Schlamm und Wasser verhinderten die Weiterfahrt von diesem Parkplatz bei Reithofen im Kreis Erding. Der Hirschbach und der Weiher in Reithofen traten über die Ufer. © Feuerwehr
Ein Feuerwehrmann watet im nordschwäbischen Wertingen durch die Fluten. © dpa
Helfer retten Menschen mit einem Radlader und bringen sie über eine überschwemmte Straße in Schrobenhausen im Kreis Neuburg-Schrobenhausen. © Tschepljakow/dpa
Der Katastrophenfall wurde auch im niederbayerischen Landkreis Kelheim ausgerufen. Hier der Blick auf die Befreiungshalle und das Hochwasser der Donau. © Bayer/dpa
Auch in Baden-Württemberg wurden Menschen gerettet, hier in Albershausen. © dpa
Einen sehr hohen Wasserstand hatte am Wochenende die Isar in München, hier auf der Höhe des Wehrsteigs südlich der Praterinsel. © Hörhager/dpa
Wasserretter bergen in Babenhausen im schwäbischen Landkreis Unterallgäu Bewohner aus einem überschwemmten Haus. © Puchner/dpa
Die Schleusen am Tölzer Kraftwerk wurden geöffnet, der Stausee verwandelte sich in einen reißenden Strom. © Krinner
Abgesoffen ist dieses Auto auf einer überfluteten Straße vor einem Tunnel in Bad Wörishofen im Unterallgäu. © MIS
Teile von Hohenkammer im Kreis Freising versanken in den Wassermassen der Glonn. Links das Schloss Hohenkammer. © Drohnengruppe Feuerwehren Kreis Freising
München – „Es regnet schon wieder.“ Angela Brenner schaut aus dem Fenster des Landratsamts Günzburg, es ist Sonntagvormittag, 11 Uhr. Die Pressesprecherin ist Teil des Krisenteams Hochwasser, seit über 24 Stunden hat sie nicht geschlafen. Landrat Hans Reichhart (CSU) ließ bereits am Donnerstagabend den Katastrophenfall ausrufen, alle Kräfte sind gebündelt. „Unser Riesenproblem ist, dass wir flächendeckend betroffen sind“, sagt Brenner. Der Druck ist ihrer Stimme anzumerken.
Die Flüsse Günz, Kammel und Mindel durchziehen den Landkreis zwischen Ulm und Augsburg, für alle drei ist die HQ100 ausgerufen. Das Kürzel bezeichnet einen Hochwasserabfluss, der im statistischen Mittel einmal in 100 Jahren erreicht oder überschritten wird. „Und sogar diese Meldestufe haben wir jetzt weit hinter uns gelassen.“ In einigen Teilen Bayerns befürchten Behörden ein „HQextrem“, ein extremes Hochwasser. Es könnte ein Jahrhunderthochwasser um das Eineinhalbfache übertreffen.
In Brenners Region sind am Sonntagvormittag 180 Einsatzkräfte aus zahlreichen bayerischen Gemeinden im Einsatz, der Landrat hat offiziell ein Kontingent der Bundeswehr angefordert. Sandsäcke werden gefüllt, Dämme aufgeschichtet. Doch die Herausforderung ist kaum zu meistern: „So etwas haben wir noch nicht erlebt“, sagt Brenner.
Schwerpunkte entlang der Donauzuflüsse
Der tagelange Stark- und Dauerregen setzte am Wochenende weiten Teilen Bayerns zu, teilweise fielen innerhalb von 24 Stunden 160 Liter pro Quadratmeter. In der Nacht zu Sonntag lag der Hochwasserschwerpunkt im Bereich der südlichen Donauzuflüsse, auch die obere Donau trat über die Ufer. Viele oberbayerische Flüsse führen Hochwasser, im Laufe des Sonntags schwollen die Pegel weiter an, zum Beispiel im Raum Mühlried (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) und in Aunkofen (Kreis Kelheim), Geisenfeld (Kreis Pfaffenhofen) und Hohenkammer (Kreis Freising).
Bis zum Sonntagabend hatten zwölf bayerische Kreise den Katastrophenfall ausgerufen, darunter Pfaffenhofen an der Ilm, Kelheim, Augsburg, Schrobenhausen, Freising, Straubing, Dachau und Aichach-Friedberg. Im Kreis Dachau waren in der Nacht zum Sonntag die Pegelstände an der Glonn, der Maisach sowie der Amper weiter gestiegen. Im Kreis Pfaffenhofen brachen gestern mehrere Dämme, auch Anwohner am Starnberger See sollen sich auf Hochwasser einstellen: Weil der See vor allem aus dem Grundwasser gespeist wird, kann es Tage dauern, bis sich die starken Niederschläge auswirken.
