Jubel brach bei Gegnern von Donald Trump aus. © afp
Treueschwur: eine Anhängerin nach dem Urteil. © EPA
Mit versteinerter Miene verlässt Donald Trump nach dem Urteil das Gericht in Manhattan. © Steven Hirsch/afp
New York – Als Donald Trump vor Gericht erschien, wirkte er Beobachtern zufolge erstaunlich entspannt. Draußen hatten sich Anhänger und Gegner des Republikaners versammelt. Alles deutete darauf hin, dass die Jury an diesem Tag nicht mehr zu einem Urteil kommen würde – als Richter Juan Merchan den Saal betrat und anderes verkündete. Schlagartig versteinerte sich Trumps Miene, sein Blick ging geradeaus. Eine halbe Stunde später stand der Vorsitzende der Jury auf, bekam alle 34 Anklagepunkte vorgelesen und antwortete 34 Mal: „Schuldig.“
Schuldig – ein historischer Moment für die Vereinigten Staaten von Amerika. Im negativen Sinne. Zum ersten Mal überhaupt wird ein ehemaliger Präsident in einem Strafprozess verurteilt. Das große Finale steht aber noch aus. Das Strafmaß soll erst am 11. Juli verkündet werden. Von einer Geld- bis zu einer mehrjährigen Haftstrafe ist alles möglich. Trump-Anwalt Todd Blanche kündigte bereits an, in Berufung zu gehen. Alles deutet darauf hin, dass der Fall am Ende vor dem höchsten US-Gericht, dem Supreme Court, landen wird – lange nach der Wahl am 5. November.
■ Urteil verhindert Kandidatur nicht
Was das Urteil für den 77-jährigen Trump bedeutet, darüber wird nicht nur in den USA spekuliert. Erst einmal nicht viel. Trump könnte sogar aus dem Knast heraus als Präsident kandidieren. Die US-Verfassung schreibt nur drei Dinge vor: Anwärter müssen qua Geburt US-Bürger und mindestens 35 Jahre alt sein und seit mindestens 14 Jahren in den USA leben. Vorstrafen spielen keine Rolle. Zudem dürfte das Urteil seine Hardcore-Anhänger kaum davon abhalten, ihn zu wählen (siehe auch Interview). Die Frage ist, welche Wirkung es auf die noch Unentschlossenen hat. Umfragen sehen Trump derzeit mit zwei Prozentpunkten vor dem demokratischen Amtsinhaber Joe Biden.
In dem Prozess ging es darum, dass Trump vor der Wahl 2016 an die frühere Pornodarstellerin Stormy Daniels 130 000 Dollar Schweigegeld gezahlt haben soll, damit sie nicht über eine angebliche Sexaffäre mit ihm plaudert – die er bestreitet. Die Zahlung ist unstrittig und auch nicht das Problem. Trump soll die Zahlung aber als Anwaltskosten getarnt und damit Geschäftsunterlagen gefälscht haben. Die Jury bestätigte nun den Vorwurf der illegalen Wahlkampf-Finanzierung in 34 Fällen.
Als Schlüsselzeuge trat mit Michael Cohen Trumps Ex-Anwalt auf, der aussagte, das Schweigegeld für Trump und mit dessen Wissen gezahlt und später als Anwaltskosten erstattet bekommen zu haben. Es sei „eine schwierige Reise“ für ihn und seine Familie gewesen, sagte Cohen nach dem Urteil. Aber die „Wahrheit ist immer wichtig“. Cohen hatte zehn Jahre für Trump gearbeitet und galt als dessen Ausputzer.
Dass auf die USA nun neue Kontroversen und ein noch erbitterterer Wahlkampf zukommen dürften, zeigte sich unmittelbar nach dem Urteil vor dem Gerichtssaal. Trump-Gegner feierten, umarmten sich. Trump-Anhänger beteuerten ihrem Idol ihre Unterstützung.
