Von dem Messerangriff existiert ein Video. Der Screenshot zeigt, wie Sulaiman A. Menschen attackiert. © Screenshot: X
Trauer um Rouven Laur: Kollegen gedenken am Marktplatz in Mannheim des getöteten Polizisten. © Uli Deck/dpa
München – Tagelang hatte das Land um Rouven Laur gebangt – doch der Polizist hat die Messer-Attacke in Mannheim nicht überlebt. Inzwischen weiß man, dass der Angriff von Sulaiman A. islamistisch motiviert war. Kurz vor der Fußball-EM schürt der Vorfall Sorgen vor weiteren Anschlägen. Hans-Jakob Schindler, früherer UN-Terrorexperte und Direktor des Counter Extremism Project (CEP), schätzt die Terror-Gefahr im Interview ein.
Herr Schindler, war die Messer-Attacke in Mannheim ein Terroranschlag?
Vieles deutet darauf hin, dass der Angreifer ein Einzeltäter war, der sich durch islamistische Ideologien hat inspirieren lassen. Um einen Anschlag zu begehen, muss man aber nicht zwingend mit Terrorgruppen vernetzt sein. Die Messer-Attacke kann auch dem IS zugeordnet werden, ohne dass IS-Akteure da selbst aktiv mitgewirkt haben.
Wie kommen Sie auf den IS?
Seit 2017 ruft der IS seine Sympathisanten im Ausland dazu auf, Ungläubige zu erstechen. Damals war der IS-Führung im Irak und in Syrien klar geworden, dass sie militärisch nicht mehr gewinnen können. Deshalb haben sie ihre Strategie geändert und ihre Anhänger auf der ganzen Welt aufgefordert: Kommt nicht zu uns, bleibt lieber zu Hause und kämpft dort für uns – auch ein Messer kann schon sehr viel Schaden anrichten. Es wurden sogar Videos verbreitet, in denen erklärt wurde, wo man zustechen soll, um einen Menschen zu töten, und welches Haushaltsmesser sich dafür am besten eignet. Das, was wir jetzt in Mannheim erlebt haben, klingt fast wie aus einem Handbuch des IS.
Der Täter kommt aus Afghanistan. Dort sitzt der IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK), der auch für das Attentat in Moskau verantwortlich war…
Der ISPK versucht schon lange, vermehrt Anschläge im Ausland und auch in Europa zu verüben. Seit dem vergangenen Sommer gab es regelmäßig Verhaftungen von ISPK-Anhängern allein in Deutschland. Ich forsche jetzt seit Ende der 90er-Jahre in diesem Bereich und habe noch nie erlebt, dass so oft Anhänger einer einzigen Terrorgruppe in einer so kurzen Zeit festgenommen wurden. Das ist schon erstaunlich.
Warum ausgerechnet der ISPK?
Der IS hat diesen Ableger in den vergangenen Jahren gezielt aufgebaut. Es gibt ja etliche IS-Ableger, die allerdings oft noch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit behalten – manche wechseln sogar zu anderen Terrorgruppen wie al-Qaida. Der ISPK ist der einzige Ableger, der von der IS-Zentrale aufgebaut und seither finanziert wird – so bleibt er abhängig und kann als starker Propaganda-Arm funktionieren. Die Terroristen betreiben sogar eine englischsprachige Zeitschrift, „Voice of Khorasan“, in der sie zuletzt auf der letzten Seite eine Grafik eines Fußballstadions hatten und fragten: „Wo willst du das letzte Tor schießen?“ Da wurde zu Anschlägen bei der Fußball-EM in München, Düsseldorf und Berlin aufgerufen.
Wie schätzen Sie die Terrorgefahr bei der EM ein?
Man ist seit Jahren damit beschäftigt, die Veranstaltung terrorsicher zu machen. Bei Großereignissen wie diesen gibt es eine sehr effektive internationale Kooperation – alle teilnehmenden Staaten tauschen kontinuierlich Informationen aus, die auf Anschläge hinweisen könnten. Insofern denke ich, dass sich die Gefahr eines komplexen Anschlags, wie wir ihn in Moskau gesehen haben, in Grenzen hält. Was bleibt, sind Vorfälle wie in Mannheim. Einzelpersonen, die das Messer ziehen. Da lässt sich viel über Kontrollen an Stadien regeln, aber an Fanmeilen und Public-Viewing-Veranstaltungen wird es schwieriger.
In Frankreich steht Olympia vor der Tür.
Da ist die Terrorbekämpfung noch mal ein ganzes Stück komplexer – denn es handelt sich um eine noch größere Veranstaltung, wo sehr viele Nationen teilnehmen werden, ein Ereignis, das weltweit übertragen wird. Dazu kommt die traurige Geschichte Frankreichs, wo in den vergangenen Jahren besonders oft Anschläge verübt wurden. Die Behörden werden noch mal besonders wachsam sein müssen.
Welche Rolle spielt der Gaza-Krieg bei Gefahr durch Islamisten?
Eine große: Islamistische Terrorgruppen stehen in Konkurrenz zueinander. Seit dem 7. Oktober bekommen die Hamas, die Hisbollah und die Huthis sehr viel mediale Aufmerksamkeit. Andere Gruppen wie der IS und al-Qaida fühlen sich unter Druck gesetzt, da aufzuholen. Der Anschlag in Moskau sollte ein Versuch sein, wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Der IS galt vor fünf Jahren als zerschlagen. Wie konnte er erstarken?
Das hat auch der Westen mitzuverantworten. Der Abzug aus Afghanistan 2021 hatte ja nichts damit zu tun, dass wir militärisch verloren haben oder dass wir kein Geld mehr dafür hatten – das war allein politische Ermüdung. Vor allem die USA hielten es nicht mehr für erklärbar, warum sie dort noch präsent sein sollten. Damit hat man nicht nur den Taliban, sondern auch dem ISPK das freie Feld überlassen.
Wurden ihnen auch die Sozialen Medien überlassen? Islamisten rekrutieren inzwischen auf TikTok.
Die Sozialen Medien spielen da eine fundamentale Rolle: Plattformen wie Facebook, Instagram, X, YouTube und TikTok werden ihrer Verantwortung nicht gerecht. Es ist eine Unverschämtheit, dass das Video von dem Anschlag in Mannheim immer noch bei X zu finden ist. Dabei ist die Technologie, um das zu verhindern, absolut banal. Trotzdem wird sie nicht eingesetzt – obwohl die Plattformen schon nach dem Attentat von Christchurch und in Halle versprochen haben, die Verbreitung der Inhalte zu stoppen, um Nachahmungen zu verhindern. Passiert ist nichts.