Rund 3000 Evakuierungen
Hunderte Menschen im südlichen Freistaat mussten in der Nacht zu Sonntag ihre Häuser verlassen. Im Kreis Pfaffenhofen an der Ilm wurden an die 200 Menschen in Sicherheit gebracht. In zwei Altenheimen habe Stromausfall gedroht, berichtete Landrat Albert Gürtner (Freie Wähler) am frühen Sonntagmorgen. Die Bewohner seien in Krankenhäuser verteilt worden. Zudem mussten mindestens 100 weitere Menschen in ufernahen Bereichen ihre Wohnungen verlassen.
In Petershausen wurden Teile des Hauptorts in der Nacht überflutet, dort retteten die Einsatzkräfte bis Sonntagmittag elf Personen aus den überfluteten Bereichen. Im oberbayerischen Schrobenhausen (Kreis Neuburg) wurden rund 670 Menschen evakuiert, ein Altenheim mit rund 100 Bewohnern wurde geräumt, die Bewohner im Kreiskrankenhaus und einem anderen Altenheim untergebracht. „Die Lage bleibt gerade im südlichen Landkreis weiterhin angespannt“, sagte Landrat Peter von der Grün (parteilos).
Verkehrsadern unpassierbar
Auch der Fern- und Regionalverkehr der Bahn war vom Hochwasser betroffen. In Schwäbisch Gmünd entgleiste am späten Samstagabend ein ICE, weil der Dauerregen einen Erdrutsch ausgelöst hatte. 185 Passagiere wurden aus dem Zug evakuiert, verletzt wurde niemand. Ausfälle und lange Verspätungen gab es unter anderem auf den Strecken München-Berlin, München-Zürich und Karlsruhe-München.
In Oberbayern stoppte die DB den Zugverkehr zwischen Murnau und Garmisch-Partenkirchen sowie zwischen Tutzing und Weilheim. Die Strecke der S7 zwischen Wolfratshausen und Höllriegelskreuth südlich von München wurde nach einem Hangrutsch gesperrt, wie die S-Bahn München mitteilte. Die Sperrung soll voraussichtlich bis heute andauern.
Auch der Straßenverkehr kam zum Erliegen. Am Sonntagmittag war nach einem Dammbruch die A9 überflutet. Die wegen des letzten Ferienwochenendes stark frequentierte Autobahn wurde stellenweise gesperrt.
Zehntausende Helfer im Einsatz
Rund 40 000 Einsatzkräfte waren am Wochenende zur Bekämpfung des Hochwassers unterwegs. Neben Feuer- und Bundeswehr unterstützt auch das THW die betroffenen Hochwassergebiete. Rund 1300 Ehrenamtliche aus 60 bayerischen THW-Ortsverbänden sind vor Ort, darunter sind Spezialeinheiten mit Baggern, Radladern und Unimogs. An der Paar im Kreis Pfaffenhofen wurden für einen Damm hunderttausende Sandsäcke gefüllt, transportiert und verbaut. „Allein in diesem Einsatzgebiet befinden sich rund 400 THW-Kräfte“, sagte Sprecherin Annelie Schiller am Sonntagvormittag.
Im ganzen Freistaat stehen Hochleistungspumpen des THW bereit, um große Wassermengen abpumpen zu können, Einsatzkräfte der Wasserwacht sind mit Boots- und Tauchtrupps unterwegs. Der ADAC fliegt Menschen aus überfluteten Gebieten aus: „Wir sind mit allen Rettungshubschraubern Süddeutschlands im Einsatz“, sagte ein Sprecher. Die Crews sind erfahren, sie flogen schon im Ahrtal im Juli 2021.
Schäden noch nicht kalkulierbar
In Dillingen und Freising fiel zeitweise der Strom aus. Wie sieht die Bilanz im schwer getroffenen Kreis Günzburg aus? Brenner winkt ab, draußen ist ein Martinshorn zu hören: „Im Moment sind wir in der aktiven Bekämpfung. Das Wasser hat eine Kraft, die kann man nicht aufhalten.“ Die Bürger des Kreises sollen jetzt vorsorglich das Trinkwasser abkochen. „Verunreinigungen sind nicht auszuschließen.“ Vereinzelt habe es am Samstag Probleme mit Katastrophentouristen gegeben, räumt Brenner ein.
Doch in der Not beobachtet sie eine „unglaubliche Solidarität“. Freiwillige füllten Sandsäcke, stellten Schutzwände auf. „Unsere Bevölkerung ist großartig“, sagt Brenner. Das Legoland Deutschland Resort südlich von Günzburg reservierte bis Sonntagnachmittag Zimmer für 50 betroffene Familien in seinem Hotel. „Wir rechnen mit steigenden Zahlen“, sagt Sprecher Benedikt Kaltenecker. Der Vergnügungspark habe auch bereits rund 300 Einsatzkräften Betten zur Verfügung gestellt. „Wir liegen zum Glück abseits der Flussläufe“, sagt Kaltenecker. „Das Gebiet wird vom Landratsamt als sicher eingestuft.“