb schon mal, so zu sprechen, dass man verstanden wird. Also nicht immer diese Politik-Begriffe von Anträgen oder schriftlichen Anfragen verwenden, keine Gesetzesformeln rezitieren. Follower sind undankbar, die wischen das Video weg, wenn sie etwas nicht verstehen.
Was tun, wenn ich als Typ einfach nicht zum Format TikTok passe? Also zum Beispiel ein spröder, hanseatischer, schweigsamer … Bundeskanzler bin?
Ich finde den TikTok-Auftritt des Bundeskanzlers gar nicht so schlecht. Er hat einen guten Mix aus Persönlichem und Politischen und dazu den Blick hinter die Kulissen. Ja, er ist spröde, aber er greift das selbst auf mit den Videos über seine Aktentasche, das ist schon auch lustig. Grundsätzlich ist jeder für das Format geeignet. Man muss sich eben darauf einlassen und es verstehen. Im Moment gehen viele Politiker auf TikTok und machen da das Gleiche wie vorher auf Instagram oder Facebook. Das wirkt dann nur cringe – was tun die da?
Ist es eine Altersfrage?
Überhaupt nicht. Es gibt auch Politiker über 70, die den Umgang mit TikTok beherrschen. Ich habe neulich den Begriff der „Granfluencer“ gelesen – ältere Leute, die social media erobern. Die sind manchmal sogar aufgeschlossener als die Politiker-Generation 30, 40.
Über welche Politik-Inhalte kann ich reden, über welche nicht?
Grundsätzlich über alles. Es kommt auf das Wie an: Botschaften so verpacken, dass sie von jedem verstanden werden. Das ist die Kunst daran.
Zwei konkrete Praxis-Beispiele aus Ihrer Sicht: Wer macht‘s gut und wer macht‘s schlecht?
Wer es gut macht und damit eine Zielgruppe weit über die FDP hinaus erreicht, ist der Bundestagsabgeordnete Muhanad Al-Halak. Er war einer der ersten auf der Plattform. Wer es schlecht macht, ist Karl Lauterbach – es wirkt einfach komisch, denn man merkt sehr stark, dass er nicht versteht, wie das Medium funktioniert. Stichwort: wackelige Selfie-Videos. Das schreit förmlich nach Boomer.