Trump selbst tat das, was er immer tut. Er erklärte sich zum Opfer. Mit hängenden Schultern verließ er kautionsfrei den Gerichtssaal – um vor der Presse auf Angriff zu schalten. Das Urteil sei eine „Schande“, der Prozess manipuliert gewesen. Das „wahre Urteil“ werde an den Wahlurnen gefällt, sagte Trump. Er sei unschuldig. „Ich kämpfe für unser Land.“ Präsident Joe Biden und dessen „Bande“ seien „krank“ und „Faschisten“.
■ Republikaner stellen sich hinter Trump
Prominente Republikaner ließen keine Bruchstelle zu Trump erkennen. Mike Johnson, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, sprach von einem „beschämenden Tag“ und falschen Urteil. Der Hardliner Jim Jordan, auch im Repräsentantenhaus, nannte das Urteil eine „Farce“. Die radikale Abgeordnete Marjorie Taylor Greene postete eine auf dem Kopf stehende US-Flagge, ein Symbol für den Sturm von Trump-Anhängern auf das Capitol 2021. Und der rechte Talkmaster Tucker Carlson orakelte, das werde Trump nicht aufhalten. „Er wird die Wahl gewinnen, falls er nicht vorher getötet wird. Jeder, der dieses Urteil verteidigt, ist eine Gefahr für Sie und Ihre Familie.“
Aber auch prominente Trump-Gegner hielten nicht hinter dem Berg. „Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan!“, sagte Oscargewinner Robert De Niro (80) bei der Premiere seines neuen Films „Ezra“. Barbra Streisand (82) nannte Trump einen „verurteilten Schwerverbrecher“, den Amerika nicht ins Weiße Haus lassen dürfe. Ähnlich äußerten sich Autor Stephen King (76), „Star Wars“-Star Mark Hamill (72), Schauspieler John Cusack (75) und Comedian Kathy Griffin (63).
Das Weiße Haus erklärte nur, man respektiere die Rechtsstaatlichkeit. Das Wahlkampfteam von Präsident Joe Biden (81) wurde konkreter. Das Urteil zeige, dass niemand über dem Gesetz stehe. Es ändere aber nichts an der Realität. „Verurteilter Verbrecher oder nicht, Trump wird der republikanische Kandidat für das Präsidentenamt sein“, schrieb das Biden-Team. Nur über die Wahlurne könne er vom Oval Office (das Büro des Präsidenten) ferngehalten werden.
Bidens Team rief alle Demokraten zu Spenden auf – weil der Schuldspruch Trump Rekordspenden bescheren werde. Die Einschätzung ist keineswegs abwegig. Trumps Team warb direkt nach dem Schuldspruch offensiv um Geld. „Ich bin ein politischer Gefangener“, hieß es auf der Spenden-Webseite des Republikaners. Und: „Ich wurde gerade in einem manipulierten Hexenjagd-Prozess verurteilt: Ich habe nichts falsch gemacht. Aber mit eurer Unterstützung in diesem Moment der Geschichte werden wir das Weiße Haus zurückgewinnen und Amerika wieder großartig machen.“
■ Identitäten der Jury bleiben geheim
Wenn Richter Merchan am 11. Juli das Strafmaß verkündet, ist Donald Trump noch nicht offiziell Präsidentschaftskandidat. Die Nominierung steht erst vier Tage später auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee an. Es gibt allerdings keinen Zweifel daran, dass Trump nominiert werden wird.
Der Prozess fand unter beispiellosem medialem Interesse in Downtown Manhattan statt. US-Medien begleiteten das Ereignis wie ein großes Sportevent und zitierten im Minutentakt aus dem Gerichtssaal, in dem keine TV-Aufnahmen erlaubt waren. Dabei wurde auch jede Regung Trumps kommentiert, der bei den Sitzungen stets anwesend war. Trump nutzte den Medienauflauf und ließ sich vor dem Gerichtssaal häufig wütend über das seiner Meinung nach politisch motivierte Verfahren aus. Die Identität der zwölf Geschworenen blieb geheim.
Trump ist noch in drei weiteren Fällen strafrechtlich angeklagt (Artikel rechts). Wann die Prozesse beginnen könnten, ist völlig offen.
MIT DPA, AFP